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IRLAND : Eine letzte große Hürde

Debatte um Liberalisierung geht weiter. Streit um das strikte Abtreibungsverbot

22.06.2015
2023-08-30T12:28:05.7200Z
3 Min

Der Jubel war riesig, als am Morgen des 23. Mai 2015 feststand, dass eine klare Mehrheit der Iren für die "Homo-Ehe" gestimmt hatte. 62 Prozent der Wahlberechtigten hatten die Frage auf den Stimmzetteln mit Ja beantwortet, dass "eine Ehe im Einklang mit dem Recht steht, wenn sie von zwei Personen eingegangen wird, ungeachtet ihres Geschlechts". Weltweit hatte damit erstmals ein Land per Referendum für die Öffnung der Ehe gestimmt - ausgerechnet das erzkatholische Irland, wo der Homosexuellen-Paragraf erst 1993 aus dem Strafgesetzbuch verschwand - und das auch nur nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihn zuvor als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention verurteilt hatte. In knapp 20 Jahren hat die grüne Insel einen gesellschaftlichen Wandel durchlaufen, den ihre Bewohner selbst kaum für möglich gehalten hätten.

Schon vor dem Referendum hatte die irische Regierung Anfang April das Adoptionsrecht geregelt. Im Rahmen einer weitreichenden Reform des Gesetzes, das die Beziehung zwischen Kindern und Familien regelt, entschied sich Dublin für eine ebenfalls sehr liberale Regelung. Nunmehr können Paare, ob verheiratet oder nicht, ob homosexuell oder heterosexuell, ein Kind adoptieren. Voraussetzung ist, dass sie zuvor seit mindestens drei Jahren zusammen gelebt haben.

Nicht nur in Deutschland hat das Referendum zu einer heftigen Diskussion über die Einführung der Ehe für homosexuelle Paare geführt. Auch direkt vor Irlands Haustür ist die Debatte im Gange, ob die in Nord-Irland bereits 1998 eingeführte zivile Lebenspartnerschaft nicht zu einer Ehe aufgewertet werden müsse. Doch noch immer wehrt sich eine knappe Mehrheit der Parlamentarier, allen voran die konservative Democratic Unionist Party (DUP), gegen diesen Schritt.

Am zweiten Juni-Sonntag gingen rund 20.000 Demonstranten in Belfast für die "Homo-Ehe" auf die Straße, unterstützt von Amnesty International und der Gewerkschaft Irish Congress of Trade Unions (ICTU). Sie ist in Großbritannien seit 2014 Gesetz, doch Nord-Irland behielt sich eine Ausnahmeklausel vor. "Während jeder andere Teil der Britischen Inseln eheliche Gleichheit anerkennt, stehen die Bürger in Nord-Irland alleine da", klagt der ICTU.

Angesichts der bei der vierten Abstimmung Anfang Juni denkbar knappen Niederlage des Pro-Homo-Ehe-Lagers gehen Kommentatoren in Belfast davon aus, dass die rechtliche Angleichung an den Rest des Königreichs nur eine Frage der Zeit ist.

Im Nachbarland Irland wiederum geht die Debatte um die gesellschaftliche Liberalisierung auch nach der Einführung der "Homo-Ehe" unvermindert weiter. Als letzte große Hürde gilt vielen das Abtreibungsrecht, eines der strengsten in der ganzen Welt. Weder Vergewaltigung, noch schwerste Behinderungen des Fötus oder eine Gefahr für das Leben der Mutter werden als Grund anerkannt. Rund 4.000 Schwangere reisen nach Angaben des britischen Gesundheitsamts deshalb Jahr für Jahr für eine Abtreibung nach Großbritannien, weil der Eingriff dort legal ist.

Im Jahr 2013 sah sich die Fine-Gael-Regierung von Premier Enda Kenny gezwungen, eine zaghafte Reform gegen massive Widerstände durchzubringen. Ihr ging der tragische Fall einer 31-Jährigen voraus, deren Fötus nicht lebensfähig war. Die Ärzte verweigerten trotzdem einen Abort, die Frau starb nach Tagen grauenvoller Qualen in einem Krankenhaus in Galway an den Folgen einer Blutvergiftung. Seit der Gesetzesnovelle dürfen Mediziner eingreifen, wenn die Mutter "ernsthaft krank" ist. Doch die Frage, welcher Maßstab in dieser Lage anzuwenden ist, lässt Ärzte wie Frauen weiter in einer dramatischen Grauzone.

Wie hart die Auseinandersetzung um eine Liberalisierung auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wird, macht der Widerstand in Kennys eigener Partei gegen jene zaghafte Reform deutlich. Fünf Abgeordnete mussten seinerzeit die Fraktion verlassen, weil sie gegen die Abtreibungsnovelle stimmten. Stefanie Bolzen

Die Autorin ist Korrespondentin der "Welt" in London.