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KULTUR : Zwischen Kür und Pflicht

Deutschland verfügt über eine blühende Kulturlandschaft - trotz aller Sparzwänge. Die Kommunen tragen neben den Ländern dabei die finanzielle Hauptlast

07.03.2016
2023-08-30T12:29:57.7200Z
4 Min

Dem renommierten Museum für zeitgenössische Kunst im barocken Lustschloss Morsbroich in Leverkusen droht die Schließung. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG schlägt in ihrem Bericht "Optimierungspotenziale der KulturStadtLev" die Auflösung der Sammlung vor. Einsparpotenzial: 778.450 Euro pro Jahr - keine Kleinigkeit für eine verschuldete Stadt wie Leverkusen. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, die die Schließung von Kultureinrichtungen kommt beim Bürger nicht gut an.

Beim Deutschen Kulturrat, dem Spitzenverband deutscher Kulturverbände, kann man viele solcher Beispiele nennen. Er veröffentlicht seit 2012 viermal im Jahr die "Rote Liste der bedrohten Kultureinrichten". Auf ihr werden Museen, Theater, Bibliotheken aber auch Kultursendungen im Rundfunk mit Kennzahlen gelistet, die Auskunft über der Grad Bedrohung Auskunft geben. In vielen Kommunen ist die Existenz von Kultureinrichtungen angesichts des allgegenwärtigen Sparzwangs bedroht.

Vor vier Jahren forderten der damalige Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Pius Knüsel, der Soziologe Dieter Hasselbach und die Kulturwissenschaftler Armin Klein und Stephan Opitz einen harten Schnitt: Die Zahl der staatlich finanzierten oder subventionierten Kultureinrichtungen sollte halbiert werden, um der andere Hälfte das Überleben zu sichern. Was folgte war ein wahrer "Shitstorm": Angefangen vom damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) bis in die Feuilleton-Redaktionen erregte der provokante Vorstoß Kopfschütteln und Missbilligung. Doch selbst die Direktorin der Stuttgarter Staatsgalerie, Christiane Lange, warnte Ende vergangenen Jahres in mehreren Interviews vor einem ungebremsten Boom bei den Museumsgründungen. Bundesweit hätten seit 1990 etwa 700 neue Kunstmuseen ihre Pforten geöffnet. "Alle diese Museen konkurrieren um Geld, Besucher und Aufmerksamkeit", gab Lange zu bedenken.

Fakt ist: Deutschland leistet sich eine blühende Kulturlandschaft, die in Europa ihresgleichen sucht - aber auch überwiegend aus Steuergeldern finanziert wird. Rund 140 öffentlich getragenen Theaterbühnen, etwa 130 Opern-, Sinfonie- und Kammerorchester und circa 70 Festspiele, 8.000 öffentliche Bibliotheken und 3.700 Museen in öffentlicher Trägerschaft locken Jahr für Jahr ein Millionenpublikum. Hinzu kommen die Kultureinrichtungen in privater Trägerschaft, allein 3.000 Museen.

Legt man die Kulturausgaben als Maßstab an, so sind es vor allem die Kommunen und Bundesländer, die das kulturelle Leben in Deutschland maßgeblich prägen. Mit 4,2 Milliarden Euro finanzierten die Städte und Gemeinden im Jahr 2011 rund 45 Prozent aller Kulturausgaben der öffentlichen Hand in Höhe von 9,4 Milliarden. Etwa 42 Prozent (3,9 Milliarden Euro) brachten die Länder einschließlich der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen auf, lediglich 13 Prozent (1,2 Milliarden Euro) kamen vom Bund. So rechnet es das Statistische Bundesamt in seinem aktuellsten "Kulturfinanzbericht" vor, den es im Sommer vergangenen Jahres veröffentlichte.

