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EUROPÄISCHES PARLAMENT : Angehört und abgelehnt

Abgeordnete setzen Personalumbau der neuen EU-Kommission durch

13.10.2014
2023-08-30T12:26:20.7200Z
4 Min

Der künftige EU-Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker, muss nach den Anhörungen im Europäischen Parlament (EP) sein Team umbauen. Eine große Mehrheit der zuständigen Europaabgeordneten hat der slowenischen Kandidatin Alenka Bratušek die Eignung als Vize-Kommissarin für die Energieunion abgesprochen. Der Ungar Tibor Navracsics soll nach dem Willen der Abgeordneten nicht für Kultur zuständig sein, kann aber Kommissar werden. Weil nun neue Anhörungen im EU-Parlament notwendig sind, wird die Juncker-Kommission wohl nicht wie geplant zum 1. November antreten können.

Weder der Personalumbau noch die Verzögerung kommt überraschend. In den beiden Vorgängerkommissionen hatte das Europäische Parlament ebenfalls personelle Änderungen durchgesetzt. Aus der Umgebung Junckers hieß es deshalb bereits seit geraumer Zeit, dass das neue Team möglicherweise erst im Januar seine Arbeit aufnehmen wird.

Bei den Anhörungen ging es nicht nur um Eignung, sondern offenbar auch um Parteipolitik. Das eindeutige Votum gegen Bratušek folgte auf ihren hilflosen Auftritt, bei dem sie inhaltlich nicht überzeugen und die Zweifel über ihre Nominierung nicht ausräumen konnte. Aber Bratušek muss auch gehen, weil sie keiner der beiden großen Parteien angehört, die sich schlussendlich auf einen Deal einließen, um die anderen Problemkandidaten doch noch durchzusetzen. „Die Sozialdemokraten haben die vier konservativen Kandidaten durchgewunken, nur um den Sozialdemokraten Pierre Moscovici als Wirtschaftskommissar durchzusetzen“, kritisierte der Grüne Sven Giegold.

Dem frühere französische Finanzminister Moscovici wurde in seiner Anhörung mehrfach vorgehalten, dass er in seiner Amtszeit das französische Haushaltsdefizit nicht wie vereinbart zurückgeführt und in Brüssel eine Fristverlängerung erreicht hatte. „Wie will er im Euroraum Haushalts- und Finanzdisziplin durchsetzen, wenn er selbst auf Ausnahmen bestanden hat?“, fragte etwa der CDU-Abgeordnete Werner Langen im Anschluss.

Wie die Tschechin Vera Jurová und der Navracsics musste auch Moscovici schriftlich weitere Fragen beantworten, ehe er das Plazet des Europäischen Parlaments erhielt. Der Brite Jonathan Hill, der in seiner ersten Anhörung erstaunlich wenig zum Projekt einer Kapitalunion zu sagen hatte und wenig unabhängig von der Finanzlobby schien, musste sogar ein zweites Hearing antreten. Der Spanier Miguel Arias Canete musste seine finanziellen Interessen in vertiefter Form offen legen.

Letztlich verständigten sich Konservative und Sozialdemokraten darauf, nur die Liberale Bratušek durchfallen zu lassen. Weil sie sich selbst nominiert hatte und auch nicht mehr den Rückhalt der neuen slowenischen Regierung genoss, war sie ein leichtes Opfer. Am Freitag stand schon eine Nachfolgerin parat: Die Regierung des Landes verkündete die Nominierung der bisherigen Entwicklungsministerin Violeta Bulc für den Platz Sloweniens in der EU-Kommission. Welchen Posten sie übernehmen wird, war bis Redaktionsschluss noch unklar.

Die Anhörungen vermittelten einen ersten Eindruck, wer in der künftigen EU-Kommission zu den Tonangebern zählen könnte. Vor allem Junckers rechte Hand, der erste Vizepräsident Frans Timmermans, überzeugte mit Sachkenntnis und rhetorischem Geschick. Dass er neben seiner Muttersprache Niederländisch makellos Englisch, Französisch, Deutsch und Italienisch sprach, beeindruckte die Abgeordneten sichtlich. Allerdings vermochte Timmermans keine überzeugende Antwort auf die Frage geben, wie das neue System von Vizepräsidenten und Kommissaren funktionieren werde. Auch die anderen Anhörungen gaben wenig Aufschluss zu diesem Thema. Wie soll zum Beispiel die Zusammenarbeit der beiden für Wirtschaft zuständigen Vizepräsidenten Jyrki Katainen, verantwortlich für Wachstum und Investitionen, und Valdis Dombrovskis, verantwortlich für den Euro, mit dem Währungskommissar Moscovici und Finanzmarktkommissar Hill funktionieren? Auch wenn Europaabgeordnete mit dem Mangel an Information unzufrieden waren, haben sie das neue Organigramm von Juncker nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Kandidaten, die schon eine Amtszeit hinter sich haben, taten sich mit der Anhörung sichtlich leichter. Kristalina Georgieva, die vor fünf Jahren kurzfristig für ihre gescheiterte Landsfrau Rumjana Schelewa einspringen musste, zeigte sich kenntnisreich und willens, den EU-Haushalt stärker auf Effizienz zu trimmen. Maroš Ševcovic, bisher für Verwaltung, künftig für Verkehr zuständig, wirkte auf seinem neuen Terrain ebenfalls sicher.

Günther Oettinger, bisher Energiekommissar und künftig für Digitales zuständig, fremdelte dagegen mit der Materie. Vor fünf Jahren hatte er bei der Anhörung mit Detailkenntnissen auf einem ihm neuen Gebiet brilliert. Diesmal machte sich die geringe Vorbereitungszeit bemerkbar. Oettinger hatte im Vorfeld im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine vermittelt und sich offenbar nicht ausreichend in das Thema einarbeiten können. Als sehr firm in Sachen Digitales erwies sich dagegen der Este Andrus Ansip, der als Vizepräsident den Bereich koordinieren soll. Er konnte aus seiner Zeit als Premier im internetaffinen Estland auf zahlreiche praktische Beispiele zurückgreifen.

Mogherini überzeugt Besser als erwartet schlug sich die künftige Außenbeauftragte Federica Mogherini, deren Kompetenz im Vorfeld angezweifelt worden war. Die 41-jährige italienische Außenministerin, die erst seit Februar im Amt ist, sei zu unerfahren und habe in der Ukraine-Krise allzu versöhnliche Töne gegenüber Russland angeschlagen, hieß es. Doch im EP präsentierte sie sich souverän und versiert in Außenpolitik. Zu Russland sagte Mogherini, es sei derzeit kein Partner der Europäischen Union, bleibe aber ein „strategischer Akteur“. Die EU müsse an der Seite der Ukraine stehen. Den Abgeordneten des Auswärtigen Ausschusses versprach sie eine enge Zusammenarbeit. Auch die wöchentlichen Kommissionssitzungen will sie nicht verpassen, wie es ihre Vorgängerin oft gemacht hat.

Die Autorin ist Korrespondentin der »Wirtschaftswoche« in Brüssel.