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ARBEIT UND SOZIALES : Nachrechnen und Drauflegen

Der größte Einzelposten im Bundeshaushalt wird wohl noch deutlich angehoben

14.09.2015
2023-08-30T12:28:08.7200Z
4 Min

Die Referenten im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hatten schon fleißig gerechnet und so sickerten die ersten konkreten Zahlen über die Kosten des Flüchtlingsandrangs bereits Anfang September durch: Auf rund drei Milliarden Euro bezifferte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) den dadurch auf ihren Etat zukommenden zusätzlichen Finanzbedarf allein im nächsten Jahr. Kein Wunder also, dass sie darauf in der vergangenen Woche, während der Debatte über den Haushaltsplan für 2016, noch einmal genauer einging.

Gleichzeitig war die Bundesregierung bemüht zu betonen, dass sie auch all die anderen noch anstehenden Projekte der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nicht aus dem Auge verlieren wird. Dazu gehört zum einen die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, um deren Missbrauch zu bekämpfen. Es gehört dazu das Großprojekt Bundesteilhabegesetz, das die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen komplett neu regeln will. Ein Gesetzentwurf dazu soll 2016 vorliegen. Und es gehört dazu natürlich auch der Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit, der die Bundesregierung mit verschiedenen Förderprojekten zu Leibe rücken möchte. Der Opposition reicht all dies nicht. Sie kritisierte, dass das Thema Armutsbekämpfung derzeit nicht auf der Agenda der Bundesregierung stehe und schon bisher die Mittel zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu gering angesetzt seien. Tatsächlich taucht in der To-Do-Liste die armutsfeste Mindestrente nicht auf, obwohl es dazu schon vor Jahren Vorschläge aus dem BMAS gegeben hatte.

Die Bundesregierung reagiert auf derartige Kritik zumeist mit dem Hinweis auf den gesetzlichen Mindestlohn und das Rentenpaket, das, wie SPD-Haushälter Ewald Schurer in der Debatte anmerkte, sehr wohl "ein manifester Beitrag" zur Armutsbekämpfung sei. Andrea Nahles freute sich, dass die "Horrorszenarien" in Bezug auf den Mindestlohn nicht eingetroffen seien und spannte damit auch gleich den Bogen zur Integration der Asylbewerber: "Der Mindestlohn stabilisiert den Arbeitsmarkt deutlich und wir brauchen ihn auch, um die Zuwanderung von Arbeitskräften nicht zu einem Wettlauf nach unten werden zu lassen", sagte sie. Sie bezifferte den dadurch erzeugten Mehrbedarf allein bei der Hilfe zum Lebensunterhalt auf ein bis zwei Milliarden Euro. Auch die aktiven Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt müssten erhöht werden, dazu gehörten auch zusätzliche Stellen in den Jobcentern. Nahles geht hier von einem Mehrbedarf von 600 Millionen bis zu rund einer Milliarde Euro für 2016 aus. Für die berufsbezogenen Sprachkurse seien rund 180 Millionen Euro zusätzlich nötig, so Nahles. "Flüchtlinge sollen möglichst schnell Nachbarn und Kollegen werden und der Sozialetat ist ein wichtiger Hebel, um das stemmen zu können", bekräftigte die Ministerin.

Mehr Personal Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, warf der Bundesregierung vor, "die großen sozialen Baustellen in unserem Land" zu umgehen. "Dieser Etat lässt keinen Spielraum für Erhöhungen des Hartz-IV-Regelsatzes." Dabei seien die Bemessungen des Existenzminimums schon jetzt fragwürdig, kritisierte Kipping. Sie forderte darüber hinaus, die Sanktionen in diesem Bereich abzuschaffen und eine sanktionsfreie Mindestsicherung einzuführen. Gegen die steigende soziale Spaltung helfe nur eine echte Umverteilung, betonte Kipping.

Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling (CDU), stellte demgegenüber klar, dass die Bundesregierung nicht das Ziel habe, willkürlich Hartz-IV-Sätze anzuheben. "Kernthema bleibt die Integration der Menschen in den ersten Arbeitsmarkt", sagte Schiewerling und kündigte eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente an, um zum Beispiel über 55-Jährigen oder "schwer erreichbaren" jungen Menschen diesen Weg zu öffnen. Die Themen Langzeitarbeitslosigkeit und zukunftsfeste Gestaltung des Rentensystems blieben trotz der neuen Herausforderungen aktuell, versicherte der CDU-Politiker.

Der SPD-Sozialpolitiker Ralf Kapschack forderte, die Personalsituation in den Jobcentern deutlich zu verbessern. "Was dort geleistet wird und angesichts der kommenden Aufgaben noch geleistet werden muss, ist enorm. Es kann nicht sein, dass diese Mitarbeiter oft nicht wissen, wie es mit ihnen weitergeht", sagte er in Anspielung auf vielfach befristete Arbeitsverträge der Jobcenter-Mitarbeiter.

Bündnis 90/Die Grünen kritisierten, dass schon nach den bisherigen Berechnungen viel zu wenig Geld und Personal für Integrations- und Sprachkurse für Flüchtlinge zur Verfügung stünden. "Lassen Sie uns die Fehler bei der Integration der Gastarbeiter nicht wiederholen", appellierte die Haushaltsexpertin der Grünen Ekin Deligöz. Die Mittel des Eingliederungsbudgets müssten für eine wirklich systematische und bedarfsgerechte Förderung eingesetzt werden, forderte sie. Ihr Kollege Wolfgang Strengmann-Kuhn kritisierte den Vorschlag, bei den Asylbewerbern Geld- durch Sachleistungen zu ersetzen als "ziemlich bekloppt". Dies erzeuge es eine enorme Bürokratie in den ohnehin schon überlasteten Aufnahmeeinrichtungen. Er forderte stattdessen, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen.

Rentenausgaben steigen Der Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sieht für 2016 Ausgaben von 127,29 Milliarden Euro (2015: 125, 66 Milliarden Euro) vor. Damit sollen die Ausgaben für diesen Bereich erneut steigen. Gegenüber dem Jahr 2015 plant das Ministerium 1,62 Milliarden Euro mehr ein, eine Zahl, die in den anstehenden Beratungen noch einmal nach oben korrigiert werden wird.

Den größten Posten machen traditionell Leistungen an die Rentenversicherung aus, die um rund 1,7 Milliarden Euro gegenüber 2015 steigen. Diese Leistungen belaufen sich auf rund 86,62 Milliarden Euro (2015: 84,3 Milliarden Euro). Für die Beteiligung an den Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung will der Bund 6,46 Milliarden Euro ausgeben (2015: 6,05 Milliarden Euro).

Für die Grundsicherung für Arbeitssuchende sind bisher 31,86 Milliarden Euro (2015: 32,96 Milliarden Euro) eingeplant. Diese Summe wird sich, nach den Ankündigungen von Andrea Nahles, erkennbar erhöhen. Davon entfallen 19,2 Milliarden Euro auf das Arbeitslosengeld II (2015: 20,1 Milliarden) und 4,7 Milliarden Euro auf die Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung (2015: 4,9 Milliarden Euro).

Nicht verändert haben sich - bisher - die Verwaltungskosten für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (4,04 Milliarden Euro) und die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (3,9 Milliarden Euro). Für das Programm zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit stehen 160 Millionen Euro zur Verfügung und damit 40 Millionen Euro mehr als 2015.