Piwik Webtracking Image

DDR-GESCHICHTE : Viele Baustellen

Sachverständige ziehen gemischte Bilanz über Aufarbeitung der SED-Diktatur

10.11.2014
2023-08-30T12:26:23.7200Z
4 Min

Acht von zehn Deutschen wünschen sich, dass die Geschichte der DDR weiterhin aufgearbeitet wird. Und 58 Prozent der 14- bis 29-Jährigen würde gern mehr über die DDR und die deutsche Teilung erfahren. Dies sind zwei Ergebnisse einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

„Junge Leute mögen zwar wenig über die Teilungsgeschichte und die zweite Diktatur in Deutschland wissen, aber sie interessiert und möchten gern mehr erfahren“, erklärte die Geschäftsführerin der Bundesstiftung, Anna Kaminsky, in der vergangenen Woche vor dem Kulturausschuss des Bundestages. Dieser hatte neben Kaminsky den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BSTU), Roland Jahn, und seine Amtsvorgängerin Marianne Birthler sowie den Geschäftsführer der Robert-Havemann-Gesellschaft, Olaf Weissbach, und den Bundesvorsitzenden der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, Rainer Wagner, zu einer öffentlichen Anhörung geladen. Im Jahr 25 nach dem Mauerfall sollten sie ein Resümee ziehen und über ihre Arbeit berichten. Ihre Bilanz fiel gemischt aus. International bekomme Deutschland viel Aufmerksamkeit und Anerkennung für seine Bemühungen bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Gleichzeitig gebe es auch aber auch Baustellen und Lücken. So gebe es keinen einzigen Hochschul-Lehrstuhl für die Geschichte der DDR, monierte Marianne Birthler. Und Anna Kaminsky mahnte, dass das Thema zu wenig in den Lehrplänen und im Schulunterricht berücksichtigt werde.

Auch inhaltlich scheint es bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit noch blinde Flecken zu geben. So warnte Roland Jahn davor, den Blickwinkel der Aufarbeitung einseitig auf das Wirken des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit zu verengen. Die Diktatur in der DDR sei keine „Stasi-Diktatur, sondern eine SED-Diktatur“ gewesen. Dieser Einschätzung schloss sich auch Kaminsky an. Während die Geschichte und as Wirken der Stasi gut erforscht sei, wisse man über die SED und all ihre Parteigliederungen in der Fläche vergleichsweise wenig.

Zukunft des BSTU Kritisch äußerte sich Birthler zur Arbeit der vom Bundestag eingesetzten Kommission, die ein Konzept für die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde erarbeiten soll. Sie wisse zwar auch, so führte die ehemalige Behördenleitern (2000 - 2011) aus, dass die Arbeit des Bundesbeauftragten von vornherein zeitlich begrenzt wurde. Wenn die Arbeit der Behörde jedoch so erfolgreich und wichtig sei, wie immer gesagt werde, dann verstehe sie nicht, warum die Behörde nun „abgewickelt“ werden soll. Birthler kritisierte zudem, dass in die Kommission niemand aus dem Kreis jener Menschen berufen wurde, die die Stasi-Akten im Dezember 1989 vor der Vernichtung retteten.

Roland Jahn äußerte sich zwar nicht direkt zu Birthlers Kritik. Er forderte jedoch, dass das Recht auf Akteneinsicht für Bürger, Wissenschaftler und Journalisten auch in Zukunft gewährleistet werden müsse.

Finanznöte Die unterschiedlichen Institutionen der Aufklärung kämpfen auch mit handfesten finanziellen Schwierigkeiten. Viele kleine Projekte und Institutionen in Deutschland müssten unter prekären Bedingungen arbeiten, berichtete Kaminsky. Aber auch die Bundesstiftung selbst hat Geldsorgen. Grund dafür sind die andauernd niedrigen Zinsen. Die Bundesstiftung finanziert sich zum einen aus den Zinsen ihres Stiftungskapitals und aus einem Zuschuss aus dem Haushalt der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Staatsministerin Monika Grütters (CDU). Die Stiftung war bei ihrer Gründung durch den Bundestag im Jahr 1998 mit einem Stiftungskapital von rund 75 Millionen Euro aus dem SED-Parteivermögen ausgestattet worden. Doch die andauernd niedrigen Zinsen führen nach Angaben der Bundesstiftung zu einem jährlichen Einnahmeverlust von rund einer Million Euro. Kaminsky warb bei den Parlamentariern dann auch für eine Erhöhung des Bundeszuschusses.

Finanzsorgen treibt auch den Geschäftsführer der Robert-Havemann-Gesellschaft, Olaf Weissbach, um. Der im November 1990 gegründete politische Bildungsverein des Neuen Forums dokumentiert und vermittelt die Geschichte der Opposition und des Widerstandes in der DDR. Ihr Archiv mit einem Bestand von rund 500 Metern Schriftgut ist das größte und wichtigste zu diesem Thema. Bislang finanziert sich die Gesellschaft vor allem durch zeitlich begrenzte Projektförderungen. Weissbach betonte, dass die Gesellschaft ihre Arbeit unter diesen unsicheren Bedingungen auf Dauer jedoch nicht mehr fortsetzen kann. Er appellierte deshalb an die Abgeordneten im Kulturausschuss, die Havemann-Gesellschaft in die dauerhafte institutionelle Förderung aufzunehmen. Er erinnerte an ein entsprechendes Versprechen im Koalitionsvertrag.

Situation der Opfer Harsche Kritik an der Bundesregierung, namentlich am Justizministerium übte der Vorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, Rainer Wagner. Die geplante Erhöhung der Opferrenten von derzeit maximal 250 auf 300 Euro monatlich sei allenfalls ein „Tropfen auf den heißen Stein“. Den Opfern des SED-Regimes ginge es heute durchschnittlich schlechter als den Mitläufern oder den Tätern des Systems. Wagner monierte, dass ein Gesprächsangebot der Opferverbände an das Justizministerium zur Novellierung des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes bis heute unbeantwortet geblieben sei. Wagner verband seine Kritik mit dem Hinweis, dass im Gegensatz dazu die Vertreter der Pharma-Industrie an der Formulierung von Gesetzen mitwirken dürften.

Einhellig als „empörend“ verurteilten die Sachverständigen den Diebstahl von sieben weißen Gedenkkreuzen für die Berliner Mauertoten am Spreeufer durch die Künstlergruppe „Zentrum für politische Schönheit“. Diese hat die Kreuze nach eigenen Angaben an die EU-Außengrenzen transportiert, um auf den Tod von tausenden Flüchtlingen aus Afrika bei der Überwindung dieser „neuen Mauer“ aufmerksam zu machen.