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WIENER KONGRESS : Weckruf im Morgengrauen

Napoleons Ende und die Neuordnung Europas vor 200 Jahren

06.07.2015
2023-08-30T12:28:05.7200Z
3 Min

Um sechs Uhr morgens des 7. März 1815 wurde Klemens Wenzel Lothar von Metternich von seinem Kammerdiener aus dem Schlaf geholt. Eine dringende Depeche vom kaiserlich-königlichen Generalkonsulat in Genua hatte den Diener veranlasst, sich über den Wunsch seines Herrn, ausschlafen zu wollen, hinwegzusetzen. Doch Österreichs Außenminister drehte sich auf die Seite und suchte erneut den Schlaf - fand ihn aber nicht. Eine Stunde später griff Metternich doch nach dem Umschlag. Und es sollte sich lohnen. Die knappe Nachricht besagte nur eins: Napoleon Bonaparte hat sein Exil auf Elba verlassen.

Marsch auf Paris Es ist eine Schlüsselszene in den Werken der Historiker Thierry Lentz, David King und Adam Zamoyski über den Wiener Kongress, die anlässlich des 200. Jubiläums auf dem deutschen Buchmarkt in Übersetzung erschienen. Und dies aus gutem Grund. Denn die Rückkehr Napoleons auf die europäische Hauptbühne rettete in gewisser Weise das Gipfeltreffen, auf dem seit September 1814 über die Neuordnung des Kontinents verhandelt, um Macht und Einfluss, Throne und Ländereien gepokert und geschachert wurde. "Der Kongress tanzt, aber er schreitet nicht voran", hatte Charles Joseph Fürst de Ligne, Diplomat in österreichischen Diensten, über das Treiben auf Bällen und Empfängen rund um die hohe Politik gespottet. Doch jetzt bat Napoleon zu einer anderen Art des Tanzes.

Die Nachricht von Napoleons Coup schlug ein wie die sprichwörtliche Bombe. Bayerns König Maximilian I. Joseph soll vor Angst gar den Appetit verloren haben, wie ein russischer Offizier amüsiert berichtete. Wohin es den im Jahr zuvor abgesetzten Kaiser der Franzosen zog, darüber ließ sich zunächst nur spekulieren. Neapel, wo sein Schwager und ehemaliger Marschall Joachim Murat herrschte, sei sein Ziel, vermutete Frankreichs Außenminister Talleyrand. Doch Metternich wusste es besser: "Nein, er geht direkt nach Paris."

Genau das tat Napoleon. Mit nur 1.000 Soldaten, die ihm als Leibgarde geblieben war. Die Truppen, die ihm der Bourbonen-König Ludwig XVIII. entgegenschickte, liefen zu Napoleon über. Einmal mehr ließ er sein militärisches Genie aufblitzen, manöverierte die alliierten Armeen zunächst aus und schlug die Preußen bei Ligny - wenn auch nicht vernichtend. Zwei Tage später jedoch, am 18. Juni 1815, setzten die britischen und preußischen Truppen unter Wellington und Blücher bei Waterloo seiner "Herrschaft der 100 Tage" ein Ende.

Restauration und Gleichgewicht Neun Tage zuvor hatte auch der Kongress seine Arbeit mit der Unterzeichnung der Wiener Schlussakte durch Österreich, Russland, Preußen, Großbritannien, Frankreich, Portugal, Spanien und Schweden abgeschlossen. Eines der Hauptergebnisse war die Herstellung des Gleichgewichts der Kräfte zwischen den fünf Großmächten Großbritannien, Russland, Preußen, Österreich und Frankreich (Pentarchie). Dieses System galt letztlich für die kommenden 100 Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der angelegte Dualismus zwischen Preußen und Österreich im gegründeten Deutschen Bund wurde jedoch bereits 1866 militärisch von Preußen zu seinen Gunsten entschieden. Auch der restaurative Charakter des Wiener Kongresses und Heiligen Allianz zwischen den Monarchien Preußen, Russland und Österreich, die die freiheitlichen Gedanken der Französischen Revolution zu unterdrücken versuchten, hatte nur eine begrenzte Halbwertszeit und wurde in Deutschland in der 1848er-Revolution zumindest in Frage gestellt.

King, Lentz und Zamoyski präsentieren die mitunter schillernde Geschichte des Wiener Kongresses mit unterschiedlichem Ansatz und Geschick. Hervorzuheben ist das umfassende Werk des englischen Historikers Zamoyski, das man als Fortsetzung seiner hochgelobten Darstellung "1812" über Napoleons gescheiterten Russlandfeldzugs verstehen darf. Erneut spielt der Franzosen-Kaiser eine zentrale Rolle, was Zamoyskis Buch viel Spannung verleiht.

Wer es kompakter mag, dem sei die ebenfalls gelungene Darstellung des französischen Historikers Lentz empfohlen. Mit der erzählerischen Kraft Zamoyskis kann er es jedoch nicht aufnehmen.

Die Freunde von Anekdoten, Intrigen und Bettgeschichten rund um den Kongress werden ihre Freude am Buch des amerikanischen Historiker King haben. Allerdings verliert sich seine Darstellung mitunter in all den amüsanten Geschichten, die heute die Titelseiten der Regenbogenpresse füllen würden.