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NSU-UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS : Sorge vor neuem Terror

Experten fordern Klarheit über Rolle der V-Leute

21.12.2015
2023-08-30T12:28:14.7200Z
4 Min

In Deutschland droht neuer Terror von Rassisten. Diese Warnung äußerte die Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke bei einer Sachverständigen-Anhörung im neuen NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages (,,Terrorgruppe NSU II"). Hinter den aktuellen Anti-Asyl-Protesten stünden häufig ,,neonazistische Drahtzieher", sagte die Journalistin, die als exzellente Kennerin der rechtsradikalen Szene gilt. Auch der Publizist Dirk Laabs sowie die beiden Vertreter der Sicherheitsbehörden, Frank Niehörster und Burkhard Freier, äußerten ihre Sorge vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft der rechtsradikalen Szene. In dieser Hinsicht gebe es Parallelen zu den frühen 1990er Jahren, in denen sich auch die späteren NSU-Mitglieder radikalisiert hatten, äußerten die Sachverständigen übereinstimmend. Niehörster ist Leiter des Arbeitskreises Polizei der Innenministerkonferenz (IMK) und Freier Leiter des Arbeitskreises Verfassungsschutz der IMK. Als fünfte Sachverständige war Barbara John geladen, Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der Opfer des ,,Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU). Mit der Anhörung am 17. Dezember begann der im November gebildete Ausschuss seine Beweisaufnahme.

John berichtete den Abgeordneten, die von ihr betreuten Familien seien dankbar dafür, dass sich der Bundestag mit der erneuten Einrichtung eines Untersuchungsausschusses um die weitere Aufklärung der NSU-Verbrechen bemühe. Groß sei noch immer ihre Hoffnung, eine Antwort auf die Frage zu erhalten, warum ausgerechnet ihre Angehörigen Opfer des NSU geworden seien. Die wirtschaftliche Lage der Familien hat sich nach Johns Auskunft in den vergangenen Jahren stabilisiert. Allerdings hätten sie häufig mit rechtlichen Problemen zu kämpfen, etwa bei Fragen der Staatsangehörigkeit. Als besonders mitfühlend und effizient lobte John die Behörden Bayerns. Sie berichtete auch über einen Spendenfonds, mit dessen Hilfe es möglich sei, Fahrten von Angehörigen sowohl zum NSU-Prozess in München als auch zu den Gedenkstätten an den Tatorten zu finanzieren.

Der Ausschuss-Vorsitzende Clemens Binninger (CDU) forderte die Sachverständigen auf, nicht nur von eigenen Erkenntnissen und Erfahrungen zu berichten, sondern auch ihre Erwartungen an das Gremium zu formulieren. Dirk Laabs sagte, die Abgeordneten hätten nun "Kärrnerarbeit" zu leisten vor allem im Hinblick auf die Rolle der V-Leute im NSU-Umfeld. Der Mit-Autor des Buches "Heimatschutz: Der Staat und die Mordserie des NSU" kritisierte, dass sich "zentrale staatliche Akteure" noch immer der Aufklärung verweigerten. "Dunkelster Flecken" sei das Bundesland Sachsen, wo sich mindestens zwei V-Leute im unmittelbaren NSU-Umfeld befunden hätten. Laabs kritisierte auch, dass es nach der Enttarnung des NSU 2011 bei den Verfassungsschutzämtern Rücktritte gegeben habe, die Gründe dafür aber nicht öffentlich bekannt seien und keine weiteren personellen Konsequenzen folgten.

Systematische Aufarbeitung Die Journalistin Röpke forderte den Ausschuss ebenfalls auf, die Rolle der V-Leute im NSU-Umfeld näher zu untersuchen. Sowohl sie als auch Laabs erwähnten den Mord am deutsch-türkischen Internetcafé-Besitzer Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel. Zu der Frage, warum sich der Verfassungsschützer Andreas Temme damals unmittelbar vor und möglicherweise auch nach den tödlichen Schüssen am Tatort aufhielt, gebe es weiter zahlreiche Widersprüche. Der erste NSU-U-Ausschuss des Bundestags ist nach Angaben von Laabs zum diesem Thema mehrfach angelogen worden.

Der Leiter des Arbeitskreises Polizei der IMK, Niehörster, nannte als wichtigste Konsequenz aus den NSU-Taten die Einrichtung eines gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus bereits im Dezember 2011. Alle ,,Altfälle" seien systematisch auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund hin untersucht worden. Zudem habe sich die IMK entschieden, den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei zu verbessern. Wie er später ausführte, stoße das aber an Grenzen durch das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten. Die NSU-Verbrechen und die Fehler bei den Ermittlungen seien auch in die Lehrpläne für die Aus- und Fortbildung des Polizeinachwuchses und der Mitarbeiter aufgenommen worden.

,,Gravierende Fehler und Versäumnisse" der Verfassungsschutzämter im Zusammenhang mit den NSU-Verbrechen räumte Burkhard Freier ein. Neben seiner Funktion bei der IMK ist er auch Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (NRW). Als Konsequenz aus den NSU-Verbrechen habe man neue Analyse-Instrumente und einen neuen Leitfaden für die Speicherung von Daten entwickelt. Zum Namen eines Verdächtigen müsse jetzt auch stets eine Analyse hinzugefügt werden, sagte Freier vor dem Ausschuss. Darüber hinaus sei unter anderem mit der Hilfe eines ,,Behördenzeugnisses" die Verwertbarkeit von Informationen der Verfassungsschutzämter vor den Gerichten verbessert worden. Zudem bemühe man sich um gemeinsame Standards aller Verfassungsschutzämter für das Führen und Werben von V-Leuten. Freier berichtete den Abgeordneten darüber hinaus, dass die Pegida-Bewegung in NRW und einigen anderen Bundesländern rechtsextrem unterwandert sei. Die fehlende Distanz vieler Menschen dazu bezeichnete er als "großes Problem".