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GESUNDHEIT : Ungesunde Gewohnheiten

Präventionsgesetz eingebracht. Mehr Bewegung und gesunde Ernährung gefordert

23.03.2015
2023-08-30T12:27:58.7200Z
4 Min

Mit dicken Kindern ist es ähnlich wie mit Fußkranken: Wer nicht genau hinschaut, kann sie glatt übersehen, obwohl es sie Zuhauf gibt. Kinderärzte berichten von einem sich seit Jahren verschärfenden Problem, was die Zahl übergewichtiger Kinder und solcher mit motorischen Defiziten betrifft. Etwa jedes sechste Kind hierzulande, so heißt es, ist zu dick. Als Gründe führen Mediziner den verbreiteten Bewegungsmangel und einseitige Ernährung an sowie die oftmals fehlende Vorbildfunktion der Eltern, denn auch jeder zweite Erwachsene ist zu dick. Die Folgen – physisch, psychisch und materiell – sind dauerhaft, denn die durch Mangelbewegung und subkulturelle Ernährungsgewohnheiten geschwächten Körper lassen sich nicht einfach reparieren.

Dieser ungeachtet des jüngsten Bio-Booms ungesunde Trend hat auch eine gewichtige finanzielle Seite: Sogenannte Volkskrankheiten wie Adipositas, Diabetes, Depressionen, Bluthochdruck, Rückenleiden oder Fettstoffwechselstörungen verursachen volkswirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe. Der Kölner Gesundheitsökonom Rainer Riedel beobachtet die Entwicklung mit Sorge und verweist auf die gesetzlichen Mitwirkungspflichten der Versicherten. So heißt es in Paragraf 1 SGB V: „Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich.“ Riedel schlägt konkret Bonusprogramme wie in der Autoversicherung vor, um die Menschen zu einer gesunden Lebensweise zu animieren. Vor allem müssten die Leute sich wieder mehr bewegen.

Bei der ersten Beratung über den von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgelegten Entwurf für ein Präventionsgesetz (18/4282) am vergangenen Freitag im Bundestag brachte Reiner Meier (CSU) das simple Kernproblem so auf den Punkt: Immer mehr Menschen litten an Zivilisationskrankheiten, es sei zugleich schwierig, ungesunde Gewohnheiten zu ändern. Dass sich etwas ändern muss, ist unstrittig, wobei die Opposition mit Anträgen (18/4322 und 18/4327) ganz grundsätzlich den Zusammenhang von sozialer Teilhabe, Gesundheit, Prävention und Gerechtigkeit aufwarf und der Regierung vorhielt, die gesellschaftliche Dimension des Themas zu verkennen. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe auseinander und Studien zeigten, dass dies konkrete gesundheitliche Nachteile für arme Bevölkerungsschichten mit sich bringe. Sabine Zimmermann (Linke) sagte, die Menschen mit dem größten Krankheitsrisiko seien zugleich die Menschen mit dem geringsten Einkommen. Kordula Schulz-Asche (Grüne) ergänzte, viele Kinder aus armen Familien würden von Präventionsangeboten oft nicht erreicht. Nicht selten hätten solche Kinder keinen Zugang zu gesunder Ernährung, die Mitgliedschaft in Vereinen falle aus Kostengründen weg. Auch in Deutschland gelte, wer weniger habe, sterbe früher. Benötigt werde ein breites sozialpolitisches Konzept für mehr Gerechtigkeit und Gesundheit. Kommunen und Kreise seien dabei Dreh- und Angelpunkt für die Gesundheitsförderung.

Mehr Geld

Das Gesetz sieht eine Aufstockung der Mittel für Gesundheitsförderung und Prävention im Umfang von gut 500 Millionen Euro vor, wobei nicht nur die Krankenkassen, sondern erstmals auch die Pflegekassen verpflichtet werden, in Prävention zu investieren. Die Leistungen der Krankenkassen werden mehr als verdoppelt, von 3,09 Euro auf 7 Euro jährlich für jeden Versicherten ab 2016. Zudem sollen die betriebliche Prävention gestärkt, Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Erwachsene ausgeweitet und der Impfstatus verbessert werden. So sollen Eltern, die ihre Kinder in die Kita geben, künftig eine Impfberatung nachweisen müssen. Gröhe sprach die jüngste Masern-Epidemie an mit über 1.000 Kranken und machte deutlich, dass er notfalls auch eine Impfpflicht erwägen würde.

Rudolf Henke (CDU) forderte mit Blick auf die dramatischen Appelle der Opposition dazu auf, nicht mit „Leichenbittermiene“ über das Thema Prävention zu reden, sondern sich auch über die neuen Möglichkeiten der Medizin zu freuen. Im Übrigen sei vorbeugen besser als heilen. Die Prävention dürfe aber nicht in „Gesundheitswahn“ umschlagen. So müsse die Diskriminierung Kranker verhindert werden.

Vorsorge und Fürsorge

Edgar Franke (SPD) ging wie andere Redner seiner Fraktion auf die grundsätzlichen sozialpolitischen Erwägungen der Opposition ein und betonte, Gesundheitspolitik sei immer auch Gesellschaftspolitik. Arbeitslosigkeit und sozialer Status hätten Auswirkungen auf die Gesundheit. Daher müsse Prävention mehr sein als Aufklärung. Franke erinnerte auch an die vielen Diabetes-Kranken. Betroffen seien hier nicht nur Ältere, sondern auch Kinder. Vorbeugung sei enorm wichtig, zumal allein diese Krankheit Kosten in Milliardenhöhe verursache. Auf die vielen psychisch Kranken ging Marina Kermer (SPD) ein und machte deutlich, dass es nicht nur um Vorsorge gehe, sondern auch um Fürsorge, etwa für Arbeitnehmer, die durch Stress krank geworden seien. Das Arbeitsleben sei dominant im Alltag, daher sei auch die betriebliche Gesundheitsvorsorge so wichtig. Viele große Unternehmen hätten auch schon gute Präventionskonzepte, die kleinen Firmen könnten da nicht mithalten, daher seien Kooperation vor Ort sinnvoll. Nach Ansicht von Helga Kühn-Mengel (SPD) müssen die Menschen dort erreicht werden, wo sie leben und arbeiten. Die Kommune sei Ort des Präventionsgeschehens. Der Gesetzentwurf und die Anträge wurden zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen.