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KULTURHAUPTSTADt 2014  : Europas Vielfalt

Der Kulturausschuss zu Besuch im schwedischen Umea und lettischen Riga

29.09.2014
2023-08-30T12:26:20.7200Z
4 Min

Das Projekt Europäische Kulturhauptstadt wurde 1983 mit dem Ziel geschaffen, einen Beitrag zur europäischen Identät und Integration zu leisten. Der Kulturausschuss hat Ende August die diesjährigen Kulturhauptstädte Umea in Schweden und die lettische Hauptstadt Riga besucht. Haben die beiden Städte ihre Aufgabe erfüllt?

Herlind Gundelach: Ich würde sagen ja – wenn auch auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Man kann die beiden Städte nicht miteinander vergleichen. Umea ist eine relativ junge Stadt, die im Aufbruch begriffen und sehr wissenschaftsorientiert ist. Riga hingegen ist eine Stadt mit einer sehr langen Geschichte und Traditionen, wie man schon am sanierten historischen Stadtkern sehen kann. Aber beide Städte haben mit ganz eigenen Modellen die Aufgabe gelöst und auch ihre jeweilige Regionen ins das europäische Bewusstsein gerückt. Kultur ist ja mehr als die Erhaltung von Kulturgütern, es gehören auch die Bildung und die Wissenschaft dazu. Daran hat man angeknüpft. In Umea konnten wir spüren, dass die Bürger hinter dem Projekt stehen und sich als Teil Europas verstehen.

Siegmund Ehrmann: Europa ist ein Kontinent der kulturellen Vielfalt. Umea hat beispielsweise einen Schwerpunkt seines Programms auf die Minderheit der Samen gelegt und sie damit als Teil dieser europäischen Vielfalt präsentiert. Mich hat besonders fasziniert, wie eine Stadt mit knapp 120.000 Einwohnern in einer ländlichen und nahezu entvölkerten Region Nordschwedens eine so unglaubliche Ausstrahlungskraft in den Bereichen Kultur und Wissenschaft entwickeln konnte. Die Universität wurde erst 1965 gegründet. Heute hat sie bereits 33.000 Studenten und ist weltweit unter den Austauschstudenten die beliebteste Universität. Gerade in den Bereichen Architektur und Design ist sie sehr profiliert.

In Umea hat sich der Immobilienunternehmer Christer Olsson, der zu den reichsten Bürgern Schwedens zählt, stark für das Projekt Kulturhauptstadt engagiert – auch finanziell. Ist es eher Fluch oder Segen, wenn die Kultur am Tropf privater Spender hängt?

Ehrmann: In Deutschland spielt der Staat traditionell ja eine sehr wichtige Rolle für die Kultur. Umgekehrt finde ich es lobenswert, wenn sich private Spender mäzenatisch für die Kultur engagieren und so die Allgemeinheit von ihrem unternehmerischen Erfolg profitieren lassen. Würde der Staat allerdings im Umkehrschluss daraus schließen, er könne sich aus seiner Verantwortung für die Kultur zurückziehen, dann lehne ich dies entschieden ab.

Auch in Riga und Lettland spielt das Thema Minderheiten eine große Rolle. Rund 30 Prozent der Bevölkerung Lettlands sind russischstämmig. Das Verhältnis zwischen Letten und Russen ist aber schwierig. Hat sich das negativ ausgewirkt?

Ehrmann: Sicherlich leidet das Verhältnis zwischen Letten und Russen noch unter den offenen Wunden der Geschichte seit den Tagen des Hitler-Stalin-Paktes und den fürchterlichen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Das ist uns an verschiedenen Stellen begegnet. Und richtig ist, dass viele der russischstämmigen Letten nicht über die vollen Bürgerrechte verfügen. Wir konnten allerdings nicht feststellen, dass im Programm der Kulturhauptstadt der russischen Kultur nicht ausreichend Platz eingeräumt wurde. Die Ukraine-Krise und die Politik des „Neurusslands“ von Präsident Wladimir Putin hat in Lettland aber Ängste geschürt. Die Letten fragen sich, was das für ihr Land mit einem großen russischstämmigen Bevölkerungsanteil bedeutet. Die lettischen Parlamentarier beklagten, dass die Medienlandschaft Land stark von privaten, russischsprachigen Printmedien und Fernsehsendern geprägt ist. Sie haben die Sorge, dass diese Medien vorwiegend die Propaganda Moskaus transportieren.. Dem gegenüber stehe ein nur schwach entwickelter öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Wir wurden ausdrücklich darum gebeten, Lettland beim Aufbau einer lettischen Medienlandschaft zu helfen, in der durch unabhängige Medien Meinungsvielfalt und Objektivität sichergestellt ist.

Wie kann Deutschland an diesem Punkt konkret helfen?

Gundelach: Wir haben in Hamburg beispielsweise das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Dort gibt es Experten, die Regierungen beraten können, wie ein öffentlich-rechtliches Mediensystem aufgebaut werden kann, das einerseits nicht der staatlichen Kontrolle unterworfen ist und anderseits alle gesellschaftlich relevanten Gruppen berücksichtigt und Pluralität gewährleistet. Das haben wir in der Vergangenheit schon in anderen Ländern mit Geldern des Bundes praktiziert.Wir werden darüber reden müssen, ob dies im Fall Lettlands auch ein Weg wäre.

Ehrmann: Zudem stehen dem Bund die Möglichkeiten der Deutschen Welle zur Verfügung, die als Auslandssender internationale Aufgaben in diesem Sinn erfüllt und dies in Nordafrika schon getan hat – etwa bei der Ausbildung von Journalisten.

Haben Sie Erfahrungen und Anregungen in Umea und Riga sammeln können, die in der Zukunft auch für eine deutsche Kulturhauptstadt nützlich wären?

Gundelach: Man kann das Projekt Kulturhauptstadt nutzen, um einer Stadt, die sich in einer schwierigen Situation befindet, einen regelrechten Push zu geben. Die Schweden haben das vorbildlich gelöst durch die Einbindung ihrer Bürger. Es darf eben kein Vorhaben der Stadtoberen sein. Wenn dies gelingt, dann können auch langfristig positive Entwicklungen beispielsweise im Tourismusbereich angestoßen werden.

Ehrmann: In Riga habe ich erfahren, dass es einen informellen Kreis jener Menschen gibt, die die Kulturhauptstädte der vergangenen Jahre maßgeblich mitgestaltet haben. Ich rege an, dass diese Treffen in einem offiziellen Rahmen stattfinden, damit die gesammelten Erfahrungen auch von zukünftigen Kulturhauptstädten genutzt werden können um die Qualität insgesamt und dauerhaft zu steigern.

Das Interview führte Alexander Weinlein.

Siegfried Ehrmann (SPD) ist seit 2002 Bundestagsmitglied und leitet den Kulturausschuss seit Beginn dieser Legislatur. Seine Stellvertreterin Herlind Gundelach (CDU) zog 2013 in den Bundestag ein.