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Infrastruktur : Kaputte Straßen, alter Putz

Viele Kommunen haben nicht genug freie Mittel für die dringend benötigte Erneuerung von Straßen oder öffentlichen Gebäuden. Der Investitionsbedarf ist gewaltig

07.03.2016
2023-08-30T12:29:57.7200Z
4 Min

Die Bilder gleichen sich vielerorts und illustrieren den Niedergang der kommunalen Infrastruktur in Deutschland: Straßen mit zerbröselnden Schlaglöchern, die aussehen, als wären gerade Panzer darüber gerollt, trostlose Schulbaracken mit undichten Fenstern und Dächern, Turn- oder Schwimmhallen, die weder von außen noch von innen einladend wirken, kaputte Straßenlampen, Bauruinen, veraltete Verwaltungsgebäude und Krankenhäuser oder zugemüllte Grünflächen.

Hinweise auf eine marode öffentliche Infrastruktur finden sich in Städten und Gemeinden überall in Deutschland, der Statistik zufolge im Westen häufiger, im Süden seltener. Die Probleme ziehen sich durch das Land und die Jahre, längst erkannt und immer noch ungelöst. Ökonomen und Kommunalexperten sind besorgt und fürchten großes Unheil, denn Substanzwerte gehen verloren, von der Lebensqualität mal ganz abgesehen.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) versucht auch gar nicht erst, die alarmierende Lage irgendwie zu beschönigen. Der Stellvertretende Hauptgeschäftsführer Uwe Zimmermann referiert nüchtern die Realität, wenn er sagt: "Wir haben eine seit Jahren andauernde Investitionszurückhaltung in den Kommunen. Das ist ausgesprochen problematisch, weil jede Investition in Infrastruktur, die unterbleibt, Folgeschäden nach sich ziehen kann." So würden Straßenlöcher heute mit sogenannten Kaltasphaltplomben repariert und flögen wenig später wieder raus. "Die gestreckten oder verschobenen Investitionen in die Infrastruktur rächen sich", warnt Zimmermann. Die Probleme zögen sich durch Schulen und Kindergärten, Turnhallen und Rathäuser, es gehe auch um Fassaden- und Schimmelschutz. " Man muss investieren, um den Wert zu erhalten."

Sozialausgaben Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin entfällt mehr als die Hälfte der Investitionen in Deutschland auf die kommunale Ebene. In einer Analyse vom Herbst 2015 kommen die Forscher zu dem Schluss, dass vor allem jene Kommunen mit hohen Sozialausgaben zu wenig investieren, weil sie einfach gar keinen finanziellen Spielraum mehr haben. Insgesamt lässt sich auch ein Nord-Süd-Gefälle ausmachen sowie eine zunehmende Ungleichheit (Disparität), weil sich die negativen wirtschaftlichen Effekte bei Kommunen mit schlechter Finanzlage im Laufe der Zeit noch verstärken.

Den Ergebnissen zufolge hat sich die kommunale Investitionsquote seit 1991 halbiert, wobei es deutliche Unterschiede gibt zwischen Landkreisen und kreisfreien Städten. Im Landkreis München etwa lagen 2013 die Investitionen pro Kopf bei 724 Euro, das ist der nationale Spitzenwert. Schlusslicht in dem vom DIW berechneten Ranking ist das strukturschwache Wilhelmshaven an der Nordsee mit 35 Euro Investitionssumme pro Kopf. Investitionsschwach sind demnach auch Flensburg (Schleswig-Holstein), Bielefeld, Hagen, Duisburg (Nordrhein-Westfalen), Halle (Sachsen-Anhalt) und Jena (Thüringen). Die Aufzählung ließe sich noch erheblich erweitern.

In den zurückliegenden Jahren ist ein immenser Investitionsrückstau entstanden, der wenig Anlass für Hoffnungen gibt, die Lage könnte sich rasch wieder bessern. Wie aus dem jährlich auf Basis einer Umfrage erstellten Kommunalpanel 2015 der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hervorgeht, liegt der Investitionsstau der Städte und Gemeinden in Deutschland derzeit hochgerechnet bei 132 Milliarden Euro (siehe Grafik), wobei auf die Straßen- und Verkehrsinfrastruktur die mit Abstand größte Summe entfällt. Immerhin ist das kommunale Straßennetz rund 600.000 Kilometer lang.

