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NSA-AUSSCHUSS : Brisante Listen und Anfragen

Das Vorgehen der US-Geheimdienste wirft viele Fragen auf. Auch der BND ist wieder in Erklärungnot

11.05.2015
2023-08-30T12:28:02.7200Z
5 Min

Fast hätte es noch Verlängerung gegeben. Trotz einer Sitzung des Rechtsausschusses, des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), einer Aktuellen Stunde und einer regulären Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses, die sich alle mit den neuen Enthüllungen über die Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst (BND) und dem US-Geheimdienst NSA beschäftigt hatten, wollte die Opposition in der vergangenen Woche noch weiter fragen. Die Fraktionen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen beantragten gleich zwei Sondersitzungen des Untersuchungsausschusses. Das Ziel: Alle Kanzleramtsminister vernehmen, die seit der Schließung eines Geheimdienstabkommens zwischen Deutschland und den USA im Jahr 2002 im Amt gewesen waren. Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD stellten sich aber quer und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) genehmigte die Sitzungen nicht. Bei der Opposition gab man sich enttäuscht.

Auffällige Suchanfragen Seit im April bekannt wurde, dass der BND der NSA jahrelang dabei geholfen haben soll, europäische Unternehmen, Institutionen und Politiker auszuforschen, ist die NSA-Affäre wieder auf die Titelseiten zurückgekehrt. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Ziele ausgespäht wurden und ob beziehungsweise wann die BND-Spitze und das Bundeskanzleramt, dem der Nachrichtendienst untersteht, von diesen Vorgängen wussten. Fest steht, dass dem BND bereits 2005 aufgefallen war, dass unter den Suchfilteranfragen, sogenannten Selektoren, die die NSA an den BND stellte, auch die europäischen Unternehmen EADS und Eurocopter waren. 2008 soll der Nachrichtendienst das Bundeskanzleramt informiert haben. Zwei Jahre später, 2010, informierte der BND wieder das Kanzleramt. Als im Sommer 2013 die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden publik wurden, prüfte der BND abermals die von der NSA gelieferten Selektoren. Dabei fand ein Sachbearbeiter 2.000 bedenkliche Einträge. Die BND-Führung gibt an, erst im Frühjahr 2015 von den auffälligen Selektoren erfahren zu haben und dass in der BND-Abhörstation Bad Aibling eine Liste geführt wird, in der alle bislang aussortierten Selektoren gesammelt wurden. Sie soll rund 40.000 Einträge umfassen.

Minister unter Druck Am 12. März 2015 informierte BND-Präsident Gerhard Schindler das Kanzleramt. Anfang vergangener Woche setzte der BND die Internetüberwachung für die NSA dann überraschend aus. Die Grünen kritisierten, die Regierung ziehe viel zu spät die Notbremse. Damit ist das Thema für die Opposition auch nicht erledigt. Noch am 14. April beantwortete das Innenministerium eine vom Linke-Abgeordneten Jan Korte gestellte Kleine Anfrage mit dem Satz: "Es liegen weiterhin keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder andere US-Dienste in anderen Staaten vor." Als einige Tage später bekannt wurde, dass die NSA auch Informationen über EADS und Eurocopter angefordert hatte, warf die Linksfraktion Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor, das Parlament belogen zu haben. Rücktrittsforderungen folgten.

Der Minister wies jede Schuld von sich. De Maizière war von 2005 bis 2009 Chef des Bundeskanzleramts. Im geheim tagenden PKGr sagte er vergangene Woche aus und wurde anschließend von Abgeordneten der Koalition in Schutz genommen, die Opposition reagierte empört. Es sei "grotesk", wenn sich der Minister nach der Sitzung eines geheim tagenden Gremiums von allen Vorwürfen selbst freispreche, rügte Konstantin von Notz, Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss. Dort wollten die Abgeordneten mehr über den Umgang des BND mit den auffälligen Selektoren erfahren. Die Fraktionen von SPD, Linken und Grünen hatten gefordert, dass ihnen die Selektorenlisten der NSA bis zur Sitzung zugänglich gemacht werden sollten. Dazu kam es jedoch nicht. Das Kanzleramt verhandelt darüber noch mit den USA. SPD-Obmann Christian Flisek kritisierte: "Ich erwarte, dass die Listen schnellstmöglich vorgelegt werden." Die Obfrau der Unionsfraktion, Nina Warken (CDU), zeigte hingegen Verständnis. Die Zeugen könnten auch gut ohne die Listen befragt werden, sagte sie.

