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HOSPIZE : Weiße Flecken

Die Versorgung Sterbender soll besser werden

09.11.2015
2023-08-30T12:28:11.7200Z
5 Min

Wunsch und Wirklichkeit liegen in der letzten Lebensphase der Menschen in Deutschland weit auseinander. Alte, sterbenskranke Menschen wünschen sich zumeist den Beistand der Familie, und sie wollen vor allem zu Hause die letzten Wochen, Tage und Stunden verbringen. Die statistische Wirklichkeit sieht freilich ganz anders aus, denn die weitaus meisten alten und kranken Leute sterben nicht zu Hause und im Kreis der Familie, sondern allein in einem Heim oder im Krankenhaus, wo sie nicht selten noch als Notfall eingeliefert und in einer normalen Station bis zum Ende behandelt werden, nicht einmal in der spezialisierten Palliativmedizin.

In einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung wird dieses altbekannte Problem nochmals auf den Punkt gebracht. Die Studie macht deutlich, wie groß die Versorgungslücken in diesem sensiblen Bereich in Deutschland immer noch sind und das in einer Gesellschaft, die im Durchschnitt immer älter wird und daher immer stärker angewiesen ist auf die Zuwendung von medizinisch geschulten Fachleuten, die Erfahrung haben mit den Nöten und Wünschen von Menschen in der letzten Lebensphase.

Regionale Unterschiede Nur sechs Prozent der Deutschen, so ergab die vor kurzem veröffentlichte Studie, möchten ihre letzte Lebensphase in einem Krankenhaus verbringen, aber fast jeder zweite ältere Mensch in Deutschland stirbt in einer Klinik. Die Untersuchung offenbart noch ein anderes gravierendes Ungleichgewicht: die palliativen Versorgungsbedingungen sind regional sehr unterschiedlich und haben maßgeblichen Einfluss auf den Sterbeort. In Regionen, wo viele Palliativmediziner niedergelassen sind, ist die Chance, zu Hause sterben zu können, größer. In Bundesländern mit stark ausgebauten stationären Angeboten sterben mehr Menschen in Kliniken als im Bundesdurchschnitt, so etwa in Nordrhein-Westfalen.

2014 erhielten der Studie zufolge bundesweit nur knapp 30 Prozent der Verstorbenen zuvor eine palliativmedizinische Behandlung, obgleich rund 90 Prozent aller Menschen am Lebensende eine palliative Begleitung brauchen. Deutlicher könnte der Handlungsbedarf kaum umrissen werden. In der Palliativmedizin besteht die Aufgabe darin, sterbenskranken Menschen ein möglichst hohes Maß an Lebensqualität bis zum Schluss zu ermöglichen. Schmerzen werden mit bestimmten Medikamenten gelindert, Ängste durch fundierte Gespräche gezielt abgebaut, das erfordert Spezialwissen, das über eine Zusatzausbildung zum qualifizierten Palliativarzt (QPA) erworben werden kann.

Es mangelt aber nicht nur an spezialisierten Ärzten, sondern auch an qualifizierten Pflegern. Der Pflegenotstand ist gerade bei der Betreuung sterbenskranker Menschen gravierend. Der bekannte Pflegekritiker Claus Fussek attestierte dem Hospiz- und Palliativgesetz der Bundesregierung (18/5170), das vergangene Woche im Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossen wurde, zwar einige Verbesserungen. Die geschätzt zusätzlichen 200 Millionen Euro pro Jahr ab 2016 für den Versorgungsausbau seien aber unzureichend, sagte Fussek im Deutschlandfunk und fügte hinzu: "Manchmal habe ich den Eindruck, man versucht hier, mit einer Wasserpistole einen Waldbrand zu löschen." Wer die Situation in Pflegeheimen kenne, dem könne angst und bange werden.

