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SYRIEN-FLÜCHTLINGE : Viel getan, viel zu tun

Opposition will Aufnahme ausdehnen. Regierung: Schwerpunkt bei Hilfe vor Ort

08.12.2014
2023-08-30T12:26:25.7200Z
4 Min

Die Zahlen, die die Grünen-Abgeordnete Luise Amtsberg und andere vergangene Woche in der Bundestagsdebatte über die Aufnahme syrischer Flüchtlinge nannten, sind mehr als bedrückend, verbergen sich dahinter doch Einzelschicksale voll Not und Leid: „13 Millionen Menschen sind in der Region (...) auf der Flucht. Es gibt sieben Millionen Binnenvertriebene in Syrien und drei Millionen Vertriebene im Libanon, in Jordanien und in der Türkei. Fast zwei Millionen Iraker fliehen seit Jahresbeginn vor dem Terror des IS“, rechnete Luise Amtsberg vor, als sie den Antrag ihrer Fraktion vorstellte, die Aufnahme syrischer und irakischer Flüchtlinge auszuweiten (18/3154).

Die Vorlage stand zusammen mit einer Großen Anfrage der Grünen-Fraktion zur „Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland“ (18/2999) erstmals auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums. Danach soll die Bundesregierung unter anderem ein zusätzliches Kontingent zur Aufnahme weiterer 20.000 Flüchtlinge aus den beiden Bürgerkriegsstaaten auflegen. Amtsberg verwies darauf, dass die Aufnahme von Kontingentflüchtlingen eine Möglichkeit legaler Zuwanderung biete, die man stärken müsse.

Zahlen nannte auch Ole Schröder (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, um zu belegen, „dass sich Deutschland der Sache der syrischen Flüchtlinge annimmt wie kaum ein anderes Land außerhalb der Krisenregion“. Dies gelte für die vorrangige Hilfe vor Ort als auch für die Flüchtlingsaufnahme. Derzeit lägen die deutschen Leistungen für die Hilfe vor Ort bei 800 Millionen Euro, und seit Ausbruch des Konflikts hätten bereits rund 75.000 syrische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Schutz gefunden. „Deutschland wird allen Betroffenen in der Krisenregion weiterhin helfen“, versicherte Schröder, doch sei es „mit der Ankündigung von Kontingenten nicht getan“. Die Masse der Flüchtlinge erreiche man nur in der Region selbst, wo man „mit dem Geld am meisten tun“ könne. Daher werde der Schwerpunkt deutscher Hilfe auch künftig die Unterstützung vor Ort sein. Alles andere wie etwa Aufnahmeprogramme könne „nur für besonders Schutzbedürftige gelten und für solche Menschen, die besondere Beziehungen nach Deutschland haben“.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz (SPD), sagte, angesichts der „Menschenrechtskrisen“ wie in Syrien und dem Irak sei „unbestritten, dass wir uns mittelfristig auch auf mehr Asylsuchende einstellen“ müssten. Zugleich dürfe man aber auch die europäischen Partner nicht aus der Verantwortung für die syrischen Flüchtlinge lassen. Dass in der EU fünf Staaten 75 Prozent der Schutzsuchenden aufnehmen, könne „nicht dazu verleiten, von einer tatsächlichen europäischen Solidarität zu sprechen“. Özoguz mahnte zudem, in Europa alles zu tun, damit die Asyldiskussion nicht „auf dem Rücken der Schutzsuchenden ausgetragen wird“.

Wie notwendig solche Warnungen sind, machte für Die Linke ihre Parlamentarierin Petra Pau deutlich, die vor einer wachsenden Ausländerfeindlichkeit in Deutschland warnte und gleichfalls bestürzende Zahlen nannte: In den ersten neun Monaten dieses Jahres seien „bundesweit 29 gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge, 23 Brandanschläge auf Unterkünfte, 27 Sachbeschädigungen an Unterkünften sowie 194 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen“ registriert worden, sagte die Bundestagsvizepräsidentin. Im statistischen Durchschnitt finde täglich eine fremdenfeindliche Aktion statt. „Wir erleben zunehmend Pogromstimmungen wie Anfang der 1990er Jahre“, sagte Pau. Darauf müsse „die Bundespolitik endlich reagieren“. Die „Würde der Menschen in Not, der Flüchtlinge“ müsse einen höheren Stellenwert bekommen als bisher. Auch mehrten sich die Beispiele, dass Mitglieder der an vielen Brennpunkten aktiven „Willkommensinitiativen“ „mit Gewalt und Morddrohungen von Nazis überzogen werden“. Solche Bedrohungen müsse die Polizei ernster nehmen.

Die CDU-Abgeordnete Nina Warken hob hervor, dass es derzeit in Deutschland „große Solidarität mit den Flüchtlingen“ gebe. Diese Solidarität sei „essentiell für die Akzeptanz unserer gesamten Flüchtlingspolitik“. Es gebe aber auch Ängste, mit denen man sorgsam umgehen müsse. Hinzu komme die Situation in den Ländern und Kommunen, die an ihrer Leistungsgrenze angekommen seien. Man brauche daher „keine Rufe nach immer mehr“, sondern eine „überlegte Strategie der umfassenden Hilfe“. Rund drei Viertel aller syrischen Flüchtlinge in Europa seien in Deutschland aufgenommen worden. Der Schwerpunkt der Hilfen liege jedoch in den Nachbarländern Syriens. Jeder Euro, der dort den Menschen zugutekomme, bewirke „das Doppelte und Dreifache“ wie hierzulande.

Wie Warken verwies die CSU-Parlamentarierin Andrea Lindholz darauf, dass Deutschland neben den in den vergangenen zwei Jahren bereitgestellten rund 800 Millionen Euro für die Hilfe vor Ort für die nächsten drei Jahre weitere 500 Millionen Euro an bilateraler Hilfe zugesagt habe. Sie erinnerte zudem daran, dass sich unter den syrischen Flüchtlingen mehr als fünf Millionen Kinder befänden. Auch darum sei es wichtig, dass sich Deutschland bei der Flüchtlingshilfe vor Ort massiv engagiert.

»Die Verletzlichsten« Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit regte an zu überlegen, wie man „Zureisemöglichkeiten beziehungsweise Aufnahmemöglichkeiten (...) für die Verletzlichsten“ schaffen könne. Dabei habe er vor allem Kinder im Blick, die zu Waisen geworden sind, sowie alleinstehende Frauen mit Kindern, die sich in einer noch verzweifelteren Lage befänden als andere.

Die SPD-Parlamentarierin Christina Kampmann betonte unter Verweis auf die bisher aufgenommenen Flüchtlinge, dass Deutschland „schon viel getan“ habe, sich darauf aber „nicht ausruhen“ dürfe. Bei einem Krieg wie in Syrien müsse es eine konstante Unterstützung geben. Angesichts der Millionen Syrien-Flüchtlinge werde aber „das, was wir tun können, niemals genug sein“. Deshalb sei die Forderung richtig, dass sich andere europäische Länder stärker zu ihrer humanitären Verantwortung bekennen müssen.