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Doping : Die Sisyphusarbeit

Der Kampf gegen unsaubere Methoden im Spitzensport ist nahezu aussichtslos - er muss dennoch geführt werden

16.11.2015
2023-08-30T12:28:12.7200Z
7 Min

Der Sport führt einen Kampf, den er längst aufgegeben hat - aber trotzdem weiterführen muss. Um jeden Preis. Es ist der Kampf gegen den Treibstoff in dieser globalen Muskelindustrie namens Leistungssport, der Kampf gegen Doping. Aussichtslos ist das Unterfangen schon, weil es viel zu viele, immer neue und verfeinerte Pharmaprodukte gibt, die Athleten auf die Sprünge helfen; Wirkstoffe, die in der Regel für Schwerkranke hergestellt werden - nicht für gesunde Höchstleister. Hocheffiziente Substanzen also, die dem Sportbetrüger jene vier, fünf Prozent Zugewinn sichern, die im Profisport den Unterschied ausmachen zwischen Sieger und Mitläufer. Und das ist nur ein Teil des Problems.

Dopingküchen arbeiten überall auf der Welt, zwischen Weißrussland und China, aber auch in Afrika, Mexiko, den USA. Gezielt werden Dopingpräparate hergestellt, die von der Analytik der Sportlabore gar nicht erfasst werden können. Und in Deutschland? Hierzulande flogen sogar wiederholt Wissenschaftler auf, die sich im Umfeld von renommierten Sportmedizinern und Dopingforschern tummelten - und auf der anderen Seite Dopingpräparate vertrieben oder sogar selbst herstellten.

Publikum im Visier Ja, auch viele im Sport verwurzelte Akademiker tragen auf beiden Schultern. Erst im Oktober offenbarte ein Doping-Prozess am Landgericht in Memmingen gegen einen ehemaligen Sportarzt des Uni-Klinikums Ulm, wie eng Gut und Böse im Dopingkampf beieinander liegen. Der Beschuldigte war früher selbst im Antidoping-Bereich aktiv; er betreute deutsche Kaderathleten und hatte sogar an der Kölner Sporthochschule geforscht, mit den Analytikern des dortigen Labors. Ähnliche Fälle wurden im Saarland und in Bayern bekannt. Und die Doping-Umtriebe an der einstigen Medaillenschmiede des westdeutschen Sports, der Universität Freiburg, beschäftigen seit einem Jahrzehnt eine eigene Evaluierungskommission. Allein die Geschichte, wie diese Ermittler fortwährend ausgebremst wurden, würde einen Spielfilm füllen.

Dass der aussichtslose Kampf trotzdem geführt werden muss, mit Drohungen, Kontrollen und unhaltbaren Versprechen, liegt daran, dass der Sport das seinem Publikum schuldet. Das ist die Zahlkundschaft, die allein den Schneller-Höher-Weiter-Betrieb des Spitzensports am Laufen hält. Dieses Publikum würde in Scharen davonlaufen, müsste es den Eindruck gewinnen, dass es im Spitzensport nicht mit rechten Dingen zugeht. Also hat der Sport - das Geschäft mit dem Spitzensport - ein existentielles Interesse daran, dass er sich als weitestgehend sauber darstellen kann. Und deshalb muss das Publikum glauben, dass die Kontrollsysteme funktionieren.

Leider ist das Gegenteil der Fall, das belegen ein paar unverrückbare Tatsachen. Alle großen Dopingfälle der letzten zwei Dekaden wurden nicht durch Dopingtest aufgedeckt. Sünder wie Lance Armstrong oder der deutsche Radheros Jan Ullrich, die US-Sprint-Olympiasiegerin Marion Jones oder Amerikas Baseballstars um Alex Rodriguez flogen durch staatliche Ermittlungen auf, durch Polizei, Steuer- oder Zollfahnder. Problemlos aber überstanden sie mehr als tausend negative Dopingtests. Tests, deren Kosten sich auf einen sechsstelligen Betrag addierten.

"Wir stellen fest, dass wissenschaftliches Doping im Spitzensport nicht mehr erkannt werden kann", erklärte Deutschlands renommiertester Dopingjäger Werner Franke erst im November im Hinblick auf die Doping-Skandale in der Leichtathletik. Russische Stars schützten sich über interne Tests; zudem steht der Kreis um den langjährigen Chef des Weltverbandes IAAF im Verdacht, Geld von Sündern erpresst zu haben, deren Dopingbefunde unter den Tisch gekehrt wurden.

