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STEUEROASEN : Luxemburger Sparmodell für multinationale Konzerne am Pranger

EU-Kommissionspräsident Juncker steht unter Zugzwang: Bundestag und EU-Parlament fordern Maßnahmen gegen Tricksereien von Unternehmen in Europa

17.11.2014
2023-08-30T12:26:24.7200Z
3 Min

Kaum im Amt, ist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mächtig in Bedrängnis geraten: Ihm wird vorgeworfen, als langjähriger luxemburgischer Finanzminister und Ministerpräsident mitverantwortlich zu sein für massive Steuervergünstigungen für internationale Konzerne in Luxemburg. Deutsche Journalisten hatten Anfang November aufgedeckt, dass Unternehmen – auch deutsche – mit Unterstützung Luxemburgs Steuerzahlungen in Milliardenhöhe umgehen. So haben die Steuerbehörden des Landes gemeinsam mit einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen Finanzmodelle entwickelt, mit denen es den Konzernen gelingt, teils weniger als ein Prozent Steuern auf Gewinne zu zahlen.

Unglaubwürdig Für die Abgeordneten des Bundestages ein Skandal, wie vergangene Woche eine von der Linksfraktion anberaumte Aktuelle Stunde deutlich machte. Dass die Unternehmen ihre Steuerlast derart reduzieren könnten, sei ein „unerträglicher Zustand“, schimpfte etwa der Wirtschaftsexperte der Linksfraktion, Klaus Ernst. Jeder normale Bürger, bei dem die Steuer vom Lohn abgezogen werde, müsse sich angesichts dieser Verhältnisse in Europa als „Volltrottel“ vorkommen. Mit Juncker werde jetzt zudem der Bock zum Gärtner gemacht: „Wie soll er glaubhaft gegen Steuervermeidung vorgehen, wenn er selber in der Rolle, die er vorher spielte, offenbar massiv an solchen Dingen beteiligt war?“, fragte Ernst.

Sein Fraktionskollege Richard Pitterle betonte, es sei „absurd“ anzunehmen, dass Juncker von alldem nichts gewusst habe. Man müsse sich daher fragen, ob er der Richtige für den Posten des Kommissionspräsidenten sei. Pitterle machte zudem konkrete Vorschläge, wie gegen den „schädlichen Steuerwettbewerb“ zwischen den Staaten vorgegangen werden sollte: Steuern müssten grundsätzlich da gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfinde. Außerdem müsse es eine generelle Anzeige- und Registrierungspflicht für Steuergestaltungsmodelle geben.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), verwies auf eine Reihe von Maßnahmen, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in den vergangenen fünf Jahren bereits angeschoben habe, um die „beklagenswerten Zustände“ in Teilen Europas zu verändern. So habe der Minister den im Juli 2013 gestarteten BEPS-Aktionsplan der OECD für einen fairen internationalen Steuerwettbewerb mit angestoßen. „Wenn wir damit zu Ende gekommen sind, wird das ein weiterer Quantensprung in der internationalen Steuerpolitik zu mehr Fairness und Gerechtigkeit bei der Besteuerung von Konzernen sein“, betonte Kampeter. Zudem hätten gerade Finanzminister aus 50 Staaten eine Vereinbarung zum automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen unterzeichnet. Im nächsten Schritt müsse es darum gehen, auf europäischer Ebene einen Verhaltenskodex zu entwickeln, um die Grenze zwischen Legalität und Legitimität schärfer zu formulieren. „Wir sind Treiber der Entwicklung“, stellte der Unionspolitiker im Namen der Bundesregierung klar.

Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lothar Binding, betonte, dass auch der Finanzausschuss sich seit langem für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und das Schließen von Steuerschlupflöchern engagiere. Diese Aktivitäten mündeten jetzt in die BEPS-Initiative. Binding räumte aber auch ein: „Es ist viel hinter unserem Rücken passiert.“ Ihn erschrecke, „wie wenig wir wirklich gewusst haben“. Der Ecofin-Rat, der sich mit allen wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen der EU-Politik befasst, müsse in Zukunft mehr wissen, die Parlamente müssten besser informiert werden.

Mehr Transparenz Nach Ansicht von Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, tut die Bundesregierung auf EU-Ebene „eindeutig zu wenig“. Es reiche nicht, dass die Steuerbehörden untereinander Informationen austauschen. Es müsse auch sichergestellt werden, dass Vereinbarungen zwischen Steuerbehörden und Unternehmen – so genannte Tax Rulings – veröffentlicht und registriert würden. Außerdem brauche es ein „Country-by-Country-Reporting“, also Transparenz darüber, wo Gewinne gemacht und wo sie versteuert werden. Er hoffe, dass die Bundesregierung sich als Konsequenz aus den jüngsten Enthüllungen endlich bewege, mahnte Schick.

Juncker, der 18 Jahre lang Ministerpräsident Luxemburgs war, will jetzt mit Taten verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. In einer außerordentlichen Aussprache im Europäischen Parlament (EP) sicherte er vergangene Woche zu, „keinen ungebührlichen Einfluss“ auf die Ermittlungen von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zu nehmen. Außerdem kündigte er an, dass die Finanzämter der EU-Staaten künftig automatisch Daten über Steuerregeln in der EU austauschen sollen. Seine Kommission wolle Steuerflucht und Steuerbetrug bekämpfen, stellte Juncker klar.

Sein entschlossener Auftritt in Brüssel hat die Gemüter vorerst etwas beruhigt. Doch die Abgeordneten erwarten, dass Juncker jetzt weitreichende Vorschläge für ein gerechteres Steuersystem in Europa macht. „Andernfalls verliert er als Kommissionspräsident seine Glaubwürdigkeit und muss gehen“, betonte der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold.