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EGON BAHR : »Weitsichtiger Architekt der neuen Ostpolitik«

31.08.2015
2023-08-30T12:28:07.7200Z
3 Min

Persönliche Freundschaften sind in der Politik eher rar, doch es gibt sie. Als ein herausragendes Beispiel für eine solche Freundschaft galt die zwischen Willy Brandt und Egon Bahr. In seinen 1989 erschienenen "Erinnerungen" schrieb der frühere Bundeskanzler und langjährige SPD-Chef drei Jahre vor seinem Tod, Bahr sei als "deutscher Patriot mit Sinn für internationale Verantwortung einen weiten Weg gegangen, und wir haben uns dabei nie aus den Augen verloren". Es sei selten, fügte Brandt hinzu, "dass Freundschaft die Belastungen des politischen Geschäfts über so viele Jahre hinweg überdauert."

Brandt wiederum beherrschte selbst Bahrs Erinnerungen an den Mauerfall von 1989. Er habe damals im Fernsehen gesehen, wie die Menschen auf der Mauer tanzten, erzählte Bahr einmal dieser Zeitung: "Mein erster Gedanke war: Das ist der Anfang vom Ende der DDR. Der zweite war: Schade, dass das mein Vater nicht mehr erlebt hat. Willy Brandt rief an und fragte: ,Weißt Du, was los ist?' ,Ja.' ,Staunste, was?' ,Ja.' ,Hättste nicht geglaubt?' ,Nein.'"

Durchlässiger gemacht Dabei hatten beide entscheidend daran gearbeitet, die Mauer durchlässiger zu machen. Brandt hatte als Regierender Bürgermeister von West-Berlin 1960 den damaligen Journalisten Bahr zum Pressesprecher des Senats gemacht; unter dem Eindruck des Mauerbaus im folgenden Jahr erarbeiteten beide Grundgedanken dessen, was später als "neue Ostpolitik" in die Geschichte eingehen und Brandt 1971 den Friedensnobelpreis einbringen sollte. "Unsere Methodik war: Will man etwas erreichen, muss man sich dem zuwenden, von dem man es erreichen will. Das heißt, dem Osten nicht den Rücken zuwenden, sondern Zusammenarbeit anbieten", berichtete Bahr.

1966 folgte er Brandt ins Auswärtige Amt und 1969 ins Bonner Kanzleramt, verhandelte in Moskau über den 1970 geschlossenen Gewaltverzichtsvertrag und den 1972 unterzeichneten Grundlagenvertrag mit der DDR, galt als ein Vordenker der Entspannungspolitik und war als Bundesminister für besondere Aufgaben Brandts ständiger Berater in der Ost- und Deutschlandpolitik. Später war Bahr zwei Jahre Entwicklungshilfeminister unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) und danach bis 1981 SPD-Bundesgeschäftsführer; dem Bundestag gehörte er von 1972 bis 1990 an. Bis zuletzt politisch aktiv, starb der in Thüringen geborene Sozialdemokrat mit 93 Jahren vorvergangene Woche an einem Herzinfarkt.

»Wahrung des Friedens« Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigte Bahr als "einen weitsichtigen Architekten der neuen Ostpolitik". In einem Beileidsschreiben an Bahrs Ehefrau verwies Lammert darauf, dass der SPD-Politiker 1963 den Ausdruck "Wandel durch Annäherung" geprägt habe "als ein epochemachendes Motto und die treffgenaue Beschreibung eines Politikverständnisses", das stets mit Bahrs Namen verbunden bleiben werde. Gemeinsam mit Brandt habe Bahr seinerzeit gegen manche Skepsis und Widerstände eine neue Ära der bundesdeutschen Außenpolitik eingeleitet.

"Die Wahrung des Friedens war sein politisches Leitmotiv, nach dem er als Abgeordneter und Minister gehandelt hat", schrieb Lammert. Er erinnerte zugleich daran, dass Bahr sich bis zuletzt rege an der politischen Debatte beteiligt und sie mit seinen Erfahrungen immer wieder bereichert habe. Dabei sei er nicht müde geworden, daran zu erinnern, dass der Frieden keine Selbstverständlichkeit sei, sondern man ihn wahren und sichern müsse.

"Dieses Vermächtnis einer großen Persönlichkeit der deutschen Nachkriegspolitik" werde nachwirken, fügte der Bundestagspräsident hinzu. Egon Bahr, heißt es in dem Schreiben Lammerts weiter, habe sich "um das friedliche Zusammenwachsen Deutschlands und Europas, um die Demokratie und um unser Land verdient gemacht".