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Wirtschaft : TTIP und das Wasser

Freihandelsabkommen könnte die Daseinsvorsorge betreffen. Schiedsgerichte sind umstritten

23.03.2015
2023-08-30T12:27:59.7200Z
4 Min

Der eine sagt so: „Für mich überwiegen Chancen und Vorteile“, urteilt Professor Gabriel Felbermayr vom ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München über das geplante europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen. Von „Vorteilen in der langen Frist“ mit einem Wirtschaftswachstum von ein bis drei Prozent spricht er. Der andere sagt so: Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung vertritt die Auffassung, aus wirtschaftlichen Gründen sei dieser TTIP-Vertrag („Transatlantic Trade and Investment Partnership“) nicht nötig. Man brauche ihn „nur, wenn man eine neue Welle von Deregulierung einleiten“ wolle, wenn man „der Wirtschaft mehr Macht geben will, unerwünschte Regulierungen abzuwehren“.

Wiederum sagt einer so: Der Unternehmer Bertram Kawlath, Schubert und Salzer GmbH, Ingolstadt, hebt die „Chance“ hervor, „besonders den kleinen Unternehmen große Markteintrittsbarrieren zu nehmen“. Der andere sagt so: Stefan Körzell vom Deutschen Gewerkschaftsbund befürchtet einen „Wettlauf, um Arbeitnehmerstandards zu senken“.

Das Gegensätzliche ist bei den Beratungen der Bundestagsabgeordneten zudem noch in schummriges Licht getaucht. Bis jetzt seien gerade mal „Grundzüge“ zu erkennen: So der Stoßseufzer des Vize-Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, Klaus Barthel (SPD), am Ende der von ihm geleiteten öffentlichen Sachverständigen-Anhörung in der vergangenen Woche. Das brisante Thema wird die Parlamentarier noch häufig beschäftigen. Zwar scheut die EU-Kommission langjähriges Verhandeln, macht ihr Vertreter bei der Anhörung, Lutz Güllner, klar. Doch ein konkretes Abschlussdatum werde noch nicht angepeilt. „Grundzüge“ sollen bis Ende dieses Jahres stehen.

Acht Runden

Anfang Februar fand in Brüssel die achte Verhandlungsrunde statt – ohne große Fortschritte, wie einer internen Einschätzung der Kommission zu entnehmen ist. Für April und Juli sind die neunte und zehnte Verhandlungsrunde terminiert. Am 14. Juni 2013 hatte der Europäische Rat der Kommission das Mandat erteilt, Verhandlungen mit den USA über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen aufzunehmen.

Viele Fragen bei der Anhörung kreisen um die rechtlichen Auswirkungen. Jedes solcher Abkommen begrenze staatliches Handeln, macht Professor Markus Krajewski (Universität Erlangen-Nürnberg) klar. Freilich halte er den Bundestag für „hinreichend selbstbewusst“, Beschlüsse zu fassen und es notfalls auf eine Klage ankommen zu lassen. Jürgen Maier streicht heraus, dass es nicht insgesamt zu höheren Standards – ob für Lebensmittel oder etwa Arbeitsbedingungen – kommen werde. Beim Geben und Nehmen der Verhandlungen werde es um die vorhandenen unterschiedlichen Standards gehen.

Professor Sebastian Dullien, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, macht „leichte wirtschaftliche Vorteile“ für die EU und „etwas stärkere, aber immer noch recht geringe“ für Deutschland aus. Allerdings würden derzeit „Bereiche mit verhandelt, die keinerlei gesamtwirtschaftliche Vorteile erkennen lassen, aber große Risiken für die Handlungsfähigkeit der Politik mit sich bringen“ – etwa Investitionsschutz oder Schlichtungsmechanismus. Thomas Fritz von PowerShift ist der Ansicht, die Investitionsschutzregeln seien „nicht nur vor dem Hintergrund überflüssig, dass beide Partner entwickelte Rechtsschutzsysteme aufweisen“. Sie seien auch „ökonomisch widersinnig“. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband will am liebsten gar kein Investitionsschutzkapitel in TTIP.

Durch die Schutzregeln sollen ausländische Investitionen angelockt werden. „Mit Blick auf TTIP ist diese Überlegung jedoch mehr als zweifelhaft“, so Krajewski: „Angesichts des bereits heute hohen Verflechtungsgrads der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen kann eine Investitionsförderung allenfalls marginal ausfallen.“ Zudem sieht er eines der fundamentalen Probleme darin, „dass nur ausländischen Unternehmen die Möglichkeit zur Verfügung steht, mit einem speziellen Mechanismus staatliches Handeln auf seine Vereinbarkeit mit allgemeinen Grundprinzipien – faire und gerechte Behandlung, indirekte Enteignung – zu überprüfen.“ Überdies seien weniger tatsächliche Verurteilungen staatlichen Verhaltens das Problem, sondern schon das „Droh- und Druckpotential“.

Die kommunalen Spitzenverbände unterstützen das Ziel des Abkommens, machen aber auch „erhebliche Risiken“ geltend: „Sollten typische kommunale Dienstleistungen wie die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, der Öffentliche Personennahverkehr, Sozialdienstleistungen, Krankenhäuser oder die Kultur Regeln zur Liberalisierung unterworfen werden, würde die derzeit garantierte umfassende Organisationsentscheidung von Kommunalvertretern durch rein am Wettbewerb ausgerichtete einheitliche Verfahren ersetzt“, heißt es in ihrer Stellungnahme.

Und wenn das ganze Projekt scheitert? Felbermayr verweist auf mehrere große Handelsabkommen: USA mit elf Pazifikanrainern (TTP), die zehn ASEAN-Staaten mit ihren regionalen Handelspartnern, darunter China (RCRP). Beide könnten zu „deutlichen Marktanteilsverlusten Deutschlands in sehr dynamischen Regionen der Welt“ führen. Mit TTIP indes, so kann man Felbermayr verstehen, habe die EU über die USA den Fuß mit in der Tür. Ein Scheitern werde auch negative Auswirkungen auf das außenpolitische Handeln der EU haben.

Maier beleuchtet den gegenteiligen Aspekt. Er macht eine „wachsende Opposition“ gegen TTIP aus. Das liege aber nicht an „Missverständnissen“, denen man mit „mehr Informationen“ begegnen könne, wie die „offizielle Politik“ glaube: „Vielmehr lehnen umso mehr Bürger das Abkommen ab, je besser sie informiert sind.“

Ausgangspunkte für die Anhörung waren drei Anträge der Opposition. Die Linke verlangt, die laufenden TTIP-Verhandlungen „unverzüglich zu stoppen“ (18/1093). Die Grünen (18/1457; 18/1964) fordern „fairen Handel ohne Demokratie-Outsourcing“.