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Stasi : Aktenlage

Experten-Kommission zum Umgang mit dem Erbe der SED-Diktatur hat sich konstituiert

01.12.2014
2023-08-30T12:26:24.7200Z
4 Min

Fast 40 Jahre lang hat das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, die Stasi, die Menschen des sozialistischen Staates bespitzelt und tyrannisiert. Am 15. Januar 1990 setzten Bürger dem ein symbolisch wirkmächtiges Ende: Sie stürmten und besetzten die Stasi-Zentrale an der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg.

Bereits in den Wochen zuvor hatten Bürgerrechtler Bezirks- und Dienststellen der Stasi in anderen Städten übernommen, um zu verhindern, dass dort Akten vernichtet werden. Mit der Besetzung der Stasi-Zentrale fiel nach der Mauer ein weiteres Herrschaftssymbol der SED-Diktatur. Es begann bald danach die Aufarbeitung des Unrechts, das Abertausenden DDR-Bürgern durch den Geheimdienst angetan worden war.

Dieser Prozess dauert bis heute an. Die Frage, wie das künftig unter anderem institutionell umgesetzt werden kann, ist Gegenstand einer Expertenkommission, die sich am vergangenen Donnerstag in Berlin konstituierte. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erinnerte zu Beginn der Sitzung an die Ereignisse rund um die Normannenstraße. Es seien damals eindrucksvolle Bilder im Fernsehen zu sehen gewesen, die er in „lebhafter Erinnerung“ habe. Doch sei die Erstürmung und Besetzung eben nicht nur von symbolischer, sondern auch von großer „operativer Bedeutung“ gewesen. Schließlich hätten die DDR-Bürger die Vernichtung weiterer Stasi-Unterlagen erfolgreich verhindert und so eine Aufarbeitung ermöglicht. Lammert wies die Kommissionsmitglieder darauf hin, dass sie vor einer „ganz besonderen, ganz besonders delikaten Fragestellung“ stünden – denn in den Unterlage geht es um die Biografien vieler noch lebender Personen.

Vorsitzender gewählt Vorsitzender der Kommission ist Wolfgang Böhmer (CDU). Der ehemalige Ministerpräsident Sachsen-Anhalts wurde einvernehmlich in dieses Amt gewählt, Gegenkandidaten gab es keine. Die Experten wurden nach Fraktionsproporz in das Gremium entsandt: Die CDU/CSU schlug sieben Mitglieder vor, die SPD fünf, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen schickten jeweils einen Experten. Keines der Mitglieder ist im Bundestag oder Bundesrat aktiv.

Die Expertenkommission soll bis Frühjahr 2016 Empfehlungen auf Grundlage des Gedenkstättenkonzeptes des Bundes ausarbeiten, wie die Aufgaben der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) künftig fortgeführt werden sollen. Dabei geht es zum Beispiel um die Frage der institutionellen Trägerschaft, ob zum Beispiel die Behörde im Bundesarchiv aufgehen sollte oder nicht.

Die Diskussion darüber schwelt schon seit längeren. In der vergangenen Legislaturperiode setzte die schwarz-gelbe Koalition zunächst durch, die BStU in dieser Form bis 2019 zu erhalten. Im Sommer dieses Jahres verabschiedete der Bundestag schließlich einen Antrag zur Einsetzung der Kommission, den die Fraktionen von Union, SPD und Grünen gemeinsam ausgearbeitet hatten.

Der Einsetzungsbeschluss gibt vor, dass sich die 14 Kommissionsmitglieder unter anderem mit der Erfassung, Verwahrung und Verwaltung der Stasi-Unterlagen und deren Verwendung sowie mit der Zukunft der Außenstellen der Behörde beschäftigen sollen. Im Grunde soll sich wenig an der aktuellen Situation ändern. Der Zugang zu den Akten soll grundsätzlich so bleiben, wie ihn das Stasi-Unterlagen-Gesetz derzeit gewährt. Auch der Bestand soll in Gänze erhalten bleiben, personenbezogene Daten sollen auf keinen Fall vernichtet werden.

Die Unions-Fraktion schickte neben Böhmer unter anderem Wolfgang Wieland, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen, sowie Rainer Wagner, den Bundesvorsitzenden der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft sowie Vorsitzenden der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, in die Kommission.

Die SPD-Fraktion hat unter anderem den früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) in die Kommission entsandt, der sich auch während seiner parlamentarischen Laufbahn intensiv mit dem Themenkomplex auseinandergesetzt hatte. Ebenfalls von den Sozialdemokraten aufgestellt wurde Klaus-Dietmar Henke. Der Historiker war von 1992 bis 1996 Leiter der Abteilung Bildung und Forschung beim BStU.

Die Linke entsandte Silke Satjukow, Professorin für Geschichte der Neuzeit an der Universität Magdeburg. Für die Grünen sitzt der Politikwissenschaftler Peter Wurschi von der Stiftung Ettersberg in dem Gremium.

Wohin die Reise geht, ist noch offen. Böhmer betonte, dass es noch „keinen Meinungskonsens“ gebe – dafür sei schließlich die Kommission eingerichtet worden. Gegenüber der Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte der 78-Jährige jüngst, dass die Behörde nicht „ohne Weiteres“ aufgelöst werde, denn es gebe noch zahlreiche Betroffene, die in ihre Akten einsehen wollen.

Grundlagen Die Akten der Staatssicherheit werden bisher durch die BStU verwaltet. Bereits zu DDR-Zeiten und unmittelbar nach der Wiedervereinigung hatte sich der jetzige Bundespräsident Joachim Gauck als Sonderbeauftragter um den Umgang mit dem Geheimdienstarchiv gekümmert. Mit Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes 1991 wechselte Gaucks Amtsbezeichnung. Seine Nachfolgerin wurde 2001 Marianne Birthler. Seit 2011 leitet Roland Jahn die Behörde. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz regelt unter anderem, wer unter welchen Umständen Zugang zu den Unterlagen erhält.