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EUROPA : Schlusslicht Deutschland

Fraktionen fordern Ratifizierung der überarbeiteten Europäischen Sozialcharta

15.06.2015
2023-08-30T12:28:03.7200Z
2 Min

Zahlreiche Fraktionen im Bundestag drängen darauf, dass Deutschland die im Jahr 1999 revidierte Fassung der Europäischen Sozialcharta (RESC) sowie zwei Zusatzprotokolle, das "Turiner Änderungsprotokoll" von 1991 und das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden aus dem Jahr 1995, ratifiziert. Deutschland hat die RESC, anders als 33 von 47 Mitgliedstaaten des Europarates, 2007 lediglich unterzeichnet. Die revidierte Sozialcharta schreibt weitergehende soziale Grundrechte wie das Recht auf eine Wohnung, den besonderen Schutz älterer Menschen, den Kündigungsschutz oder den Schutz vor Armut auf europäischer Ebene fest.

"Der Eindruck ist, dass Deutschland, anders als vor fünfzig Jahren, heute Bremser bei der Frage der sozialen Rechte ist", urteilte Andrej Hunko in einer öffentlichen Anhörung des Europaauschusses in der vergangenen Woche. Er forderte die Bundesregierung auf, die Ratifizierung noch in dieser Legislaturperiode zu realisieren. Anlässlich des 50. Jahrestages des Inkraftretens der Europäischen Sozialcharta hat seine Fraktion dazu auch einen Antrag

(18/4092) vorgelegt.

»Fatales Signal« Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen pflichtete Hunko bei und bezeichnete das Zögern der Bundesregierung als "peinlich". Deutschland gehöre damit zu einer Minderheit in Europa. Für die SPD verwies Norbert Spinrath darauf, dass es seit der Unterzeichnung im Jahr 2007 "ausreichend Möglichkeiten" gegeben hätte, Regelungen entsprechend den deutschen Traditionen anzupassen. Es sei "ein fatales Signal", dass Deutschland zum letzten Drittel derer in Europa gehöre, die nicht ratifiziert hätten, urteilte er.

Demgegenüber wies Martin Pätzold (CDU) auf einige Probleme hin, die vor einer Ratifizierung zu klären seien. So sei der Diskriminierungsbegriff in der revidierten Sozialcharta "sehr weit gefasst". Außerdem müsse diskutiert werden, wie Deutschland damit umgehe, dass auch Beamte ein Streikrecht bekommen könnten. Gleichwohl, betonte er, dass eine Ratifizierung noch in dieser Wahlperiode geplant sei.

Unterstützung erhielt Pätzold von Professor Michael Eilfort, dem Vorsitzenden der Stiftung Marktwirtschaft. Er verwies darauf, dass Deutschland, im Gegensatz zu anderen Mitgliedstaaten des Europarates, bereits über sehr hohe Sozialstandards verfüge und eine eilige Ratifizierung daher nicht notwendig sei. Zudem müssten die genannten Probleme erst gelöst werden.

Demgegenüber sprachen sich Helga Nielebock, Leiterin der Abteilung Recht beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), und Klaus Lörcher, ehemals Justitiar des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), für eine zügige Ratifizierung aus. "Die Sicherung materieller sozialer Rechte für Arbeitnehmer ist in Zeiten des strukturellen Umbruchs und der Sparpolitik der öffentlichen Haushalte mehr denn je notwendig", betonte Nielebock. Schließlich gebe es auch in Deutschland eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich und Probleme mit zunehmender Altersarmut. Lörcher bezeichnete die Sozialcharta als "das wichtigste soziale Menschenrechtsdokument auf europäischer Ebene". Daher sollte der Bundestag bald ein Zustimmungsgesetz verabschieden. Eventuelle Hinderungsgründe für eine Ratifikation könnten nach Ansicht von Lörcher durch eine Anpassung der innerstaatlichen Gesetzgebung behoben werden.