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Ortstermin: Bürokomplexe des deutschen Bundestages : Namenspatrone des Berliner Parlamentsviertels

09.03.2015
2023-08-30T12:27:58.7200Z
3 Min

Zwölf Stunden wurde im Bonner Bundestagsplenum gestritten. Der Saal war gerammelt voll, die Atmosphäre hitzig. Am Ende stimmten 338 von 660 Abgeordneten am 20. Juni 1991 für den Antrag „Vollendung der Einheit Deutschlands“. Für Berlin hieß das: Die Bagger rollen. Um den alten Reichstag herum entstanden drei neue Parlamentsgebäude. Doch wie sollten sie heißen? Ende 1997 beschloss der Ältestenrat des Bundestags, die im Bau befindlichen Bürokomplexe Jakob-Kaiser-Haus, Paul-Löbe-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu nennen.

Die Geschichte, die mit diesen Namen verbunden ist, fing in einem geeinten deutschen Kaiserreich an und endet in einem geteilten Deutschland. Die Grabinschrift von Jakob Kaiser lässt den Schmerz über diese Entwicklung vermuten: „Was seid ihr verzagt, ihr Kleingläubigen.“ Kaiser wurde 1888 im fränkischen Hammelburg geboren. Seine geistige Heimat fand er aber im preußischen Berlin. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hoffte er auf eine frühe deutsche Wiedervereinigung mit der Hilfe von Moskau. Das Verhältnis zu Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), der vor allem die Westbindung vorantrieb, war angespannt. „Warnen möchten und müssen wir vor einem reinen Weststaat. Nur kühlrechnender Verstand kann ihn sich ausdenken“, sagte Kaiser, Mitbegründer der Ost-CDU, zu Adenauers Politik. Wenige Monate nach seinem Tod am 7. Mai 1961 wurde die Teilung Deutschlands durch den Mauerbau zementiert.

Als Kaiser das erste Mal 1933 ins Parlament gewählt wurde, da war die Weimarer Republik schon gescheitert. Der langjährige Reichstagspräsident Paul Löbe (1875-1967) hatte gerade sein Amt an den Nationalsozialisten Hermann Göring abgeben müssen. Sozialdemokrat Löbe wuchs in einfachen Verhältnissen im niederschlesischen Liegnitz auf. Bei der Breslauer Zeitung „Die Volkswacht“ wurde er mit 24 Jahren Chefredakteur. Für seine sozialistischen Artikel wurde Löbe oft inhaftiert. Die Zeit hinter Gittern nutzte er für die Lektüre von staatsrechtlichen Schriften. Das Gefängnis wurde für ihn, neben der Volksschule, zum wichtigsten Ort seiner Bildung. Nach Friedrich Eberts Tod schlug die Berliner SPD Löbe als Reichspräsidenten vor. Er lehnte ab: „Auf diesen Posten gehört ein Mann aus härterem Holze, als ich es bin.“ Lieber führte der Reichstagspräsident Löbe jeden Sonntag eine Gruppe der Berliner Arbeiterjugend durch das Reichstagsgebäude, sozusagen als Vorgänger des heutigen Besucherdienstes der Bundestages. Am 7. September 1949 eröffnete er als erster Alterspräsident die erste Sitzung des ersten Deutschen Bundestages.

Im Jahr 1919 kündigte der spätere Reichstagspräsident  Löbe eine neue Abgeordnete an: „Es wird ein lange Dürre kommen. Groß, schlank, hochachtungsgebietend.“ Es war Marie Elisabeth Lüders (1878-1966). Als Tochter des Oberregierungsrates Lüders war ihr ein Leben als „höhere Tochter“ vorbestimmt. Doch obwohl sie eine begabte Tennisspielerin und eine begehrte Tänzerin war, begann sie mit einer Sondergenehmigung Philosophie zu studieren und promovierte magna cum laude. Als liberale Abgeordnete setzte sich die engagierte Sozialarbeiterin und spätere FDP-Politikerin für die Gleichstellung der Frau ein. Im Jahr 1957 wandte sie sich in einer Fernsehansprache an die Frauen der Welt und versprach, alles in ihrer Macht stehende für die Erhaltung des Friedens zu tun. „Wer schweigt, stimmt zu“, sagte sie über das Wettrüsten von Sowjets und den USA.

Im Paul-Löbe-Haus tagen seit Oktober 2001 die Ausschüsse des Deutschen Bundestages. Das Haus wird auch als „Motor des Parlaments“ bezeichnet. In den acht Gebäuden des Jakob-Kaiser-Hauses sitzen seit 2002 die Fraktionen und die Verwaltung des Bundestages. Das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist das „Gedächtnis des Parlaments“. Hier ist unter anderem die Parlamentsbibliothek untergebracht.