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versorgungsreform : »Das ist ein Gesetz mit Verschlechterungspotenzial«

Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen Terminservicestellen einrichten, sehen darin aber keinen Sinn

09.03.2015
2023-08-30T12:27:58.7200Z
4 Min

Herr Helming, Ärzte und die Politik streiten über die Gesundheitsversorgung. Sind die Mediziner reformunwillig?

Nein, reformunwillig nicht. Wir zeigen ja gerade in Brandenburg, wie viel Innovationskraft von den Kassenärztlichen Vereinigungen ausgeht, wenn man ihnen die Freiräume lässt. Die Politik hat aber die Rahmenvorgaben so eng gesetzt, dass man in der Innovationskraft eher behindert wird.

Was stört Sie an dem Versorgungsstärkungsgesetz der Regierung?

Die großen Schlagworte wie Praxisaufkauf oder Terminservicestellen sind wie Knochen, die dem Haushund vorgeworfen werden, während hinten herum das Haus ausgeräumt wird. In dem Gesetz sind viele subtile Änderungen vorgesehen, kleine Mosaiksteine, die zusammengesetzt die eigentliche Intention deutlich machen: Zentralisierung des Gesundheitswesens, Fokussierung auf stationäre Bereiche, Bevorzugung der Medizinischen Versorgungszentren und Benachteiligung der niedergelassenen Ärzte.

Die Politik behauptet das Gegenteil. Reden Sie aneinander vorbei?

Wir haben es in der Politik teilweise mit einer hochgradigen Unkenntnis zu tun. Es gibt auch ideologisch verbrämte Leute, die mit falschen Argumenten in die Diskussion gehen. Mit dem Gesetz wird die Chance vertan, alte Webfehler in der Finanzmittelbereitstellung zu korrigieren. Jetzt wird über „Hilfskrücken“ versucht, Versorgung zu strukturieren. Man muss von diesen falschen statistischen Schlüsselzahlen wegkommen zu einer am Bedarf ausgerichteten Ressource Arzt. Hier kommen wir leider nur schwer vorwärts.

Akzeptieren Sie denn grundsätzlich das Problem der regionalen Über- und Unterversorgung?

Jein. Wir reden über statistische Schlüsselwerte, die vor 20 Jahren eingeführt wurden, um die damals kritisierte Ärzteschwämme einzudämmen. Die Werte gelten bis heute fast unverändert und das ist falsch, weil sich im Gesundheitswesen vieles geändert hat in der Leistungsbreite und Leistungsverlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich. Wer an den Zahlen festhält, orientiert sich nicht am Versorgungsbedarf.

Was schlagen Sie also vor?

Ich habe als Modell die versorgungsauftragsbasierte Planung Arztsitzvergabe entwickelt, auf der Basis von Versorgungsforschungsdaten: Da wird zunächst gefragt, wie viele Menschen welchen Alters und welcher Morbidität wohnen in einer Region und welcher Versorgungsbedarf ergibt sich daraus. Es wird dann ein Versorgungsauftrag definiert, der beschreibt, welches Leistungsprofil Ärzte, die sich dafür bewerben, ausfüllen müssen. Auf diese Weise kommt es zu einer qualitativen Ressourcensteuerung. So könnten die jetzigen Defizite in der Zulassungsplanung verhindert werden. Im Versorgungsgesetz findet sich aber nicht einmal die Möglichkeit, ein solches Pilotprojekt zu starten.

Viele junge Ärzte scheuen die Arbeit auf dem Land. Woran liegt das?

Das hat etwas mit dem Wertewandel zu tun. Die jungen Leute ticken anders, die sind groß geworden in einer materiellen Welt und wollen nicht nur den ganzen Tag lang arbeiten, sondern auch ein erfülltes Privatleben haben, das nennt man heute „work life balance“. Viele junge Mediziner wollen auch keine Investitionsverantwortung übernehmen für eine eigene Praxis irgendwo auf dem Land. Außerdem muss für die Akademiker das Umfeld stimmen etwa mit geeigneten Schulen. Das ist im strukturschwachen Brandenburg gar nicht überall zu gewährleisten.

Wir haben deshalb hier das KV-Regiomed-Konzept entwickelt. In den Regiomed-Zentren arbeiten angestellte Ärzte in einer eigenen Einrichtung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), die so profiliert ist, dass keine Überkapazitäten entstehen. Die Jungärzte können dann erst einmal angestellt arbeiten und später immer noch entscheiden, ob sie doch eine eigene Praxis übernehmen wollen. Viele junge Ärzte pendeln auch von Großstädten in die Provinz, um dort zu arbeiten, weil sie die Vorteile der Großstadt nicht ganz missen möchten.

Im Gesetz ist auch vorgesehen, den stationären Bereich für ambulante Arbeit durchlässiger zu machen. Was finden Sie das?

Das Problem sind die starren Säulen. Der ambulante und stationäre Bereich sind derzeit finanziell und rechtlich so abgeschottet, dass es schwer ist, Brücken zu schlagen. In Templin gibt es ein Kooperationsmodell, wo klinische und niedergelassene Kompetenz im Krankenhaus zusammengeführt werden in der geriatrischen ambulanten Rehabilitation. Solche Modelle sollten stärker ausgebaut werden.

Warum mögen Sie die geplanten Terminservicestellen eigentlich nicht?

Objektiv sind die nicht nötig, das zeigt die praktische Erfahrung auch hier in Brandenburg. Es bringt auch nichts, weil die meisten Ärzte ohnehin überlastet und „zu“ sind mit Patienten und keine neuen Fälle, die von Servicestellen vermittelt würden, einschieben könnten. Patienten alternativ dazu in Kliniken zu vermitteln, wäre nicht wohnortnah, außerdem suchen Sie mal in der Pampa ein Grundversorgungskrankenhaus etwa mit Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten. Es gibt ja nicht mal mehr kinderärztliche Stationen. Wir können auch Patienten mit Augenproblemen nicht einfach zum Internisten in die Klinik vermitteln. Zudem fehlen in den Kliniken die nötigen ärztlichen Kapazitäten. Das ist also eine rein populistische Initiative.

Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft der Gesundheitsversorgung?

Wenn das Versorgungsgesetz so kommt, wie es jetzt angelegt ist, sehe ich eher Verschlechterungspotenzial.

Dr. Hans-Joachim Helming ist Facharzt für Gynäkologie in Bad Belzig und Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg.