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Verkehr : Die Quadratur des Kreises

Pkw-Fahrer sollen ab 2016 für die Nutzung deutscher Autobahnen zahlen. Einheimische erhalten das Geld zurück

17.11.2014
2023-08-30T12:26:24.7200Z
6 Min

Kritik bis hin zum offenen Spott kam von allen Seiten. Kaum jemand glaubte daran, dass es etwas werden würde mit der umstrittenen Pkw-Maut. Doch jetzt präsentiert Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) der Öffentlichkeit seinen Gesetzentwurf zur Pkw-Maut, die nunmehr offiziell in „Infrastrukturabgabe“ umgetauft wurde.

Bis zuletzt hatte Dobrindt es dabei mit vielen Kritikern zu tun. Selbst aus dem eigenen parteipolitischen Lager gab es vereinzelten Widerstand. Zuletzt musste Dobrindt noch den Widerstand aus einzelnen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen überwinden. Dort befürchteten die Landesregierungen, bei einer neuen Maut, die Dobrindt für alle Autofahrer ursprünglich auch auf Kreis- und Landesstraßen ausdehnen wollte, dass „der kleine Grenzverkehr“ ins benachbarte europäische Ausland Einbußen für die Regionen mit sich bringen würde.

Bedenken der Kommunen Selbst aus bayerischen Kommunen waren dabei Bedenken laut geworden, die eine nachteilige Entwicklung im grenznahen Tourismus befürchteten. Doch nun können Franzosen, Niederländer, Belgier und auch Österreicher weiterhin unbelastet durch eine etwaige Straßenbenutzungsgebühren auf beiden Seiten der Grenze einkaufen. Eine Maut für Landes- und Kreisstraßen ist erst einmal vom Tisch – eine der vielen kleinen Gefechte, die Dobrindt in Sachen Pkw-Maut auszufechten hatte. Zuvor schlugen dem Minister noch Querschüsse und Indiskretionen aus dem mächtigen Bundesfinanzministerium entgegen, das angeblich eigene Mautpläne verwirklichen wollte.

Nicht zu vergessen der Widerstand aus Europa: Deutschlands Nachbarstaaten sind nicht gerade begeistert, dass die Deutschen nun auch ausländische Fahrzeughalter an den Kosten des Transitverkehrs beteiligen wollen. Doch auch diese Hürde scheint mit dem Gesetzesentwurf genommen zu sein. Was Dobrindt gelungen ist, ist demnach so etwas wie die Quadratur des Kreises oder die Verwürfelung der Kugel: Danach müssen deutsche Autofahrer ab 2016 nun im Schnitt 88 Euro jährlich für die Nutzung aller (Bundes-)Straßen berappen – unabhängig davon, welche Straßen sie tatsächlich benutzen. Alle deutschen Kfz-Halter sollen im Gegenzug über die Kfz-Steuer so entlastet werden, dass unter dem Strich niemand mehr bezahlen muss. Deshalb muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch noch einen Gesetzentwurf zur Novellierung der Kfz-Steuer vorlegen. in dem dies geregelt wird.

Gerade die Tatsache, dass die neue „Infrastrukturabgabe“ im wesentlichen kostenneutral für deutsche Kfz-Halter sein wird, aber ausländische Kraftfahrer zur Kasse bittet, hatte lange Zeit die EU-Kommission in Brüssel auf den Plan gerufen. Sie befürchtete eine Benachteiligung und Diskriminierung ausländischer Autofahrer. Doch mit der nun gefundenen „europarechtskonformen“ Regelung sind sich die Maut-Experten in Dobrindts Ministerium sicher, dass alle EU-Hürden genommen werden können. „Die Pflicht zur Zahlung der Infrastrukturabgabe besteht unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Wohnort des Nutzers und unabhängig vom Ort der Zulassung des Kraftfahrzeugs. Alle Nutzer des deutschen Bundesfernstraßennetzes tragen künftig zu dessen Finanzierung bei. Die Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Nutzung des deutschen Bundesfernstraßennetzes stellt somit, auch in Kombination mit entsprechenden Steuerentlastungsbeträgen bei der Kraftfahrzeugsteuer für Halter von im Inland zugelassenen Fahrzeugen, keine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar“, heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums.

Hoffnungsvolle Signale Und so kommen bereits auch die ersten hoffnungsvollen Signale aus Brüssel. Der inzwischen nicht mehr im Amt befindliche EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hatte sich noch „sehr zufrieden“ damit gezeigt, dass Deutschland „ernsthaft“ daran arbeite, den europäischen Bedenken Rechnung zu tragen. Die vorgetragenen Ideen gingen, so Kallas, in die richtige Richtung.

