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ASYL : Flucht und Verantwortung

Die Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen sorgt für Streit unter den Fraktionen

10.11.2014
2023-08-30T12:26:23.7200Z
3 Min

Die Zahlen lassen nicht die Einzelschicksale erkennen, die sich hinter ihnen verbergen, aber sie verdeutlichen die Dimensionen des weltweiten Flüchtlingsdramas, das den Bundestag am Donnerstag in gleich drei Debatten beschäftigte: Etwa 18 Millionen Menschen sind über Grenzen geflohen, rund 33 Millionen sind Binnenvertriebene, wie der Innenausschuss-Vorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) konstatierte. Allein in Libyen stiegen „jede Woche bis zu 4.000 Flüchtlinge in ein Boot nach Europa“, sagte Andrea Lindholz (CSU) unter Berufung auf die EU-Grenzschutzagentur Frontex. „Fast zwei Prozent aller Flüchtling im Mittelmeer sind darin ertrunken. In diesem Jahr gab es allein bis Ende August mindestens 3.200 Tote“, beklagte Ulla Jelpke (Die Linke). Insgesamt werden in Deutschland im laufenden Jahr mehr als 200.000 Flüchtlinge erwartet, wie Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) erläuterte. Die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik, bilanzierte Bosbach, sei neben dem „Kampf gegen den Terror des sogenannten Islamischen Staates (...) sicherlich die größte internationale und europäische Herausforderung sowie auch innenpolitische Herausforderung bei uns“.

Zwei Novellen Eine Antwort auf diese Herausforderung soll eine Änderung des Bauplanungsrechts zur erleichterten Unterbringung von Flüchtlingen sein. Einen entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesrates (18/2752) verabschiedete der Bundestag in geänderter Fassung (18/3070) bei Enthaltung der Grünen gegen die Stimmen der Linksfraktion. Am Freitag passierte der Gesetzesbeschluss auch den Bundesrat. Danach dürfen die Kommunen Unterkünfte für Flüchtlinge auch in Gewerbegebieten und an den Stadträndern errichten.

Mit der Koalitionsmehrheit beschloss der Bundestag zudem eine Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes, mit der die Bedingungen für Flüchtlinge in Deutschland verbessert werden sollen. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/2592) soll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 umgesetzt werden. Das Gericht hatte die Geldleistungen für Asylbewerber für unvereinbar mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum erklärt und eine transparente Berechnung der Bedarfssätze gefordert. Vorlagen der Linken (18/2871) und der Grünen (18/2736) zur Aufhebung des Asylbewerberleistungesgesetzes fanden keine Mehrheit.

Die Linke scheiterte auch mit einem Vorstoß für einen Kurswechsel in der EU-Flüchtlingspolitik. Bei Enthaltung der Grünen lehnte der Bundestag einen Antrag der Linksfraktion (18/288) ab, die darin unter anderem sichere Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge, eine gemeinsame Aufnahmeaktion zur Entlastung der Nachbarstaaten Syriens und eine Auflösung von Frontex gefordert hatte. Auch plädierte Die Linke für eine Änderung der sogenannten Dublin-Verordnung, „so dass Asylsuchende die Wahl haben, in welchem der Mitgliedsstaaten sie ihr Asylverfahren durchführen wollen“.

In der Debatte betonte Bosbach, angesichts der „dramatischen“ Flüchtlingsproblematik sei die Frage legitim, ob Deutschland nicht noch mehr für Flüchtlinge machen könne. Der Antrag sei jedoch eine gegen die Flüchtlingspolitik Deutschlands gerichtete „Anklageschrift“, die der Realität in keiner Weise gerecht werde. Deutschland nehme 2014 mehr Flüchtlinge auf als Portugal, Spanien, Italien und Griechenland zusammen. Dabei seien viele Kommunen an den Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit. Notwendig sei, Fluchtursachen und Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Auch brauche man einheitliche Mindeststandards bei der Aufnahme von Flüchtlingen in allen EU-Ländern.

Jelpke forderte eine „grundlegende Änderung“ der europäischen Flüchtlingspolitik. So müsse das „unwürdige Dublin-System abgeschafft werden, mit dem Schutzsuchende gezwungen werden, in dem Land Asyl zu beantragen, das sie zuerst betreten“. Sie warnte zugleich, je dichter die Abschottung Europas sei, desto gefährlicher würden die Flucht- routen, was die Todeszahlen in die Höhe treibe. Von den Verantwortlichen dieser Flüchtlingspolitik sei jedoch nichts außer „Betroffenheitsfloskeln“ zu hören. So habe Italien die EU um Unterstützung bei seiner Rettungsaktion „Mare nostrum“ gebeten, doch sei kein anderer EU-Staat bereit gewesen, sich an den Kosten von monatlich neun Millionen Euro zu beteiligen. Vielmehr habe die EU nun den „Triton“-Einsatz zur Grenzüberwachung begonnen, der drei Millionen Euro koste und „noch mehr Abschottung“ bedeute.

Die SPD-Abgeordnete Christina Kampmann nannte Zweifel an „Triton“ berechtigt. Zwar sei es richtig, „Mare nostrum“ durch ein europäisches Programm zu ersetzen, weil man gemeinsam Verantwortung an den gemeinsamen Außengrenzen übernehmen und Flüchtlinge in Seenot retten müsse. Dazu müsse „Triton“ mindestens genauso gut ausgestattet sein wie „Mare nostrum“. Kampmann warb zugleich dafür, das Dublin-Verfahren mit einem Quoten-System zu reformieren, das sich an Kriterien wie Wirtschaftswachstum und Bevölkerungszahl orientieren könne.

Luise Amtsberg (Grüne) sagte, „Mare nostrum“ hätte von Anfang an ein europäisches Programm sein müssen. In wenigen Wochen werde „Mare nostrum“ eingestellt, weil die EU-Staaten es nicht finanzieren wollten. Da „Triton“ nur einen Küstenstreifen überwache, sei die Rettung von Flüchtlingen auf hoher See nicht gesichert. Daher frage sie sich, wer diese Aufgabe künftig übernehmen solle.