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EU : Profiteure des Misstrauens

Populisten am linken und rechten Rand gewinnen auf der europäischen Bühne an Einfluss

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
4 Min

Wenn Pablo Iglesias von den Regierenden spricht, dann benützt der Vorsitzende der spanischen Linkspartei Podemos den Begriff "Kaste ". Wenn Marine Le Pen von den Regierenden spricht, dann sagt die Vorsitzende des rechten französischen Front National auch "Kaste" und zählt Gewerkschaften, Arbeitgeber und Medien noch dazu. "Die Kaste" steht bei beiden für ein diffuses "die da oben", gegen die sie Politik machen.

Populistische Parteien befinden sich in Europa im Aufwind. Ein Fünftel der europäischen Wähler entscheidet sich für Populisten am linken oder rechten Rand, rechnet die schwedische Denkfabrik Timbro vor. Im Mai 2014 wurde die populistische Welle erstmals in großem Umfang sichtbar, als Anti-Establishment-Parteien bei den Europa-Wahlen so viel Stimmen wie nie zuvor errangen. Frankreichs Präsident François Hollande sah das Wahlergebnis damals als Zeichen des "Misstrauens gegenüber Europa und den regierenden Parteien".

Dieses Misstrauen ist seitdem weiter gewachsen. Podemos hat zweieinhalb Jahre nach der Gründung bei den Parlamentswahlen in Spanien gemeinsam mit der Vereinigten Linken den dritten Platz erreicht. Meinungsumfragen sehen Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 im ersten Wahlgang vorne, auch wenn ihr aktuell niemand zutraut, den zweiten Wahlgang zu gewinnen.

Wie genau funktioniert Populismus? Der niederländische Politologe Cas Mudde definiert Populismus als Ideologie, die die Gesellschaft in zwei antagonistische Gruppen spaltet und dem "reinen Volk" eine "korrupte Elite" gegenüberstellt. Das Schema gilt sowohl auf nationaler, als auch auf der europäischen Ebene. Rechtspopulisten wie der Front National stehen dem europäischen Projekt skeptischer gegenüber, weil sie Integration und supra-nationale Institutionen wie die EU ablehnen. Le Pen plädiert für eine Abkehr vom Euro und eine Rückkehr zum französischen Franc. Sie verspricht den Wählern ein Referendum über einen Austritt des Landes aus der EU, falls sie Präsidentin werden sollte. Podemos plädiert dagegen nur für eine Reform der Eurozone und für eine stärkere Zusammenarbeit der Südeuropäer innerhalb der EU. Iglesias hat immer wieder den Schulterschluss mit Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras von Syriza gesucht. Weder linke noch rechte Populisten haben jedoch eine echte Achse in Europa formen können.

Beim Thema Migration herrschen ebenfalls unterschiedliche Einschätzungen: Le Pen plädiert für strikte Kontrolle, Iglesias dagegen fordert mehr Rechte für Immigranten und eine großzügigere Zuzugspolitik. Beim Freihandel finden Rechts- und Linkspopulisten dagegen eine Schnittmenge: Sowohl Front National als auch Podemos lehnen das geplante transatlantischen Abkommen (TTIP) mit den USA ab.

Populisten profitieren von der Unzufriedenheit der Wähler, die in Europa nach den Krisen gewachsen ist. Die EU hat ihr Versprechen auf Wohlstand nicht halten können. In Spanien liegt die Arbeitslosenquote aktuell bei 19,9 Prozent, in Frankreich bei 9,9 Prozent. "Menschen wählen nicht populistische Parteien, weil sie glücklich sind", sagt der Politologe Cas Mudde. Untersuchungen zeigen, dass sich in Spanien vor allem Jüngere, gut Ausgebildete sich für Podemos entscheiden. In Frankreich punktet der Front National ebenfalls bei jungen Wählern, aber auch in den sozial Schwachen und bei Landwirten.

Europaparlament Im Arbeitsalltag des Europäischen Parlaments spielen die Populisten eine erstaunlich geringe Rolle. Iglesias, von Mai 2014 bis Oktober 2015 Europa-Abgeordneter, wurde nur selten in Brüssel und Straßburg gesehen. "Sein Schwerpunkt war von Anfang an die nationale Arena", sagt ein Europa-Abgeordneter. Le Pen, seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments, stellt zwar fleißig Anfragen und meldet sich im Plenum zu Wort, verfasst aber keine Berichte zu Gesetzesvorhaben, verzichtet also auf die inhaltliche Kernarbeit der EU-Volksvertreter.

Die beiden größten Parteien im Europäischen Parlament, Christdemokraten und Sozialdemokraten, haben zusammen eine absolute Mehrheit. Die gemeinsame Abwehr gegen die Populisten könnte allerdings nach hinten losgehen. "Langfristig könnte die Große Koalition die Frustration der Wähler verstärken", schreiben Heather Grabbe und Stefan Lehne in einer Analyse der Denkfabrik Carnegie Europe. "Am Ende könnte die Strategie die Behauptung der Populisten stärken, dass das Establishment sich selbst schützt, statt auf die Wähler zu hören."

Politologen gehen davon aus, dass populistische Parteien zunächst den größten Einfluss ausüben, in dem sie die etablierten Parteien zu einer Neupositionierung zwingen, etwa beim Thema TTIP. Forscher weisen darauf hin, dass populistische Parteien durchaus von ihren extremen Positionen abkehren, wenn sie an Regierungen beteiligt sind. Podemos-Chef Iglesias weiß, dass auf seine Bewegung eine Herausforderung zukommt. "Wir beginnen eine Phase, in der wir uns in eine normale Partei verwandeln müssen und dies birgt enorme Risiken", sagt der 37jährige. "Das wird nicht einfach sein und niemand kann garantieren, dass es gelingt."

Die Autorin ist Korrespondentin der "Wirtschaftswoche" in Brüssel.