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gesundheit : Die Leere auf dem Lande

Das Versorgungsstärkungsgesetz soll Überangebot und Mangel an Ärzten ausgleichen. Es regt sich Widerstand

09.03.2015
2023-08-30T12:27:57.7200Z
4 Min

Die Opposition wollte es ganz genau wissen. Das Versorgungsstärkungsgesetz von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) beinhalte 155 Änderungen, verkündete unlängst die Grünen-Fachfrau Maria Klein-Schmeink bei einer Gesundheitsdebatte im Bundestag und frohlockte: „Wir haben sie gezählt.“ Tatsächlich ist der Gesetzentwurf (18/4095), der vergangene Woche in erster Lesung auf der Tagesordnung des Plenums stand, opulent und beherbergt auf rund 280 Seiten etliche Regelungen, die dazu beitragen sollen, die medizinische Versorgung in Deutschland, die ja allseits gelobt wird, flächendeckend und wohnortnah für die Zukunft zu sichern.

Ganz neu ist der Ansatz freilich nicht: 2011 verabschiedete der Bundestag eine ähnlich klingende Vorlage, nämlich das GKV-Versorgungsstrukturgesetz, das 2012 in Kraft trat. Den Durchbruch bei der angestrebten sinnvollen regionalen Aufteilung der Mediziner hat es aber offensichtlich nicht gebracht. So kamen laut Statistik 2013 in Hamburg noch 151 Einwohner auf einen berufstätigen Arzt, im strukturschwachen Brandenburg waren es aber schon 276.

Ungleichgewichte  Im Jahresbericht 2014 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) ist von ärztlichen „Fehlverteilungen“ zwischen Stadt und Land sowie hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung die Rede. Der Vorsitzende des Gremiums, Ferdinand Gerlach, mahnte Ende vergangenen Jahres im Gesundheitsausschuss, bei den nötigen Kurskorrekturen dürfe keine Zeit verloren werden. Er warnte vor „Entleerungseffekten“, eine Horrorvorstellung der ländlichen Bevölkerung. In manchen Regionen müssen überdies laut Gerlach bis 2025 bis zu 80 Prozent der Hausärzte ersetzt werden. Derzeit geben pro Jahr rund 2.300 Hausärzte ihre Praxen altersbedingt auf. Nachfolger sind schwer zu bekommen, weil sich junge Ärzte gerne als Fachmediziner spezialisieren. Nun sollen Allgemeinmediziner gezielt angeworben und besser vergütet werden.

Die Parlamentarische Gesundheits-Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU), die bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfes für den grippekranken Gröhe sprach, machte klar, dass neue Wege beschritten werden müssten, um angesichts des demografischen Wandels und der veränderten Erwartungshaltungen junger Ärzte weiter überall ein hochwertiges Angebot machen zu können. Um den Krach mit den Medizinern (siehe Interview unten) zu entschärfen, erinnerte sie an die gemeinsame Verantwortung. Die niedergelassenen freiberuflichen Ärzte seien „das Rückgrat“ der ambulanten Versorgung. Haus- und Fachärzte seien für viele Familien wichtige Lebensbegleiter, oft über Generationen hinweg. Die bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Leistungen und die Förderung von Praxisnetzen oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) seien auch nicht als Abkehr von der niedergelassenen Praxis zu verstehen. Es sei zudem „blanker Unsinn“, wenn Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) behaupteten, das Gesetz werde zu einem massenhaften Praxissterben führen. Das Ziel sei nicht, Praxen zu schließen, sondern sie je nach örtlicher Versorgung nachzubesetzen oder auch nicht, wobei es der Ärzteschaft selbst überlassen werde, die jeweilige Versorgungslage zu beurteilen.

Auch die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar forderte die Mediziner auf, sich kooperativ zu verhalten. Der „Aufschrei“ der Ärzteschaft sei unverständlich und verunsichere die Patienten. Karl Lauterbach (SPD) versicherte, das Bewährte werde verbessert, ohne die Grundsätze infrage zu stellen. Die Probleme würden pragmatisch angegangen.

Georg Nüßlein (CSU) betonte, im Gesetz würden Anreize gesetzt für eine Stärkung der freiberuflichen niedergelassenen Ärzte. Es gebe keinen Anlass, das aufzugeben und die Verantwortung etwa auf die Krankenhäuser zu verlagern, sagte er mit Blick auf die von einigen Ärztefunktionären geäußerte Sorge.

Oppositionsanträge  In eigenen Anträgen skizzierten die Fraktionen von Bündnis 90/ Die Grünen (18/4153) und Die Linke (18/4187) ihre Vorstellungen von einer Reform der medizinischen Versorgung, die vor allem flexible Angebote beinhalten müsse. Die Linke verlangt ferner in einem Antrag (18/4099) die Abschaffung der Privaten Krankenversicherung (PKV) als Vollversicherung. Harald Weinberg (Linke) erklärte, das Hauptproblem sei eigentlich die PKV. Solange Ärzte für dieselbe Leistung bei Privatpatienten mehr Geld bekämen, bleibe es bei der Zweiklassenmedizin. Eine Folge seien die längeren Wartezeiten für Kassenpatienten. Jens Spahn (CDU) warf der Linken vor, damit die tatsächlichen Probleme zu verkennen. Es seien ja nur zehn Prozent der Bevölkerung überhaupt privat versichert, das könne kaum der Grund sein für längere Wartezeiten auf einen Facharzttermin.

Der Grünen-Gesundheitsexperte Harald Terpe gab jedoch zu bedenken, dass mit den geplanten Terminservicestellen das Problem der unterschiedlich langen Wartezeiten für gesetzlich und privat versicherte Patienten nicht im Grundsatz behoben werde. Terpe rügte, mit dem kleinteiligen Gesetz würden frühere Fehler in der Bedarfsplanung unzulänglich korrigiert. So beruhe die Bedarfsplanung auf veralteten Strukturen. Die nötige Reform werde nur halbherzig angegangen, sinnvoll wäre eine sektorenübergreifende Versorgung. Der Gesetzentwurf und die Anträge wurden zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. Eine Expertenanhörung ist für den 25. März eingeplant.