Das ist aber noch kein endgültiger Freifahrtschein von der EU-Kommission. Denn ab 1. November muss die neue Kommission entscheiden und die neue Verkehrskommissarin heißt jetzt Violeta Bulc. Auf ihr Urteil wird es am Ende ankommen – und auf den Ausgang einer Klage, die Österreich bereits jetzt gegen die deutschen Maut-Pläne angekündigt hat. Alles in allem steht aber für den Verkehrsminister fest, dass das Vorhaben „fair und sinnvoll“ sei. Alexander Dobrindt: „Wir sind gefordert, mehr Investitionen in unsere Straßen aufzubringen.“ Die Abgabe schaffe Gerechtigkeit, da so der Nutzer für die Straßen zahle. Die Infrastrukturabgabe ist für Dobrindt sinnvoll, weil jeder zusätzlich eingenommene Euro zweckgebunden in den Straßenbau investiert werde. Und 2,5 Milliarden Euro in einer Wahlperiode, das ist in der Tat keine Kleinigkeit.“ Und auch die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, lobte die vorgelegte Lösung. „Alexander Dobrindt hat eine wirklich gute Lösung gefunden. Mit der Maut sorgen wir dafür, dass künftig mehr Geld für die Straßen zur Verfügung steht. Wir sollten jetzt das Gesetzgebungsverfahren sachlich, ruhig und zielstrebig zu Ende bringen“, betonte die CSU-Landesgruppenvorsitzende. Insbesondere erhofft sich die Regierungskoalition, durch eine Ausweitung der Nutzerfinanzierung von öffentlichen Straßen eine größere Unabhängigkeit vom Bundeshaushalt und mehr Planungssicherheit für die Finanzierung von dringend erforderlichen Verkehrsinfrastrukturinvestitionen.

Bei so viel Einigkeit in der Regierungskoalition scheint der erbitterte Widerstand aus den Reihen der Opposition irgendwie unter die Räder oder den Autobahnasphalt gekommen zu sein. Noch vor wenigen Wochen, bei der Generaldebatte im Parlament zum neuen Bundeshaushalt 2015, gab es zu den Maut-Plänen der Regierung kräftige Worte: Linken-Fraktionschef Gregor Gysi forderte die Bundesregierung auf, ihre Pläne für eine Pkw-Maut ganz beiseite zu legen. „Lassen Sie den ganzen Quatsch mit der Maut. Das bringt nichts, liebe CSU, packen Sie die einfach weg“, rief er den Abgeordneten der CSU zu. Und auch der Grünen-Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler sprach von einer „unsinnigen Schwachsinns-Pkw-Maut von der CSU“. Sie werde ein „großes bürokratisches Monster“, führe nicht zu mehr Einnahmen und versündige sich am europäischen Gedanken.

Unsichere Einnahmeprognosen Denn so sicher, wie die Maut heute bereits parlamentarisch beschlossene Sache sein dürfte, so unsicher sind die Aussagen darüber, wie viel Geld sie am Ende wirklich in die Kassen des Bundesverkehrsministers spülen wird. Insgesamt soll die „Infrastrukturabgabe“, so rechnet das Bundesverkehrsministerium vor, 3,7 Milliarden Euro im Jahr einbringen. Drei Milliarden kommen dabei von deutschen Autofahrern, die sie über die Kfz-Steuer wieder zurückbekommen. Auf rund 500 Millionen Euro werden die Einnahmen aus der Maut durch ausländische Pkw-Fahrer geschätzt. Als so genannte „Systemkosten“ veranschlagt das Bundesverkehrsministerium rund 200 Millionen Euro jährlich.

Kritiker bezweifeln jedoch diese Zahlen und kalkulieren mit wesentlich höheren Kosten. So rechnet der ADAC-Verkehrsexperte Jürgen Albrecht vor, dass der Ausländeranteil am Pkw-Verkehr auf den deutschen Straßen nur bei 6,7 Prozent liegt. „Ich sehe nicht, wie 500 Millionen Euro erwirtschaftet werden sollen, wenn diese 6,7 Prozent dann auch nur noch für Autobahnen zahlen.“ Die in Dobrindts Ministerium veranschlagten Zahlen hält Albrecht deshalb für zu optimistisch. Ebenso seien die Systemkosten zu niedrig angesetzt. So sei im Entwurf des Ministers bisher nur von Betriebs- und Personalkosten die Rede, nicht aber von den Kosten für die Kontrolle der neue Maut. Zudem lässt sich kaum einschätzen, inwieweit die Infrastrukturabgabe das Fahrverhalten von Ausländern in Deutschland verändern wird.

Eine Einschätzung, die auch der Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur, Martin Burkert (SPD), teilt. Sein Fazit: „Wir werden den Gesetzesentwurf im weiteren parlamentarischen Verfahren intensiv und kritisch prüfen. Man wird sehen ob Alexander Dobrindts Maut unterm Strich wirklich signifikante Einnahmen für Deutschlands Verkehrsinfrastruktur bringt oder ob die bürokratische Umsetzung letztlich mehr kostet als sie tatsächlich an zusätzlichen Einnahmen einbringt.“ Aber noch ist es nicht soweit: Dobrindts Gesetzesentwurf ist derzeit noch in der Ressortabstimmung der Bundesregierung. Anschließend muss das Kabinett ihn verabschieden. Erst dann wird er dem Deutschen Bundestag zugeleitet, der ihn als Gesetzgeber verabschieden muss. Änderungen sind da noch möglich. Wirksam werden soll sie im Jahr 2016.

Der Autor ist freier Wirtschaftsjournalist in Bonn.