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Diesel-Skandal : Mitten in der Krise

Das Image der Wolfsburger hat durch die Affäre gelitten. Die Marke "Made in Germany" scheint das aber nicht zu kratzen

29.08.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
6 Min

Der 18. September 2015 wird vielleicht einmal den Anfang vom Ende eines Motors markieren, dessen Verfahren Rudolf Diesel 122 Jahre zuvor entwickelt hat. Für den Volkswagenkonzern war es ein schwarzer Tag in der nicht ganz so alten Firmengeschichte. An diesem Tag macht die US-Umweltbehörde öffentlich, dass VW bestimmte Dieselmotoren manipuliert hat, um zu hohe Stickoxidemissionen zu verschleiern. In den Tagen und Wochen danach gab es schlimmste Befürchtungen. Würde VW den Skandal überleben, würden andere deutsche Autohersteller mit in den Strudel gerissen und würde die Marke "Made in Germany" geschädigt?

Ein knappes Jahr später steckt VW noch mitten in die Aufarbeitung der Affäre. Existenziell wird sie den Konzern wohl nicht bedrohen, aber über Jahre belasten. Die Geschäfte laufen aktuell passabel. Insbesondere das Image der Kernmarke VW hat aber gelitten, stark in den USA, etwas auch in Deutschland. Deutsche Autos bleiben weltweit gefragt. Das Vertrauen in den Dieselmotor hat jedoch derart gelitten, dass er zum Auslaufmodell werden dürfte.

Übergangstechnologie VW-Chef Matthias Müller hatte im Juni selbst über das Ende des Selbstzünders spekuliert. "Es wird sich die Frage stellen, ob wir ab einem gewissen Zeitpunkt noch viel Geld für die Weiterentwicklung des Diesels in die Hand nehmen sollen", sagte Müller dem "Handelsblatt". Auch BMW-Vorstandschef Harald Krüger hält den Diesel nur noch für eine Übergangstechnologie. Nur in Europa ist der Diesel stark. In Deutschland wird knapp ein Drittel aller Pkw mit einem Dieselaggregat angetrieben, bei Neuzulassungen sind es 2016 sogar rund 47 Prozent.

In den USA waren Dieselautos schon immer ein Nischenprodukt, VW warb hier mit "Clean Diesel" für seine Wagen. Für den Motor vom Typ EA 189 hat VW den guten Ruf des "german engineering" auf fatale Weise ausgelegt. Durch eine illegale Software hielten die Autos die Abgaswerte nur auf dem Prüfstand ein, nicht aber auf der Straße. 14,7 Milliarden Dollar für Rückrufe, Strafen und Entschädigungen kostet der Vergleich, den VW am 28. Juni in den USA mit Kunden und Behörden geschlossen hat, um Prozesse zu verhindern. In trockenen Tüchern ist der teure Deal noch nicht. Mehrere Bundesstaaten drohen zudem mit eigenen Klagen. Nun geriet die VW-Tochter Audi unter Druck. Bei einem Drei-Liter-Dieselmotor soll sich die Abgasreinigung kurz nach dem Messvorgang abschalten.

Verkauf eingebrochen In den USA hat VW stark an Vertrauen eingebüßt. Im ersten Halbjahr brachen die Verkäufe von Autos mit VW-Logo um 14,7 Prozent ein; die VW-Konzerntöchter Audi und Porsche konnten dagegen um 3,5 und 6,2 Prozent zulegen. Den Schaden der Affäre trägt offenbar vor allem die Kernmarke. In einer im April vorgestellten Umfrage der deutschen Botschaft in Washington gaben 46 Prozent von 1.500 Amerikanern an, den Glauben in die Marke VW verloren zu haben. 30 Prozent hätten generell kein Vertrauen mehr in deutsche Automarken. Die USA sind nicht nur ein wichtiger Absatzmarkt für die deutschen Autobauer. Sie sind hier auch wichtige Arbeitgeber. Rund 60.000 Menschen beschäftigt der Wolfsburger Konzern in den USA, VW war 2015 nach Angaben der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer GACC nach DHL, Siemens und ZF Friedrichshafen der viertgrößte deutsche Arbeitgeber. Bei den Umsätzen war Volkswagen nach Daimler mit 36,7 Milliarden Dollar sogar die Nummer zwei.