Wie naiv die Hoffnung auf Besserung ist, zeigt schon die Logik der sportlichen Entwicklung: Man braucht sich nur vorzustellen, wie radikal die Spitzenleistungen dort zurückgingen, wo bisher unbesorgt betrogen wird. Etwa im Fußball. Der geriert sich als strikter Hort der Sauberkeit. Also dort, wo taktische Fouls zum Trainingsplan gehören und ein transnationaler Geldtransfermarkt wuchert, der polizeilicher Untersuchung bedürfte - dort soll Doping ausgerottet sein? Das kann nur ein Sport behaupten, der keine Subvention von außen braucht und so ergebene Fans besitzt, dass sie sogar in der Vereinsbettwäsche schlafen. Soeben hat Arsenal Londons Trainer Arsene Wenger kundgetan, er glaube, seine Elf habe schon gegen viele gedopte Teams spielen müssen.

Die Ineffektivität von Dopingkontrollen ist das eine. Hinzu kommt ein Aspekt, der sich aus den Korruptionssümpfen ergibt, in die sich die moderne Sportwelt verwandelt hat. Die Rede ist vom Treiben der Funktionäre, die sich im Schutze der Autonomie des Sports sicher wissen vor Zugriffen staatlicher Instanzen in aller Welt. Diese Funktionärsklientel, die sich als "Familie" bezeichnet - Fußballfamilie, olympische Familie - hat früh erkannt, wo für sie das wahre Problem mit dem Pharmabetrug lauert. Doping selbst ist keine Gefahr, eher eine Notwendigkeit für den Wirtschaftsbetrieb des Sports: Der zieht seinen Profit gerade aus steten Leistungsverbesserungen des menschlichen Körpers. Das Problem ist nicht der Betrug - sondern seine Entdeckung. Nur die sorgt ja für Skandale und Glaubwürdigkeitsverlust. Das ist schlecht fürs Geschäft.

Es geht also darum, Dopingfälle zu vermeiden - wenn Doping an sich schon nicht zu verhindern und insgeheim sogar willkommen ist. An der Vermeidungsstrategie arbeiten alle Akteure mit; bis hin zu den Laboren, die sehr viel Geld mit all den negativen Tests verdienen, die sie immerzu ausspucken. Sie sehen durchaus manches, was die Branche so treibt, begnügen sich aber brav mit der Rolle des wissenschaftlichen Messknechts. Dem nicht einmal gestattet ist, den extensiven Schmerzmittelgebrauch im Profifußball zu untersuchen. Dabei hat dieser längst einen Dopingstatus erlangt, weil er schmerzunempfindliche Berufskicker in knallharte Zweikampfmaschinen verwandelt - oder dafür sorgt, dass selbst Spieler mit schwersten Muskelrissen durch ein wichtiges Champions-League-Match kommen.

Sechs Prozent dopen Gedopt wird überall. Weil es was bringt; weil Berufsathleten in vielen Sportarten davon ausgehen, dass es ihre Gegner - und Marktrivalen - ebenfalls tun. Wie tief Spitzenathleten der Pharmabetrug in den Genen liegt, offenbar das sportsoziologisch gut abgesicherte "Goldman-Dilemma". Der US-Arzt Bob Goldman hat ab den 1980er Jahren in zahlreichen Studien in Zweijahres-Intervallen ermittelt, dass rund die Hälfte der Spitzenathleten bereit ist, innerhalb von fünf Jahren zu sterben, wenn ihnen eine bestimmte Droge den Gewinn einer olympischen Goldmedaille sichern würde. Noch Fragen?

Entlarvend sind nicht die Testergebnisse, wohl aber die Erkenntnisse in Ländern wie Deutschland. Dass sich der schwarzrotgoldene Spitzensport gern als porentief sauber präsentiert und damit eine besondere Fallhöhe riskiert, zeigt sich dieser Tage am Skandal um die WM-Vergabe 2006 ins Sommermärchen-Land. Grotesk aber wirkt der Verweis auf die statistische Reinheit, wenn man auf die belastbaren Erkenntnisse zweier Doping-Studien an deutschen Kaderathleten der letzten Jahre schaut. Die Universität des Saarlands hatte 2005 eine Dopingquote zwischen 26 und 48 Prozent ermittelt. Und 2013 legte die Deutsche Sporthilfe eine große Untersuchung vor, in der sich satte sechs Prozent der Kaderathleten als regelmäßige Doper bekannten. Schlimmer: 40 Prozent der Befragten wollten sich gar nicht zur Dopingfrage äußern. Goldman lässt grüßen.

Deutsche Sportfunktionäre ignorieren solche Papiere, sie reden die Verhältnisse schön oder zweifeln kritische Erhebungen aus den eigenen Reihen an. Das Gros will nur sicherstellen, dass der Laden brummt. Was vielleicht nicht nur in Russland dazu geführt hat, dass sich jenes staatlich geförderte Doping wieder erfand, dass es schon zu Ostblock-Zeiten gab. Übrigens, damals waren es die Deutschen, die den Pharmabetrug am besten beherrschten; niemand reichte an die faustischen Experimente des DDR-Staatsplanthemas 14.25 heran. Nicht mal die deutschen Brüder im Westen, obwohl sich auch die nach Kräften um ein systemisches Staatsdoping bemühten. Wie brutal der Pharmabetrug im Westen betrieben worden war, hat eine Historiker-Kommission in den vergangenen Jahren unter größten Erschwernissen zutage gefördert. Verdienstvolles leistet auch die Evaluierungskommission, die die Dopingumtriebe an der Uni Freiburg untersucht. Breisgau-Ärzte wie Armin Klümper und Joseph Keul erlangten Kultstatus; der renommierte US-Dopingforscher John Hoberman stellte fest, dass Deutschland das einzige Land sei, in dem es Ärzte schafften, wie Sportstars hofiert zu werden. Für Superstar Klümper, der öfter mal mit dem Gesetz in Konflikt geriet, zahlten Deutschlands Fußballhelden in den 1980er Jahren sogar in einen eigenen Fonds ein. Im März 2015 kam dann heraus, dass Klümper auch Profiklubs mit Anabolika versorgt hatte. Zum Kern des Dopingproblems zählen Ärzte und sonstige renommierte Wissenschaftler, die aus Sportgefühligkeit oder falscher Vaterlandsliebe auf die dunkle Seite geraten. Hinzu kommen viele Politiker, die sich allzu gerne im Glanz der Helden und der Medaillen sonnen. Denn Sport, insbesondere der Fußball, hat heute eine quasi-religiöse Bedeutung erlangt.

Deshalb hat es der Fußball geschafft, Doping im Spitzenbereich abzuschaffen. Das heißt: Er hat die Dopingaffären abgeschafft. Das geschah 2006, der Fußball stand am Abgrund. Gerade war der spanische Blutpfuscher Eufemiano Fuentes ins Gefängnis gewandert; er gestand, er habe auch Profis von Spitzenklubs in Madrid und Barcelona betreut. Manche Verbindung ließ sich sogar nachzeichnen, und bei Athletic Bilbao flogen jahrelange Dopinglieferungen von Fuentes auf. Trotzdem endete die Enthüllung hier. Spaniens Justiz sperrte die Akte Fuentes eilig weg. Bis heute versucht die Welt-Antidopingagentur Wada, an die Unterlagen zu gelangen, vergebens. In einem Land, dessen Klubs das Wörtchen "königlich" - Real - im Namen tragen, werden Nationalheiligtümer nicht beschädigt.

Seit jener Schrecksekunde hat sich im Fußball zweierlei ergeben: Der spanische Sündenpfuhl wurde nie durchleuchtet. Und Spaniens Fußball dominiert seither die Welt. Ein Land, das stets ballverrückt, aber nie unter den Besten war. Ab Mitte der Nullerjahre zieht sich die Erfolgsgeschichte der spanischen generacion de oro, Generation Gold, durch den Weltsport. Nicht nur im Fußball, auch in Handball und Radsport, Tennis und Leichtathletik. Inzwischen sind die Botschafter dieser Erfolgskultur in alle Welt ausgeschwärmt.

Es braucht harte Gesetze, um dieser dramatischen Betrugsentwicklung zumindest ein paar Grenzen abzustecken. Es braucht dringend externe Kontrolle, völlig unabhängige Aufsichtspersonen. Es braucht mutige Politiker, und es braucht den aufgeklärten Teil des Publikums, das sich zumindest überall dort von der Pharma- und Muskelmesse abwenden sollte, wo es den Hochglanzbildern dieser perfekten Traumindustrie nicht mehr trauen kann.