Den Abgeordneten scheint auch durchaus bewusst zu sein, dass diese Reform nur ein Anfang sein kann auf einem längeren Weg, denn in der Schlussdebatte machten Redner aller Fraktionen deutlich, dass weitere Schritte nötig sein werden, vor allem in der Pflege. Das Gesetz soll dazu beitragen, Sterbende besser zu betreuen, ihre Schmerzen zu lindern und ihnen Ängste zu nehmen. Es werden Anreize gesetzt zum flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Vorgesehen ist auch eine bessere finanzielle Ausstattung der stationären Hospize. So tragen die Kassen künftig 95 statt 90 Prozent der zuschussfähigen Kosten. Kinderhospize bekommen eigene Rahmenvereinbarungen. Bei den ambulanten Hospizdiensten werden neben den Personalkosten auch Sachkosten bezuschusst, also etwa Fahrtkosten für ehrenamtliche Mitarbeiter. Die sogenannte Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) soll flächendeckend verbreitet werden. Pflegeheime sollen Kooperationsverträge mit Palliativfachärzten abschließen. Die Krankenkassen werden dazu verpflichtet, die Patienten bei der Auswahl von Angeboten der Palliativ- und Hospizversorgung zu beraten. In Kliniken werden multiprofessionelle Palliativteams eingesetzt.

Trotz der Defizite, die nicht kurzfristig alle beseitigt werden können, überwog in der Schlussdebatte der Stolz, fraktionsübergreifend einen wichtigen Schritt gemacht zu haben. Ähnlich wie in der Sterbehilfedebatte wirkten die Redebeiträge versöhnlich und ausgleichend. Letztlich votierten neben Union und SPD auch die Grünen für die Vorlage, die Linksfraktion enthielt sich, sah im Gesetz aber einen Fortschritt. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sprach denn auch von einer "Gemeinschaftsleistung", Karl Lauterbach (SPD) von nie erlebter, konstruktiver Zusammenarbeit und Hubert Hüppe (CDU) gar von einer "Sternstunde" der parlamentarischen Arbeit. Gröhe warb in seiner Rede dafür, das "Unausweichliche geschehen zu lassen". Jedoch könnten Schmerzen und Einsamkeit in der letzten Lebensphase mit medizinischen Mitteln und geeigneten Versorgungsstrukturen verhindert werden. Da viele Menschen über die Angebote und Möglichkeiten wenig wüssten, bestehe ein Ziel des Gesetzes in mehr Information und Beratung.

Lob und Zweifel Lauterbach räumte Defizite offen ein und sagte, derzeit bekämen zu wenige Menschen die nötige palliative Versorgung. Der Mediziner wies darauf hin, dass die Palliativmedizin auch lebensverlängernd wirke. Das wüssten jedoch viele Menschen und Ärzte gar nicht. Die Opposition lobte die Intention des Gesetzes, sieht ein schwerwiegendes Probleme aber im Pflegenotstand. Pia Zimmermann (Linke) rügte die schlechteren Leistungen in Pflegeheimen gegenüber Hospizen und sprach von einer Zweiklassenbetreuung. Auch mangele es an einer verbindlichen Personalbemessung für Pflegedienste.

Elisabeth Scharfenberg (Grüne) stellte fest: "Wir legen einige Meter zurück, einige Kilometer liegen noch vor uns." Es gebe in der Palliativversorgung "zu viele weiße Flecken auf der Deutschlandkarte", betonte sie und fügte hinzu: "Das Nichts macht den Menschen Angst." Auch Kliniken und Pflegeheime seien mit der Situation überfordert. Dass so viele Menschen in Krankenhäusern stürben, sei eine "traurige Realität". Hilde Mattheis (SPD) verteidigte die Entscheidung, die Kosten für stationäre Hospize nicht komplett zu übernehmen. Dies solle eine rein "geschäftsmäßige Hospizbewegung" verhindern. Helga Kühn-Mengel (SPD) fügte hinzu, es gehe auch darum, den ehrenamtlichen Ansatz aufrecht zu erhalten.

Nach Ansicht Hüppes ist das Gesetz auch ein wichtiger Beitrag zur Suizidprävention. Er verwies zudem auf die vereinbarten Berichtspflichten, mit denen überprüft werden soll, ob die beschlossenen Maßnahmen funktionieren. Auch Emmi Zeulner (CSU) sieht einen Zusammenhang mit der Sterbehilfedebatte. Es gehe darum, den Menschen die Angst zu nehmen, in die Fänge der Apparatemedizin zu geraten und am Lebensende schlecht versorgt zu werden.