Und in Deutschland? Auch hier hat die Marke VW durch die Affäre Federn gelassen. Von Januar bis Juli stieg laut Kraftfahrt-Bundesamt die Zahl aller neu zugelassenen Pkw um 5,4 Prozent. Die Kernmarke VW verkaufte 3,2 Prozent weniger Autos. Andere Konzernmarken legten hingegen zu, am deutlichsten Audi mit einem Plus von 11,1 Prozent.

Die Lage an der Prozessfront ist noch unübersichtlich. Das Landgericht Braunschweig will Schadenersatzklagen im Umfang von rund vier Milliarden Euro in einem Musterverfahren bündeln, das Ende 2016 beginnen könnte. Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 21 VW-Manager wegen der Affäre und dazu gegen Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn und VW-Markenchef Herbert Diess wegen Marktmanipulation. Die Konzernspitze soll die Verfehlung und die möglichen Folgekosten zu spät publik gemacht haben, so lautet der Vorwurf. Eine entsprechende ad-hoc-Mitteilung kam am 22. September, also vier Tage nach der EPA-Veröffentlichung. Nun klagt auch noch Bayern gegen VW wegen entstandener Aktienkursverluste für den Pensionsfonds des Freistaates. Hessen und Baden-Württemberg prüfen ähnliche Schritte. Dass es für VW weltweit im ersten Halbjahr mit einem Verkaufsplus von 1,5 Prozent auf 5,12 Millionen Fahrzeuge besser als erwartet lief, ist vor allem den Chinesen zu verdanken, wo die Abgasaffäre kaum Spuren hinterließ.

Kundenreaktionen Die unterschiedlichen Kundenreaktionen zeigen sich auch in einer Umfrage, die von der Kölner Managementberatung globeone im Monat nach Bekanntwerden der Affäre bei Kunden in Deutschland, China und den USA durchführte. Mit 40 Prozent positivem Image lag VW demnach am Ende der Rangliste von 25 Automarken, die Mercedes und BMW anführen. Insbesondere in Deutschland (27 Prozent) und den USA (42 Prozent) sei das Markenvertrauen in VW gering, konstatiert globeone. Die konkrete Kaufbereitschaft der Deutschen sei davon aber deutlich geringer betroffen.

Auf gute Geschäfte von Volkswagen vertraut auch die 125.000-Einwohner-Stadt Wolfsburg. Am VW-Stammsitz arbeiten 60.000 Menschen. Jenseits des Mittellandkanals, an dem VW produziert, gibt es eine lange Dieselstraße, die Stadtverwaltung residiert in der Porschestraße. Wohl und Wehe der Stadt hängen an dem Konzern und seinen Steuern. Der diesjährige Haushalt könnte erst Mitte März verabschiedet werden, weil die Höhe der Ausfälle bei der Gewerbesteuer nicht abzuschätzen waren. Die Investitionen wurden um ein Drittel gekürzt, eine Reihe von Gebühren und Eintrittsgeldern erhöht. Den Fehlbetrag von knapp 45 Millionen Euro kann Wolfsburg aus Rücklagen aus besseren Jahren decken.

Straßentests Haben gesetzliche Regelungen die Affäre begünstigt? Dass die von den Herstellern angegebenen Verbrauchswerte selten der Realität entsprechen, weiß jeder Autofahrer. Dass dies auch für Abgaswerte gilt, wurde erst durch den VW-Skandal breit bekannt. Ab September 2017 sollen realistischere RDE-Straßentest (RDE steht für Real Driving Emissions) die Laborverfahren ablösen.