Kassenkredite Laut dem KfW-Panel müssen rund ein Drittel der Kommunen (35 Prozent) seit mehr als zehn Jahren mit einer "negativen Gesamtfinanzsituation" klarkommen. In diesen Fällen sei damit zu rechnen, dass die Kommunen in einer "Negativspirale" ganz den Anschluss verlören, heißt es in der Analyse der Bank. Auf der anderen Seite schätzen 15 Prozent der Kommunen ihre Finanzlage positiv ein. Es gebe Kommunen, die sich konsolidiert und einen "Turnaround" geschafft hätten, oft mit Hilfe von Haushaltssicherungskonzepten (siehe auch Interview unten). Trotz der zuletzt insgesamt leicht entspannten Lage der Kommunen, auch durch finanzielle Entlastungen des Bundes bei den Sozialausgaben, kann von Entwarnung keine Rede sein. "Die Kassenkredite sind ein sehr guter Gradmesser, um zu illustrieren, wie problematisch das aussieht mit den kommunalen Finanzen", sagt Zimmermann. Nach einer Aufstellung der KfW sind die kommunalen Kassenkredite seit der Jahrtausendwende exorbitant gestiegen, von damals rund sechs Milliarden Euro auf inzwischen 51,5 Milliarden Euro. Die KfW hat hochgerechnet, dass die Kassenkredite bis 2020 auf mehr als 77 Milliarden Euro steigen könnten mit der Folge, dass Kommunen durch Zins- und Tilgungslasten in ihrem Handlungsspielraum weiter eingeschränkt würden.

Kurzfristige Kassenkredite, die ähnlich funktionieren wie ein privater Dispokredit, waren ursprünglich einmal dazu gedacht, unterjährige Schwankungen bei den Einnahmen und Ausgaben der Kommunen auszugleichen. Längst werden jedoch die Kassenkredite auch zur langfristigen Finanzierung genutzt, was angesichts der niedrigen Zinsen verlockend, aber bei steigenden Zinsen leicht zur Falle werden kann.

Nach Ansicht der KfW-Forscher ist der "stetige Anstieg der kommunalen Kassenkreditverschuldung Ausdruck einer strukturellen Unterfinanzierung vieler deutscher Kommunen". Die hohe Verschuldung der Kommunen führe zu "erheblichen Einschränkungen der finanziellen Handlungsfähigkeit und damit der politischen Gestaltungsmöglichkeiten in der Zukunft". Sie fordern "eine grundsätzliche Reform des Gemeindefinanzsystems zur Stärkung der kommunalen Finanzkraft". Daneben sollten die Kommunen ihre Verwaltungen modernisieren. Die kommunalen Spitzenverbände haben eine Ausweitung der Lkw-Maut auf die kommunale Ebene vorgeschlagen, um mit den Einnahmen zweckgebunden die Verkehrsinfrastruktur zu stärken sowie die Umwidmung des Solidaritätszuschlags in einen Investitionsfonds zugunsten benachteiligter Kommunen.

Nach Ansicht Zimmermanns sind die erheblichen Probleme der Kommunen angesichts der Zahlungsverpflichtungen, die sich etwa aus den Sozialleistungen ergeben, "nicht überraschend, sondern im Prinzip schon programmatisch". Die Folgen könnten den Wirtschaftsstandort Deutschland beeinträchtigen, meint er. So funktioniere die Verkehrsinfrastruktur zwar noch recht gut, es gebe aber Anzeichen für einen Verfall. Brücken, Tunnel, Straßen, Schienen, Häfen und Kanäle hätten eben nur eine begrenzte Haltbarkeit und müssten dann erneuert oder saniert werden.

Die Kommunen haben laut Zimmermann daneben auch ein vitales Interesse an einer guten Breitbandversorgung, die in manchen ländlichen Regionen noch ausgesprochen schlecht ist. Die Kommunen sind dafür zwar nicht zuständig, neben der Mobilität seien leistungsstarke Breitbandverbindungen für Internet und Telekommunikation jedoch eine entscheidende Voraussetzung für die Ansiedlung von Unternehmen und für viele Bürger ein wichtiger Standortfaktor.