Piwik Webtracking Image

MissbraucHSSKANDAL : Der Papst als Verbündeter

Kirche wirbt für neues Vertrauen

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
2 Min

Anfang Juni diesen Jahres wurde ein Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus öffentlich, ein "Motu proprio". Ein Papier, das der Papst ohne Ersuchen durch seine Kardinäle oder Berater aufgesetzt hat. In diesem Schreiben verordnet er eine Änderung des Kirchenrechts. Es legt fest, dass nicht nur Handlungen, sondern auch Unterlassungen im Zusammenhang mit Pädophilie zur Amtsenthebung führen können, auch wenn die Geistlichen selbst keine "schwere moralische Schuld" tragen. Die Schuld müsse zwar eindeutig beweisbar sein, so Franziskus, aber die für den jeweiligen Bischof zuständige Kongregation kann künftig eine Untersuchung gegen einen Bischof einleiten, wenn es Hinweise auf Nachlässigkeit im Umgang mit Missbrauchsvorwürfen gibt. Die endgültige Entscheidung steht jedoch dem Papst zu.

Am 5. September 2016 tritt die Regelung in Kraft. Und Franziskus gibt an, er wolle lediglich präzisieren, dass zu jetzt schon im Kirchenrecht behandelten gravierenden Fällen - etwa dem Besitz von kinderpornografischem Material - zusätzlich die Vertuschung einer Tat mitgerechnet werde.

Dies ist eine weitreichende Maßnahme. Sie gehört zu einer Reihe von Unternehmungen der Katholischen Kirche, mit denen auf die jahrzehntelang verheimlichten und oft auch verharmlosten Fälle von sexuellem Missbrauch reagiert wird. So ist seit 2010 Stephan Ackermann, Bischof in Trier, Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für alle Fragen im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich. Bereits seit 2002 gibt es "Leitlinien" zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch, 2010 wurden sie überarbeitet und um einen Katalog mit Präventionsmaßnahmen erweitert.

Das sind Versuche, das Vertrauen in die Institution Kirche zu erneuern, und das mag durch solche Schritte langfristig gelingen, wenn sie denn tatsächlich weiteren sexuellen Missbrauch verhindern. Aber das Vertrauen des einzelnen Gläubigen in seine Kirche - und zu seinem Gott, der derlei duldet - lässt sich auf diese Weise nicht wiedergewinnen. Vertrauen, so der Luzerner Philosoph Martin Hartmann in seiner wegweisenden Studie "Praxis des Vertrauens", lebe davon, dass es Wege der Informationsbeschaffung abkürze: Als Vertrauende verzichten wir darauf, noch mehr über andere in Erfahrung zu bringen. Wer alles immer in Frage stellt, wer immer noch mehr und anderes wissen will, wird zum Vertrauen nicht kommen. Ohne dieses Vertrauen kann es aber weder Gottglauben noch Kirche geben.

Argwohn Dass der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki kürzlich ausdrücklich um Entschuldigung gebeten hat, ist deshalb als Bitte zu verstehen, die Informationsbeschaffung abzukürzen: Man möge die Entschuldigung annehmen, um gemeinsam wieder Vertrauen zu fassen. Das setzt jedoch voraus, dass es nichts zu vertuschen und künftig keinen sexuellen Missbrauch durch Priester gibt. Der Papst scheint diesbezüglich skeptisch zu sein, andernfalls hätte er sich nicht genötigt gesehen, sein Apostolisches Schreiben zu verfassen. Womöglich schafft jedoch gerade diese Skepsis neues Vertrauen in die Katholische Kirche: Er macht sich zum Verbündeten all jener vielen Gläubigen, die aus guten Gründen und schlechten Erfahrungen heraus, den kirchlichen Institutionen mit Argwohn gegenüberstehen.

Der Autor ist Publizist und Professor an der Universität der Künste in Berlin.