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FRANKREICH : Das alltägliche »Oui«

Die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ist kaum noch umstritten. Debattiert wird über Leihmutterschaft

22.06.2015
2023-08-30T12:28:05.7200Z
3 Min

Erinnert sich noch jemand in Frankreich an den 29. Mai 2013? Bruno Boileau und Vincent Autin tun das sicherlich, denn es ist ihr Hochzeitstag. Die beiden Männer aus Montpellier waren das erste schwule Paar, das nach Inkrafttreten der Homo-Ehe heiratete. Für viel Aufsehen sorgte ihr "Ja" damals: Rund 200 Journalisten berichteten vor Ort über das Ereignis, sogar der arabische Fernsehsender Al-Jazeera war dabei. "Eure Geschichte verbindet sich heute mit der Geschichte unseres Landes", sagte Bürgermeisterin Hélène Mandroux bei der Trauung pathetisch.

Doch inzwischen ist die "mariage gay" in Frankreich zum Alltag geworden. 17.500 solcher Verbindungen wurden laut Statistikbehörde INSEE von Mitte 2013 bis Ende 2014 geschlossen, vier Prozent aller Trauungen. Die "Homo-Ehe", die auch die Adoption von Kindern einschließt, ist in Frankreich nicht nur etabliert, sondern auch akzeptiert: 68 Prozent begrüßen inzwischen ihre Einführung.

Die Befürworter der gleichgeschlechtlichen Ehe, einem der zentralen Wahlkampfversprechen des sozialistischen Präsidenten François Hollande, waren schon vor der ersten Trauung in der Mehrheit. Dennoch hatte sich eine breite Protestbewegung gegen die "Ehe für alle" gebildet, die monatelang Hunderttausende für die traditionelle Familie von Vater, Mutter und Kind auf die Straße brachte. "Manif pour Tous" (Demo für alle) nannte sich das Bündnis, dem vor allem katholisch-konservative Kreise angehörten. Sein Protest war noch deutlich stärker als der gegen den zivilen Solidaritätspakt (PACS), den Frankreich 1999 einführte, um die Beziehung homosexueller Paare auf eine rechtliche Grundlage zu stellen.

Drohende Schlägerei Nicht nur auf der Straße, sondern auch in der Nationalversammlung wurde die Debatte über die Öffnung der Ehe erbittert ausgetragen: 136 Stunden lang erörterten die Abgeordneten im Frühjahr 2013 das Thema, das alte Gräben wieder aufriss. Am letzten Debattentag kam es um ein Uhr nachts sogar fast zu einer Schlägerei. "Das habe ich noch nie erlebt", sagte der damalige Parlamentsminister Alain Vidalies, der immerhin auf 25 Jahre im Palais Bourbon zurückblickte, nach dem Tumult.

Doch als es nach rund 5.000 Änderungsanträgen am 23. April 2013 an die Schlussabstimmung ging, ergab sich eine große Mehrheit für das nach Justizministerin Christiane Taubira benannte Gesetz: 331 Abgeordnete votierten mit Ja, 225 mit Nein, zehn enthielten sich. Das allerletzte Wort zur "Homo-Ehe" ist damit allerdings noch nicht gesprochen, denn der konservative Oppositionsführer Nicolas Sarkozy verspricht im Falle eines Machtwechsels 2017 eine Abschaffung des "mariage gay".

Bis dahin wird die Protestbewegung weitermachen. "Das Taubira-Gesetz ist eine Lüge, die seit zwei Jahren dauert und den Kindern bewusst Vater und Mutter vorenthält", erklärte die "Manif pour tous" zum zweiten Jahrestag. Die Organisation hat allerdings mit den ersten Homo-Ehen an Schwung verloren. Auch ihre schrille Galionsfigur Frigide Barjot zog sich zurück, nachdem die Schwulenfeindlichkeit der Gegner teilweise in Gewalt umgeschlagen war und zunehmend Anklang bei Rechtsextremen gefunden hatte.

Heute konzentriert sich die Bewegung auf den Kampf gegen künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft, die beide in Frankreich weiter verboten sind. "Die 'Manif pour Tous' setzt ihre juristische, philosophische, politische und kulturelle Arbeit fort, um künstliche Befruchtung ohne Vater und Leihmutterschaft zu verhindern", sagte ihre Vorsitzende Ludovine de la Rochère der Zeitung "Le Figaro". Im Oktober gingen zuletzt Zehntausende gegen die Leihmutterschaft auf die Straße. Die ist für Frankreich inzwischen auch zum juristischen Thema geworden: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht das Land in der Pflicht, die Kinder von ausländischen Leihmüttern anzuerkennen, wenn ein Elternteil Franzose ist. Rund 2.000 solcher "Geister-Kinder" sollen derzeit in Frankreich leben - mindestens 60 Prozent davon bei heterosexuellen Eltern. Nun könnte der Kassationshof, das sich als oberstes Gericht mit dem Thema befasst, die Anerkennung dieser Kinder erlauben. Die Schwulen- und Lesbenverbände freuen sich über die neue Entwicklung. Doch zwei Jahre nach der Einführung der "Homo-Ehe" ist bei den ersten gleichgeschlechtlichen Ehepaaren offenbar Ernüchterung eingekehrt. Erste "Homo-Scheidungen" wurden ausgesprochen und Juristen haben schon einen neuen Markt entdeckt: Die Website "divorce-gay.fr" hilft im Internet bei der Suche nach einem Scheidungsanwalt.

Die Autorin arbeitet als freie Korrespondentin in Paris.