Umgerechnet auf die Gesamtetats flossen durchschnittlich 2,3 Prozent der kommunalen Ausgaben in den Kulturbereich. Bei Ländern und Bund waren es 1,8 beziehungsweise 0,8 Prozent. Zwischen den Ländern gibt es jedoch gewaltige Unterschiede, welchen Anteil die Kommunen jeweils an den landesweiten Kulturausgaben aufbringen. Am höchsten fiel 2011 der Grad der Kommunalisierung der Kulturausgaben mit rund 76 Prozent in Nordrhein-Westfalen aus. In den meisten Ländern lag der kommunale Anteil zwischen 50 und 56. Im Saarland fiel die Quote mit rund 40 Prozent am niedrigsten aus.

Doch auch wenn Kommunen immer wieder gezwungen sind, den Rotstift bei den Kulturausgaben anzusetzen, wollen sie deshalb noch lange nicht ihr kulturelles Selbstverwaltungsrecht abgeben. Im Gegenteil: Die angespannte Haushaltslage sei "kein Grund, am Kulturföderalismus zu rütteln", beschied Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, in einem Positionspapier im Sommer vergangenen Jahres. Die Förderung der Kultur durch Bund, Länder und Kommunen habe sich "bewährt". Die kulturellen Angebote und Einrichtungen in den Kommunen seien abhängig von den konkreten Möglichkeiten und den besonderen Bedingungen vor Ort. "Dazu gehöre auch das Recht, "kulturelle Einrichtungen zu schließen oder Angebote zurückzufahren", führte Landsberg aus.

Kommunalpolitiker spitzen genau wie ihre Länderkollegen stets die Ohren, wenn ihre Kulturhoheit in Frage gestellt wird. Selbst einem Nothilfefonds Kultur für die Kommunen, wie ihn etwa der Deutsche Kulturrat 2010 angesichts der konjunkturbedingt einbrechenden Einnahmen bei der Gewerbesteuer gefordert hatte, kann Gerd Landsberg wenig abgewinnen: Zum einen, weil das grundsätzliche Problem der Unterfinanzierung dadurch nicht beseitigt werde. Vor allem aber, weil sich die Frage stelle, "welche Einrichtungen unterstützt werden und wer darüber entscheidet". Und darüber wollen die Kommunen aus gutem Grund weiterhin selbst entscheiden. Die kommunale Kulturpolitik sei ein "zentrales Aufgabenfeld", das "einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Klima in der Stadt leistet", heißt es im Positionspapier des Deutschen Städtetages.

Skeptisch bewerten Kommunalpolitiker auch die von Kulturverbänden gerne vorgetragene Forderung, den Erhalt der kommunalen Infrastruktur zu einer kommunalen Pflichtaufgabe zu erheben, so wie die Bereitstellung von Kita-Plätzen, das Meldewesen oder die Straßenreinigung. Bundesweit existiert bislang nur in Sachsen eine entsprechende Regelung. Der Freistaat verpflichtete seine Kommunen 1994 mit dem Sächsischen Kulturraumgesetz zur Kulturpflege. Es unterteilt das Bundesland zudem in fünf Kulturräume, in denen es für regional bedeutsamen Einrichtungen zu einem Lastenausgleich zwischen der Trägergemeinde, dem Land Sachen und dem jeweiligen Kulturraum kommt. Gesteuert wird dieser in den ländlichen Kulturräumen durch eigens geschaffene Organe, die Kulturkonvente. In den urbanen Kulturräumen übernehmen dies die Gemeindeorgane. In Sachsen ist man stolz auf dieses System, trotzdem steht das Gesetz derzeit vor einer Novellierung, da es auch nicht alle Probleme zu meistern vermag.

Die Kulturförderung zu einer kommunalen Pflichtaufgabe zu erheben, macht aber nur Sinn, wenn auch die benötigten Gelder vorhanden sind. Sachsen etwa ist unter den Flächenländern führend bei den Pro-Kopf-Ausgaben für die Kultur, gefolgt von Thüringen und Sachsen-Anhalt. Die Ostländer profitieren zudem von den Zuschüssen des Bundes für 23 ausgewählte Kultureinrichtungen von nationaler Bedeutung, beispielsweise die Klassik Stiftung Weimar. Gegen ein solches Engagement hätten viele West-Kommunen auch keine Einwände.