Regelungsbedarf sieht Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) auch bei den sogenannten Thermofenstern. Unter bestimmten Bedingungen darf sich die Abgasreinigung abschalten, damit der Motor keinen Schaden nimmt. Die Hersteller haben die als Ausnahme gedachte Regel aber intensiv genutzt, wie eine von Dobrindt berufene Untersuchungskommission herausfand. Empfehlungen für neue Regelungen soll auch der Untersuchungsausschuss des Bundestages geben, der sich am 7. Juli konstituierte und im September seine Sacharbeit aufnimmt. Dabei dürfte zum Beispiel eine Rolle spielen, ob die EU-Verordnung 715 von 2007, bei der es um die Typgenehmigungen von Kfz hinsichtlich der Abgasnormen Euro 5 und 6 geht und die bei Verstößen "wirksame, Verhältnismäßigkeit und abschreckende" Sanktionen vorsieht, in Deutschland ausreichend umgesetzt wird. Auch Strukturfragen könnten untersucht werden, etwa die Rolle des dem Verkehrsministerium unterstellten Kraftfahrt-Bundesamtes.

Für den Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer gehört auch der Steuervorteil von Diesel von 18 Cent je Liter gegenüber Benzin abgeschafft. Aus Sicht des Professors von der Universität Duisburg-Essen hat dieser Bonus die deutsche Industrie in eine Sackgasse laufen lassen und den Rückstand der Deutschen bei alternativen Antrieben begründet.

Blaue Plakette Wie heikel die Dieselthematik ist, zeigt sich aktuell an der Debatte über die Blaue Plakette. In zahlreichen deutschen Großstädten werden die EU-Grenzwerte für Stickoxide regelmäßig überschritten. Maßgeblich verantwortlich sind dafür Dieselfahrzeuge. Im April sprach sich die Umweltministerkonferenz für die Einführung einer Blauen Plakette für modernste Diesel mit Euro-Norm 6 aus. Es hätte das Innenstadt-Aus für rund 13 Millionen Diesel bedeutet. Nach Protesten, darunter aus der Wirtschaft und von Dobrindt, legte das Umweltministerium die Pläne nun auf Eis. Im Herbst soll über Alternativen beraten werden.

"Wir wissen, dass es um viel mehr geht als nur die Umrüstung von Motoren", schreibt VW in seiner "Aktuellen Kundeninformation" im Internet. Wo ein paar Hunderttausendfach US-Kunden jedoch Tausende Dollar Entschädigung und das Angebot zum Rückkauf des Schummel-Autos erhalten, bleibt Millionen deutschen VW-Kunden nur die Umrüstung.

Klar ist, Entschädigungen wie in den USA könnte den Konzern schnell überfordern. Allein mit dem Bekenntnis, Vertrauen durch "Gründlichkeit, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit" zurückgewinnen zu wollen, wird VW einen langen Atem abfordern. Der Konzern braucht wohl eine neue Story. Das könnten Elektroautos sein. Sie sollen zu einem Markenzeichen von VW werden, hatte Vorstandschef Müller schon im April erklärt. Dazu passen Berichte über den Bau einer riesigen eigenen Batteriefabrik. Das kostet Milliarden, ebenso wie die Aufarbeitung der Sünden der Vergangenheit.

Der Marke "Made in Germany", die sich vom Negativstempel der Briten Ende des 19. Jahrhunderts zum Gütesiegel wandelte, hat die VW-Affäre bisher kaum etwas anhaben können. 2015 legten die deutschen Exporte in die USA um 0,7 Prozent auf den Rekordwert von 124 Milliarden Dollar zu.

"Made in Germany" kommt in den USA derzeit gut an, erklärte die Germany Trade & Invest (GTAI), eine staatliche Außenwirtschaftsagentur, in einem Länderbericht. Im ersten Halbjahr stiegen die deutschen Ausfuhren um rund 1,4 Prozent an. Besonders stark war die Nachfrage laut Statistischem Bundesamt aus Großbritannien und den USA.

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.