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INTERVIEW : Vertrauen entsteht langsam - und verschwindet schnell

Der Psychologe Martin Schweer über das Vertrauen in uns selbst, unsere sozialen Systeme und in neue technische Möglichkeiten

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
4 Min

Herr Schweer, als das Jahr 2015 zu Ende ging, war von einem unglaublichen Krisenjahr die Rede. Dieses Jahr ist nicht viel anders. Wie kann man dennoch zuversichtlich bleiben, ohne abzustumpfen?

In der Tat werden wir immer konkreter mit Bedrohungen konfrontiert, die wir bislang nur aus den Medien kannten. Zuversicht können wir aus der Erfahrung schöpfen, dass unsere sozialen Systeme äußerst funktionsfähig und sehr vielen Anforderungen gewachsen sind. Gerade dieser Aspekt wird in der Berichterstattung oftmals jedoch vernachlässigt. Deshalb sollten wir stets Empathie für die Notlagen derjenigen Menschen zeigen, die von solchen Krisen unmittelbar betroffen sind.

Sind Ängste also etwas Gefährliches?

Ängste sind auf mögliche Ereignisse in der Zukunft ausgerichtet, nicht auf konkrete Bedrohungen im Augenblick. Sie sind daher oftmals vage und führen zu einer selektiven Form der Informationsverarbeitung, die die negativen Emotionen verstärken. Oft sind Menschen dann rationalen Argumenten gegenüber nicht mehr zugänglich. Dieser Prozess wird durch soziale Netzwerke oftmals noch verstärkt, ein Umstand, den sich manche politische Bewegungen durchaus zu Nutze machen.

Welche Rolle spielt dabei das Vertrauen in sich selbst?

Dieses Vertrauen geht mit der subjektiven Überzeugung einher, über Strategien zu verfügen, um die Kontrolle über die eigene Lebenssituation zu behalten. Bedrohlich werden Situationen für uns ja gerade aufgrund der Wahrnehmung, solche Strategien eben nicht zu besitzen. Die Konsequenz ist, Vertrauen an andere Personen oder Institutionen abgeben zu müssen. Dies aber wird umso unangenehmer erlebt werden, je weniger wir von deren Funktionieren überzeugt bin sind. Auch diesen Mechanismus können politische Bewegungen dadurch nutzen, dass sie vor allem versuchen, Vertrauen in soziale Systeme zu erschüttern, ohne selber konstruktive Wege der Problemlösung aufzuzeigen.

Ein zentrales Versprechen unserer Gesellschaft ist das der Sicherheit. Was kann die Politik tun, damit dieses Grundgefühl nicht zerstört wird? Reichen mehr Polizisten auf den Straßen aus?

Eine solche Präsenz kann durchaus Positives bewirken. Die Tatsache, dass Deutschland vor Terroranschlägen bis zu diesem Sommer relativ verschont geblieben ist, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass vieles im Vorfeld verhindert werden konnte. Dennoch wird sich unsere Gesellschaft darauf einstellen müssen, bestimmte Gefahren nicht grundsätzlich beseitigen zu können. Das ist ein schwieriger Lernprozess, dem wir uns alle stellen müssen.

Wie entwickelt ein Mensch eigentlich Vertrauen?

Vertrauen basiert auf der subjektiven Sicherheit, sich in die Hand anderer Menschen oder auch Systeme begeben zu können. Wir wissen aus der Forschung, dass in dieser Hinsicht spezifische Merkmale oftmals vertrauenswürdig wirken. Dazu gehören Verlässlichkeit, Authentizität, Ehrlichkeit und Kompetenz. Je stärker wir also solche vertrauensstiftenden Merkmale erkennen, umso eher sind wir bereit, das Wagnis des Vertrauens einzugehen.

Welche Rolle spielt die frühkindliche Prägung dabei?

Die grundlegende Bereitschaft zum Vertrauen wird bereits von unseren Erfahrungen in der frühen Kindheit mitbestimmt. Kinder mit hoher Bindungssicherheit haben in dieser Hinsicht positive Voraussetzungen, da die notwendige Abhängigkeit von den engen Bezugspersonen nicht enttäuscht wird. Grundsätzlich lassen uns negative Erfahrungen, die wir mit der Investition des Vertrauens in einem konkreten Lebensbereich machen, vorsichtiger und auch teilweise misstrauischer werden.

Was muss passieren, damit ich Vertrauen verliere? Nicht jedes negative Erlebnis zerstört gleich das grundsätzliche Vertrauen.

Entscheidend ist der Schädigungsfaktor, also die Konsequenz, die sich aus einem negativen Ereignis subjektiv ergibt. Im Falle des Misstrauens begeben sich Menschen eben nicht (mehr) in die Hand anderer, weil sie denken, dass dies vermutlich zu ihrem Nachteil sein wird. Diese Überzeugung setzt eigene oder vermittelte Erfahrungen in der Vergangenheit voraus, so etwa das Weitertragen sehr vertraulicher Informationen, die mit gravierenden beruflichen Nachteilen für die eigene Person verbunden gewesen ist.

Wie wirken sich große Skandale wie der BSE- oder VW-Skandal auf das Vertrauen von Konsumenten aus?

Große Skandale erschüttern bei vielen Menschen Vertrauen in erheblichem Maße. So sind zum Beispiel nach dem ADAC-Skandal oder den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche die Austrittszahlen signifikant gestiegen.

Wie kann verloren gegangenes Vertrauen wieder hergestellt werden?

Vertrauen kommt zu Fuß und geht im Galopp, lautet ein Sprichwort, das den Sachverhalt sehr gut beschreibt: Während also die Entwicklung von Vertrauen über viele kleine Schritte langsam voranschreitet, reichen ganz wenige kritische Ereignisse aus, um es zu verlieren. Meist kann dann das ursprüngliche Maß an Vertrauen nicht wiederhergestellt werden, irgendetwas bleibt also immer hängen. Der Umgang mit Vertrauenskrisen ist dabei oftmals kein konstruktiver. So legen Organisationen in Krisensituationen häufig nicht die Karten unmittelbar und vollständig auf den Tisch, vielmehr suchen sie nach Sündenböcken. Nicht selten erschüttert der Umgang mit einem Skandal Vertrauen mehr als der Skandal selber.

Immer mehr Menschen vertrauen der Technik eher als ihrer eigenen Beobachtungsgabe. Stichwort: Gesundheits-Apps.

Zweifelsohne machen bestimmte technische Geräte unser Leben einfacher. Gleichzeitig können sie uns aber auch daran hindern, eigene Kompetenzen zu nutzen. Gerade im Zuge der stärker werdenden Optionen durch Medien und Technik sollten die damit verbundenen Möglichkeiten stets Mittel zum Zweck sein, ohne dass Menschen in schleichenden Prozessen zum Sklaven dieser Möglichkeiten werden.

Das Interview führte Claudia Heine.

Martin Schweer ist Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Vechta und Leiter des dortigen Zentrums für Vertrauensorschung (ZfV).