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Interview mit Sven C. Kindler : »Dickes, fettes Minus«

Der Haushaltssprecher der Grünen-Fraktion wirft Schäuble Schattenwirtschaft vor und plädiert für einen Energiesparfonds

01.12.2014
2023-08-30T12:26:24.7200Z
5 Min

Herr Kindler, am vergangenen Freitag hat der Bundestag den Haushalt 2015 verabschiedet. Erstmals seit 1969 will der Bund im kommenden Jahr keine neuen Schulden machen. Das Ziel einer ,,Schwarzen Null“ ist erreicht. Ein guter Tag für Deutschland?

Nein. Ich will gerne zugeben, dass Wolfgang Schäuble eine gute Marketingstrategie hat, aber er setzt trotzdem die alte Schuldenpolitik fort.

Halten Sie den Haushalt wirklich für ausgeglichen?

Nein, das auf keinen Fall. Dieser Haushalt ist nicht ausgeglichen. Wolfgang Schäuble versteckt seine Schulden trickreich in Schattenhaushalten. Dieser Haushalt hat unter dem Strich ein dickes, fettes Minus in der Bilanz.

Welche Tricksereien meinen Sie?

Schäuble holt sich das Geld nicht mehr bei den Banken, dafür nimmt er aber Schulden bei den Beitragszahlern und bei der Infrastruktur auf. 2,5 Milliarden Euro holt er sich aus dem Gesundheitsfonds und rund sieben Milliarden Euro für die Mütterrente nimmt er systemfremd aus der Rentenkasse, obwohl diese wichtige Aufgabe aus Steuermitteln zu leisten ist. Außerdem zerfällt die Infrastruktur, der Investitionsbedarf und damit versteckte Schulden werden in die nächsten Jahre verschoben. Als wäre das nicht genug, plant Schäuble eine Neuauflage von öffentliche-private Partnerschaften (ÖPP). Das sind Schattenhaushalte, mit denen er die Schuldenbremse umgeht. ÖPP-Projekte führen zu Milliarden Euro Mehrkosten, wie der Bundesrechnungshof zeigt. Die ÖPP-Strategie der Bundesregierung ist ein gefährlicher und teurer Irrweg.

Aber ist es nicht besser, Finanzreserven abzubauen statt sich frisches Geld bei den Banken zu leihen?

Erstens kann man diesen Haushalt auch ausgleichen, indem man entrümpelt, umschichtet, Subventionen abbaut und Einnahmen verbessert. Man braucht sich, wenn man ordentlich am Haushalt arbeitet, zurzeit kein Geld bei den Banken zu leihen. Und zweitens zahlen für Schäubles Griff in Sozialkassen die Beitragszahler, also die kleinen und mittleren Einkommen. Große Einkommen werden geschont. Das ist unsolide und ungerecht. Fast alle gesetzlichen Krankenkassen haben für 2015 Zusatzbeiträge wegen der Plünderung des Gesundheitsfonds angekündigt. Die Rentenkasse ist durch das Rentenpaket 2018 leer. Diese Kosten werden also der nächsten Regierung vor die Füße gekippt. Schäuble frisiert so den Haushalt mit Blick auf 2017: Nach dem Wahltag ist dann Zahltag.

Sie kritisieren, dass zu wenig investiert wird. Aber es soll doch ein Zehn-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm geben.

Moment Mal. Das ist doch vor allem wieder eine Marketingstrategie von Wolfgang Schäuble. Substanziell ist das sehr dünn, völlig ernüchternd. Davon kommt nichts 2015. Es gibt im Haushalt 2015 kein Geld für den Breitbandausbau, Investitionen in Klimaschutz und die Energiewende muss man mit der Lupe suchen und auch die Investitionen in gute Bildung und Kitas sind viel zu gering. Ab 2016 soll es über drei Jahre gestreckt werden, das heißt pro Jahr nur – wenn überhaupt – drei Milliarden Euro mehr. Auch mit diesem Programm würde die Investitionsquote im Bundeshaushalt weiter sinken und zwar von zehn Prozent 2014 auf dann rund neun Prozent. Und davon ist nichts bisher solide gegenfinanziert. Schaut man genau hin, bleibt es ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Bundesregierung fährt diese Gesellschaft auf Verschleiß. Wir Grüne investieren dagegen über den Finanzplan insgesamt 20 Milliarden Euro mehr als Wolfgang Schäuble, ohne versteckte Schulden.

