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EU : Befristet freizügig

Die Bundesregierung will beim Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern in Deutschland Begrenzungen festschreiben. Bei der Opposition stößt das Vorhaben auf scharfe Kritik

29.09.2014
2023-08-30T12:26:20.7200Z
3 Min

Die Freizügigkeit in der EU ist eine der wichtigsten Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses und einer der sichtbarsten Vorzüge Europas für die Bürgerinnen und Bürger.“ So steht es im Vorblatt des Regierungsentwurfes „zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften“ (18/2581), und so ähnlich bekräftigte es auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vergangene Woche in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes im Bundestag. Festgeschrieben ist das Recht auf Freizügigkeit in Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Danach haben Staatsangehörige eines EU-Landes das Recht, in jeden Mitgliedsstaat der Union einzureisen und sich dort aufzuhalten.

Steigende Belastung Mit ihrer Gesetzesinitiative verfolgt die Bundesregierung „das Ziel, Fälle von Rechtsmissbrauch oder Betrug im Zusammenhang mit dem Freizügigkeitsrecht, im Bereich von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung sowie bei der Inanspruchnahme von Kindergeld zu verhindern und konsequent zu ahnden“. Zugleich sollen die Kommunen „wegen der besonderen Herausforderungen, die sich aus dem verstärkten Zuzug aus anderen EU-Mitgliedstaaten ergeben“, entlastet werden. Man dürfe nicht darüber hinwegsehen, dass „vor Ort mit einem wachsenden Zuzug aus bestimmten EU-Mitgliedsstaaten Probleme verbunden sind“, mahnte de Maizière in der Debatte. Diese Städte berichteten über eine Verschärfung sozialer Probleme und über eine steigende Belastung ihrer Systeme der kommunalen Daseinsvorsorge, fügte der Ressortchef hinzu. Um diese Kommunen zu entlasten, soll nach seinen Worten die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung für Hartz-IV-Empfänger aufgestockt und bei Kindern und Jugendlichen aus EU-Staaten ohne geklärten Krankenversicherungsschutz die Impfkosten übernommen werden. Im Freizügigkeitsrecht sollten befristete Wiedereinreisesperren im Falle eines Rechtsmissbrauchs oder Betrugs ermöglicht, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche auf sechs Monate befristet und die Erschleichung von Aufenthaltsbescheinigungen durch falsche Angaben unter Strafe gestellt werden. Um Missbrauch beim Kindergeld zu unterbinden, solle dessen Zahlung „von der eindeutigen Identifikation von Antragstellern und Kindern durch Angabe der steuerlichen Identifikationsnummer abhängig sein“. Zur Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit solle ferner „die Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit intensiviert“ werden.

Klare Ablehnung Bei der Opposition stießen insbesondere die Änderungen beim Freizügigkeitsrecht auf Ablehnung. „Belassen Sie es bei der Hilfe für die Kommunen! (...) Verzichten Sie auf Verschärfungen des Freizügigkeitsrechts!“, sagte für Die Linke ihre Abgeordnete Ulla Jelpke. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Parlamentarier Volker Beck: „Streichen Sie aus Ihrem Gesetzentwurf den Teil betreffend die EU-Freizügigkeit“, forderte er. Über die Kindergeldregelung und Hilfen für die Kommunen könne dagegen mit den Grünen jederzeit geredet werden.

Jelpke warf insbesondere der Unionsfraktion vor, seit mehr als einem Jahr „über den angeblichen Sozialhilfemissbrauch der Zuwanderer aus Osteuropa“ zu reden und „Vorurteile gegen Menschen aus Osteuropa, insbesondere gegen Roma“, zu schüren. Dabei seien von 267.000 Rumänen, die in der Bundesrepublik lebten, laut Polizeilicher Kriminalstatistik „ganze 91 verdächtig – verdächtig, nicht verurteilt –, Sozialleistungsbetrug begangen zu haben“. Auch sei die Arbeitslosenquote in Deutschland unter Bulgaren und Rumänen niedriger als unter den übrigen EU-Ausländern. „Zuwanderer aus Osteuropa kommen nicht hierher, um Sozialleistungen zu beziehen; sie kommen hierher, um zu arbeiten“, sagte Jelpke.

Beck argumentierte, die Regierung wolle „das Erschleichen der Freizügigkeit mit Wiedereinreisesperren belegen und so Sozialbetrug bekämpfen“. Die EU-Freizügigkeitsrichtlinie besage jedoch, dass eine „Entscheidung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit erlassen wird, (...) nicht mit einem Einreiseverbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen“ dürfe. „Ihre Regelung ist also von vorne bis hinten EU-rechtswidrig“, fügte Beck hinzu. Zugleich kritisierte er, die Entlastung der Kommunen um 25 Millionen Euro im Jahr sei „bei weitem nicht ausreichend“.

Der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci betonte, dass Deutschland eine „gesteuerte und vernünftige Zuwanderung“ brauche. Er verteidigte, „dass eine Frist von sechs Monaten eingeführt wird, die für EU-Bürger gilt, die zur Arbeitssuche einreisen“. Der Europäische Gerichtshof räume die Möglichkeit einer Befristung ausdrücklich ein. Auch sei vorgesehen, „dass jemand, der sich ernsthaft um Arbeit bemüht, weiter hierbleiben kann“. Zugleich nannte Castellucci es „klug“, Vorkehrungen zu treffen, „dass wir Kindergeld wirklich nur an diejenigen zahlen, die auch kindergeldberechtigt sind“.

Die CSU-Parlamentarierin Andrea Lindholz sagte, die Freizügigkeit verursache auch Probleme. Binnen Jahresfrist sei „die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus Rumänien und Bulgarien in einigen deutschen Kommunen um 40 Prozent, 80 Prozent, ja sogar um 147 Prozent gestiegen“. Vor allem in strukturschwachen Regionen und Großstädten führe das zu Problemen.