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TArIFEINHEIT : Einer für alle

Ein Betrieb, ein Tarifvertrag ist das Ziel der Regierung. Grüne und Linke sehen Streikrecht bedroht

09.03.2015
2023-08-30T12:27:57.7200Z
3 Min

Die parlamentarischen Beratungen über das Gesetz zur Tarifeinheit haben zwar erst begonnen. Aber schon jetzt ist klar, wer das letzte Wort darüber sprechen wird: das Bundesverfassungsgericht. Vor eben jenes will Rudolf Henke ziehen, Chef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. „Wir werden am Tag nach der Gesetzesverkündung Klage einreichen“, drohte er in der vergangenen Woche bei einer gemeinsamen Protestaktion kleinerer Gewerkschaften gegen den Gesetzentwurf (18/4062) der Bundesregierung. Dort hatten neben dem Marburger Bund, der Beamtenbund (dbb), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Pilotenvereinigung Cockpit den Entwurf als „offenen Grundrechtsbruch“ bezeichnet und seine Rücknahme verlangt. Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) war natürlich auch dabei, fühlt sie sich doch direkt angesprochen von dem Entwurf. Denn bei den seit Herbst 2014 andauernden Tarifstreitigkeiten zwischen der GDL und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) geht es um genau das, was die Große Koalition künftig verhindern will. Die Oppositionsfraktionen des Bundestages unterstellen der Bundesregierung nun, eine „lex Bahn“ schaffen zu wollen.

Konsens nach Mehrheit  Zentrales Ziel des Gesetzes soll es sein, Tarifkonflikte mehrerer Gewerkschaften eines Betriebes künftig zu verhindern und so die „Tarifautonomie zu sichern“. Der Entwurf sieht vor, die Tarifeinheit in einem Betrieb im Falle von Konflikten nach dem Mehrheitsprinzip zu ordnen: Können sich Gewerkschaften mit sich überschneiden Tarifverträgen nicht einigen, soll künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Die Belange der Minderheitsgewerkschaften sollen durch „flankierende Verfahrensregeln“ berücksichtigt werden. Dazu gehören ein vorverlagertes Anhörungsrecht gegenüber der verhandelnden Arbeitgeberseite und ein nachgelagertes Nachzeichnungsrecht. Letzteres bedeutet, dass die Minderheitsgewerkschaft den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft übernehmen kann.

Das alles klingt nicht nur kompliziert, sondern es ist auch kompliziert. Mehrere namhafte Rechtsexperten haben dazu bereits Gutachten verfasst, die zwar durchaus zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Allerdings sind die kritischen Töne, die den Gesetzentwurf als Eingriff in die Koalitionsfreiheit und damit auch in das Streikrecht bewerten, nicht zu überhören.

Die Koalitionsfreiheit garantiert das Grundgesetz in Artikel 9. Dort heißt es: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gehört dazu auch das Recht, Tarifverträge abzuschließen und für diese zu kämpfen.

Mehr Konkurrenz befürchtet  In der ersten Lesung des Gesetzentwurfes und eines Antrags der Linken (18/4184) am vergangenen Donnerstag lautete der zentrale Kritikpunkt von Linken und Bündnis 90/Die Grünen dann auch, die Bundesregierung wolle indirekt das Streikrecht aushebeln. Es sei „totale Augenwischerei“ zu behaupten, das Gesetz greife nicht in das Streikrecht ein, empörte sich Klaus Ernst (Die Linke). Denn vor Gericht würden nur jene Streiks als zulässig gelten, die dem Abschluss eines Tarifvertrages dienen. Und dieses Argument würde bei einem Streik einer Minderheitsgewerkschaft künftig wegfallen, wenn nur der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft gelten solle, argumentierte Ernst und forderte die Rücknahme des Gesetzentwurfes.

Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte bei den Grünen, stellte fest: „Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund für das Gesetz.“ Über eine nennenswerte Zahl von Tarifkollisionen habe ja selbst die Bundesregierung keine Erkenntnisse. Sie befürchtete außerdem, das Gesetz werde die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften eher noch fördern.

Diese Sorge teilen die Koalitionsfraktionen und die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), nicht. Nahles betonte, die gemeinsamen Interessen aller Beschäftigten sollten wichtiger sein als Machtpositionen innerhalb eines Betriebes. „Auch in Zukunft wird es kleine Gewerkschaften geben. Wir tasten das Streikrecht nicht an“, versicherte sie.

Der Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion, Karl Schiewerling, betonte, die „Malaise“ liege nicht beim Gesetzgeber, sondern darin, dass das Bundesarbeitsgericht 2010 aufgehoben habe, was zuvor 56 Jahre erfolgreich praktiziert worden sei, nämlich das Prinzip „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“. Aber wenn eine große Gewerkschaft sich nicht ernsthaft mit kleineren um den Betriebsfrieden kümmere, dann könne auch der kleinen Gewerkschaft der Streik nicht verboten werden, deutete Schiewerling mögliche Korrekturen am Entwurf an.

Bernd Rützel (SPD) zeigte sich überzeugt, dass große Gewerkschaften nur mit den kleinen zusammen erfolgreich sein könnten. Solidarität sei deshalb der Kerngedanke des Gesetzes. „Über die Zulässigkeit von Streiks werden auch künftig die Gerichte entscheiden“, betonte Rützel. Diese Ankündigung wird Klaus Ernst vermutlich nicht beruhigen.