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Bizarre Situation

BILDUNG Das Kooperationsverbot entzweit nicht nur Bund und Länder, sondern auch die Große Koalition

07.04.2014
2023-08-30T12:26:12.7200Z
4 Min

Die einen nennen es Föderalismus, die anderen Kleinstaaterei. So oder so, ein Ende des sogenannten Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern, das im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahr 2006 vereinbart wurde und ein Verbot jeglicher schulpolitischer Initiativen des Bundes vorsieht, ist nicht in Sicht. Mit der Folge, dass ein neues - vom Bund finanziertes - Ganztagsschulprogramm beispielsweise nicht möglich ist. So lautet das ernüchternde Fazit der bildungspolitischen Debatte am vergangenen Donnerstag. Und die Debatte offenbarte erneut die unterschiedlichen Standpunkte innerhalb der Großen Koalition zwischen SPD und Union.

Sinnbildlich für diese koalitionsinternen Streitigkeiten stand die Rede des SPD-Bildungsexperte Swen Schulz, der zähneknirschend einräumen musste, dass sich seine Partei mit ihrer Forderung nach einer Verfassungsänderung für eine Abschaffung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich bedauerlicherweise gegen den Koalitionspartner nicht habe durchsetzen können. Gleichzeitig empörte sich Schulz über öffentliche Aussagen aus den Reihen der Union, wonach die SPD mit ihren "gierigen Ländern" die Finanzierung von Bildungs- und Wissenschaftspolitik blockiere. Der "geschätzte Koalitionspartner" solle sich lieber darüber Gedanken machen, wie das von Schwarz-Gelb hinterlassene Finanzloch im Bildungsbereich in Höhe von fünf Milliarden Euro zu stopfen sei, befand Schulz.

Dass für sozialdemokratische Bildungspolitiker das Thema Kooperationsverbot kein leichtes ist, liegt auf der Hand. Verging doch in der vergangenen Legislaturperiode keine bildungspolitische Debatte, ohne dass das von der SPD 2006 mitbeschlossene Verbot als Fehler bezeichnet wurde. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ließen sich denn auch die Chance nicht entgehen, dem ehemaligen Oppositionspartner seine damaligen Äußerungen vorzuhalten. Zumindest die Grünen stecken aber selbst in einem Dilemma: Ihr in Baden-Württemberg regierender Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält nämlich ebenfalls nichts von einer Verfassungsänderung für mehr Einflussmöglichkeiten des Bundes.

Kritik an KMK

Die Unionsfraktion kann sich zwar durchaus für eine Grundgesetzänderung erwärmen - allerdings beschränkt auf die Möglichkeit der Grundfinanzierung der Hochschulen. Im Bereich der Schulpolitik schob Tankred Schipanski (CDU) dem Bundesrat den Schwarzen Peter zu. Die Länder würden sich einer Neuregelung verweigern und hätten schon Schwierigkeiten damit, dem Bund lediglich eine koordinierende Rolle zuzubilligen, bemängelte er. Eine Rolle, die ihm schon jetzt per Verfassung zustehe. Der CDU-Politiker übte heftige Kritik an der Kulturministerkonferenz (KMK). Seit 14 Jahren arbeite das Gremium an gemeinsamen Bildungsstandards "und kommt nur langsam voran", bemängelte Schipanski. Die derzeitigen Diskussionen um ein acht- oder neunjähriges Gymnasium zeigten: "Die KMK ist nicht in der Lage, nationale Verantwortung richtig wahrzunehmen." Dennoch: Eine direkt beim Bund angesiedelte Schulpolitik lehnte seine Parteikollegin Sybille Benning als Zentralismus ab.

Forderung der Linken

Die Linksfraktion, die laut ihrer Bildungsexpertin Rosemarie Hein keineswegs die Bildungshoheit der Länder abschaffen möchte, plädiert dafür, Bildung als Gemeinschaftsaufgabe in der Verfassung festzuschreiben und den Ländern einen höheren Anteil aus den Mehrwertsteuereinnahmen zuzubilligen. Der dahingehende Antrag der Linken (18/588) stieß jedoch auf allen Seiten auf Ablehnung. "Wer sagt, dass die Länder das Geld für Bildung und Forschung nutzen?", fragte Stefan Müller (CSU), Parlamentarische Staatssekretär im Bildungsministerium. Und auch SPD-Mann Schulz sprach sich gegen einen "Blankoscheck" für die Länder aus.

Das Kooperationsverbot führt derzeit zu einer bizarren Situation: So ist der Bund zwar bereit, sechs Milliarden Euro in Bildung und Forschung zu investieren. Er weiß aber nicht, wie er den Ländern das Geld verfassungskonform zukommen lassen kann. Bildungs-Staatssekretär Müller wandte sich dennoch gegen den Eindruck, das Grundgesetz würde eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Länder prinzipiell verbieten: "So viel Kooperation wie heute hat es in der Geschichte Deutschlands noch nie gegeben", argumentierte der CSU-Politiker. Als Beispiele zählte er neben dem Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative, den Pakt für Forschung und Innovation und den Pakt für Lehrerbildung auf. Zugleich plädierte Müller für eine Grundgesetzänderung, um eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen erreichen zu können.

Verschiedene Standards

Die Linksfraktion stellte hingegen die Probleme der Schulbildung in den Mittelpunkt. Es gehe um mehr soziale Gerechtigkeit, eine höhere Bildungsqualität und eine bessere Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern, argumentierte Rosemarie Hein. Die Schulsysteme in den Ländern seien durch "mehr als ein Dutzend unterschiedliche Schulformen in den Klassen fünf bis zehn, unterschiedliche lange Pflichtschulzeiten und unterschiedliche Abschlüsse gekennzeichnet", sagte sie. Familien müssten sich durch einen Irrgarten quälen, wenn sie das Bundesland wechseln. Pro Jahr seien davon immerhin 200.000 Kinder und Jugendliche betroffen, rechnete Hein vor und kritisierte, dass sich im Koalitionsvertrag von Union und SPD "kein Wort zu Ganztagsschulen findet". Eine Aussage, die jedoch nicht ganz zutreffend ist. In der Präambel des Vertrages findet sich immerhin die Feststellung: "Ausbau und Qualität von Kitas und Ganztagsschulen verbessern den Bildungserfolg der Kinder."

Das Wort "Kooperationsverbot" fehlt allerdings in dem 130-seitigen Vertragswerk, wie Kai Gehring (Grüne) feststellte. Dies sei umso unverständlicher, da die SPD das Kooperationsverbot doch selbst als Fehler bezeichnet habe. "Fehler kann man korrigieren", sagte Gehring an die Sozialdemokraten gewandt. Es liege im Interesse der gesamten Gesellschaft, die Qualität von Bildung und Wissenschaft zu steigern. "Die Leute haben die Nase voll von fehlenden Kitaplätzen, maroden Schulen und überfüllten Hörsälen."