Ein klares Jein Als Zeuge geladen war der Dienststellenleiter der Abhörstation Bad Aibling, R.U. "Jein" antwortete er auf die Frage des Ausschussvorsitzenden Patrick Sensburg (CDU), ob er sich schon einmal mit Selektorenlisten beschäftig habe. Dies sei nicht seine Aufgabe gewesen, da die Selektoren in der BND-Zentrale in Pullach darauf überprüft würden, ob sie eingesetzt werden dürften. "Sie kamen geprüft zurück. Warum sollte ich sie mir also nochmal anschauen?", argumentierte R.U. Auch seine Mitarbeiter hätten nur sehr unregelmäßig auf die Listen geschaut, etwa wenn ein deutscher Selektor in einem Krisengebiet keine Ergebnisse mehr geliefert habe. In diesem Fall habe man überprüft, ob man von den US-Selektoren auch profitieren könne, berichtete R.U. auf Fragen von Linken-Obfrau Martina Renner. Auch nachdem die Selektoren im Sommer 2013 erneut überprüft wurden, sah er keinen Anlass, die Selektorenlisten selbst in Augenschein zu nehmen.

Den Auftrag, die Liste nach den Snowden-Hinweisen erneut zu prüfen, gab R.U.s Vorgesetzter in der BND-Zentrale, Unterabteilungsleiter D.B., der zweite Zeuge an diesem Tag. Er habe den Dienststellenleiter von Bad Aibling nach der Prüfung darüber informiert, was gefunden wurde und "was er sonst noch machen sollte". Was diese Formulierung bedeutet, wollte D.B. im öffentlichen Teil der Sitzung nicht sagen, er habe aber keine Löschung in Auftrag gegeben. Seine Vorgesetzten will D.B. nicht über die gefundenen auffälligen Selektoren informiert haben. Auf die Frage Sensburgs, warum nicht, antwortete D.B. nicht und machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Ominöse Liste Bevor der Ausschuss sich zur nicht-öffentlichen Zeugenbefragung zurückzog, bestätigte der BND-Mitarbeiter T. jener Sachbearbeiter zu sein, der im August 2013 von Unterabteilungsleiter D.B. den Auftrag bekam, die Selektorenliste zu überprüfen. Er habe dafür eine Kopie der Selektoren-Datei aus Bad Aibling bekommen und zunächst versucht, diese nach technischen Gesichtspunkten zu sortieren. Dabei seien ihm problematische Suchanfragen aufgefallen. "Damit hatte ich nicht gerechnet", sagte der Zeuge T. aus.

Daraufhin durchsuchte er die Liste gezielt nach weiteren auffälligen Selektoren und sortierte sie in eine Liste. Diese habe er ausgedruckt und D.B. übergeben. Eine weitere Kopie der Liste gebe es nicht. Auch die Datei, die er 2013 erstellte, existiere nicht mehr. Er habe zur Bearbeitung einen geliehenen Rechner genutzt.

Als er zu Beginn dieses Jahres darum gebeten wurde, zu prüfen, ob es die Datei doch noch gebe, konnte er sie nicht mehr finden, sagte T. im Ausschuss. Einen Bericht habe er nicht über seine Suche angefertigt. Das stieß bei den Grünen auf Unverständnis: "Es ist schwierig, relevante Dinge aufzuklären, wenn im BND nichts verschriftlicht wird", monierte von Notz.

Der BND-Komplex wird den Bundestags-Untersuchungsausschuss angesichts der aktuellen Brisanz weiter beschäftigen. Von der nächsten Sitzung erhoffen sich die Abgeordneten viel, zumal dann BND-Präsident Gerhard Schindler als Zeuge geladen ist.