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VERTEIDIGUNG : Ein anderes Gewehr und acht Milliarden mehr

Koalition begrüßt Ende der Sparpolitik

14.09.2015
2023-08-30T12:28:08.7200Z
4 Min

Die Nachricht kam zum passenden Zeitpunkt. Gleichzeitig mit dem Beginn der Haushaltsberatungen in der vergangenen Woche ließ das Verteidigungsministerium wissen, dass das Sturmgewehr G36 der Bundeswehr wegen mangelnder Präzision bei längeren Schussfolgen und Erwärmung ausgemustert wird. Ein geeignetes Nachfolgemodell, so teilte das Ministerium mit, werde in einer europaweiten Ausschreibung ermittelt. Ab 2019 könnten Deutschlands Soldaten dann mit den neuen Waffen ausgerüstet werden.

Diese Vorlage ließ sich der grüne Haushalts- und Wehrexperte Tobias Lindner nicht nehmen und rechnete der Presse vor, dass die Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs samt Munition mit 300 bis 500 Millionen Euro zu Buche schlagen wird. Das Verteidigungsministerium wollte diese Zahl zwar nicht bestätigen. Fakt aber ist, dass die eh schon lange Beschaffungsliste der Bundeswehr um einen weiteren kostenintensiven Punkt erweitert wurde.

Neues Gerät und Materialerhalt Um so demonstrativer freute sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), dass ihr Etat im kommenden Jahr um 1,39 Milliarden auf 34,37 Milliarden Euro steigen soll. "Damit gelingt es uns, die jahrelange Abwärtsspirale zu stoppen und eine Trendwende einzuleiten", sagte die Ministerin. Dies sei allerdings auch "notwendig", denn die Bundeswehr leide unter einem "enormen Nachholbedarf" bei der Beschaffung von neuem Material, aber auch beim Materialerhalt. In der Tat konnten in den vergangenen Jahren bereitgestellte Haushaltsmittel nicht ausgegeben werden, weil sich die Lieferung von Großgerät wie dem Transportflugzeug A400M oder dem Schützenpanzer Puma verzögerte.

Von der Leyen gab zudem die Marschrichtung für die weitere Entwicklung der Verteidigungsausgaben Deutschlands vor. Erstens müssten auch zukünftig mindestens 1,17 Prozent des Bruttoinlandproduktes in den Wehretat fließen und zweitens müssten mittelfristig 20 Prozent der Ausgaben in die materielle Ausstattung investiert werden. Immerhin hat das Bundeskabinett die Verteidigungsausgaben im neuen Finanzplan für die Jahre 2016 bis 2019 (18/5501) deutlich nach oben korrigiert. Rund acht Milliarden Euro mehr als ursprünglich geplant sollen die Streitkräfte in den kommenden vier Jahren erhalten und der Verteidigungshaushalt bis 2019 auf 35,2 Milliarden Euro anwachsen.

Rüstungsprojekte Für Beschaffungen und Erhalt von Material und Anlagen stehen gemäß der Planungen im kommenden Jahr rund 10,13 Milliarden Euro zur Verfügung, 610 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr. Mit 594 Millionen Euro soll der Großteil dieser zusätzlichen Mittel in militärische Beschaffungsvorhaben wie das Kampfflugzeug Eurofighter, das Transportflugzeug A400M, den Transporthubschrauber NH90, den Kampfhubschrauber Tiger, den Schützenpanzer Puma oder die neue Fregatten-Klasse 125 fließen. Insgesamt sollen 4,68 Milliarden Euro für militärische Beschaffungen bereitgestellt werden.

Den mit Abstand größten Posten im Verteidigungshaushalt 2016 stellen nach wie vor jedoch die Personalausgaben mit 16,99 Milliarden Euro dar. Hinzu kommen Verwaltungskosten von 5,76 Milliarden Euro.

Unterstützung für den milliardenschweren Zuschlag im Wehretat kam aus den Reihen der Koalitionsfraktionen. Es gebe "die Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen und zu investieren, denn für jeden ist offensichtlich, dass einige Sparentscheidungen der letzten Jahre schlichtweg falsch waren", sagte die SPD-Haushaltsexpertin Karin Evers-Meyer. Und der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion Henning Otte (CDU) fügte hinzu, der Staat müsse auf jedes Bedrohungsszenario eine Antwort haben. Dazu zählten die "konventionelle Bedrohung durch militärische Landnahme wie durch Russland in der Ukraine, der Vormarsch des IS-Terrors im Nahen Osten, Terrorstrukturen in Nigeria, zerfallende Staaten wie Libyen und Jemen und eine zunehmende Cybergefahr durch Eingriffe in und Angriffe auf digitale Versorgungs- und militärische Sicherheitsstrukturen".

Die Sozialdemokratin Evers-Meyer mahnte zugleich eine verstärkte Zusammenarbeit in der Rüstungs- und Sicherheitspolitik auf europäischer Ebene an. Die Verteidigungshaushalte der 28 EU-Mitgliedstaaten entspreche zwar rund einem Drittel des Militärhaushaltes der USA. "Aber es gibt ja wohl niemanden, der behaupten würde, dass unsere Leistungsfähigkeit ebenfalls einem Drittel der Schlagkraft der USA entspricht."

»Bedrohungspopanz« Die Linksfraktion hingegen hält die deutschen Verteidigungsausgaben schon jetzt für deutlich überdimensioniert. Deren Sicherheitspolitiker Alexander Neu rechnete vor, dass Deutschland in der Nato über den viertgrößten Militärhaushalt und weltweit über den achtgrößten verfügt. Die Bundesregierung und die USA würden einen "Bedrohungspopanz" gegenüber Russland und China aufbauen, monierte Neu. Dabei gebe die Nato bereits jetzt das dreifache für Verteidigung aus als Russland und China zusammen. Die "Hochrüstung Deutschlands" müsse beendet werden. "Wir brauchen keine neuen Panzer, auch keine Fregatten und Transportflugzeuge", sagte Neu.

Kritisch werden die steigenden Verteidigungsausgaben auch von den Grünen beurteilt. Die Bundeswehrreform sei "mit dem erklärten Ziel, 8,3 Milliarden Euro einzusparen", vom damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) begonnen worden, erinnerte Tobias Lindner. Heute hingegen sei von den angestrebten Einsparzielen kein Wort mehr zu hören. "Das große Ziel der Bundeswehrreform, dass nämlich auch das Verteidigungsministerium seinen Beitrag zu Schuldenbremse leistet, ist krachend verfehlt worden".