Wird der Haushalt auch am 31. Dezember 2015 ohne neuen Schulden sein?

Nein, denn der Haushalt hat jetzt schon viele versteckte Schulden bei den Sozialkassen und der Infrastruktur.

Welche Risiken sehen Sie?

Die Bundesregierung verlässt sich nur auf Steuermehreinnahmen, die Konjunktur und die historisch niedrigen Zinsen. Das ist das Prinzip Hoffnung und eine riskante Wette auf die Zukunft. Wolfgang Schäuble traut sich nicht an strukturelle Änderungen ran.

Die Grünen haben bei den Haushaltsberatungen zahlreiche Änderungsanträge gestellt. Erfolglos. Was wollten Sie ändern?

Wir haben rund 300 Änderungsanträge gestellt und so gezeigt, dass es gerechte und nachhaltige Alternativen zu Schäubles Haushalt gibt. Ich will kurz drei Schwerpunkte ansprechen. Wir wollen erstens, dass die Energiewende endlich wieder an Fahrt aufnimmt. Mit unserem drei Milliarden Euro schweren Energiesparfonds heben wir große Potenziale beim Klimaschutz, in dem wir Wohnungen und öffentliche Gebäude sanieren. Wir wollen zweitens eine Milliarde Euro für schnelles Internet von Stralsund bis Konstanz. Wir wollen drittens eine Milliarde Euro für die Unterstützung von Flüchtlingen in den Kommunen hier vor Ort einsetzen und auch die humanitäre Hilfe in Kriegsregionen wie Syrien, Irak oder dem Sudan deutlich erhöhen.

Ihre Vorschläge kosten Geld. Wo sollte das herkommen?

Pro Jahr verbrennt der Staat laut dem Umweltbundesamt 50 Milliarden Euro für umweltschädliche Subventionen. Davon kann man schnell rund neun Milliarden Euro abbauen, beim Flugverkehr, beim Erdöl, beim Agrardiesel oder bei schweren Dienstwagen. Außerdem ist der Staat strukturell unterfinanziert. Deswegen muss man auch die Einnahmeseite verbessern, beispielsweise durch die Abschaffung der ungerechten Abgeltungssteuer. Wir wollen stattdessen, dass Kapitaleinkommen endlich wieder progressiv wie der normale Arbeitslohn besteuert werden. Wir brauchen endlich mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland.

Wo wollten Sie konkret kürzen?

Wir entrümpeln den Haushalt. Zum Beispiel streichen wir das Betreuungsgeld. Bei Rüstungsdesastern können wir Milliarden einsparen, die Wirtschaftsfördersubventionen gehören dringend auf den Prüfstand und man muss beim Neu- und Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen deutlich kürzen, um die bestehenden Brücken und Straßen endlich zu erhalten.

Sie haben bei der Beratungen auch Änderungsanträgen der Koalition zugestimmt. Worum ging es da?

Wir haben im Haushalt insgesamt große Differenzen mit der Koalition, trotzdem haben wir auch an einzelnen, kleineren Stellen mit der Koalition gestimmt. Gute Beispiele sind hier die Förderung für das Bauhaus in Dessau und die Digitalisierung des Filmerbes. Aber auch den zusätzlichen Mitteln zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, wofür wir sehr lange Druck gemacht haben, haben wir zugestimmt.

Herr Kindler, die Fraktionsarbeitsgruppe Haushalt der Grünen hat vier Mitglieder, die entsprechenden Arbeitsgruppe der Union 20 Abgeordnete. Wie können Sie dagegenhalten?

Weil wir pfiffiger und aufgeweckter sind. Entscheidend ist nicht nur die Quantität, sondern vor allem die Qualität. Wir haben im Gegensatz zur Union noch Mut und Energie, wirklich etwas im Haushalt zu ändern und nicht nur zu verwalten.

Sven-Christian Kindler (29) ist seit diesem Jahr haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der Abgeordnete aus Hannover wurde 2009 erstmals in den Bundestag gewählt und ist seit 2013 Sprecher der Landesgruppe Niedersachsen seiner Fraktion.