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RUSSLAND : Putins Testlauf

Vor der Parlamentswahl sind die schärfsten Kritiker des Präsidenten ausgeschaltet worden. Eine liberale Opposition wird nicht in die Duma einziehen

12.09.2016
2023-08-30T12:30:06.7200Z
5 Min

Transparent und legitim" sollen die Duma- und die Regionalwahlen am 18. September ablaufen, so hat es das russische Präsidialamt selbstbewusst verkündet. Für den bekannten russischen Politikwissenschaftler Nikolaj Petrow heißt das nichts anderes als: "Der Kreml wird den Wahlprozess manipulieren, aber dieses Mal auf eine Fälschung der Wahlergebnisse verzichten." Präsident Wladimir Putin und sein Apparat erinnern sich noch lebhaft an die Demonstrationen in den Jahren 2011 und 2012. Nach dem letzten Urnengang hatten die städtischen Bildungsbürger lautstark gegen die offenkundigen Wahlmanipulationen protestiert. Daraufhin verabschiedete die regierende Partei "Einiges Russland" Änderungen am Wahlgesetz, um eine demokratischere Abstimmung vorzutäuschen. Auch wurde der altgediente Leiter der Zentralen Wahlkommission, Wladimir Tschurow, entlassen. Im März 2016 erhielt schließlich die frühere Menschenrechtsbeauftragte, Ella Panfilowa, den Auftrag, transparente Wahlen zu organisieren. Der Wähler sollte sich für mehrere Parteien und Kandidaten entscheiden können, zugleich sollten die Kandidaten bessere Chancen erhalten, in die Duma und die regionalen Parlamente einzuziehen. Parallel zur Duma-Wahl finden am 18. September in 39 Föderationssubjekten auch lokale Wahlen statt.

Neues Wahlgesetz Abgesehen von der Wiedereinführung der Direktwahl, die 2007 abgeschafft worden war, wurde die Sperrklausel, die für den Einzug ins Parlament nötig ist, von sieben auf fünf Prozent gesenkt. Von den 450 Abgeordneten sollen 225 in Wahlkreisen direkt gewählt werden und 225 über Parteilisten in die Duma gelangen. Ihre Teilnahme an der Wahl haben laut Justizministerium 73 Parteien angemeldet, jedoch stehen davon nur 14 auf den Wahlzetteln: die vier in der Duma vertretenen Parteien, also "Einiges Russland", "Gerechtes Russland", die "KP" und die "Liberal-Demokratische Partei", zudem zehn Parteien, die bei der Duma-Wahl 2011 mehr als drei Prozent der Stimmen erhielten oder in einem der regionalen Parlamente der Bundesländer eine Fraktion stellen. Die übrigen Parteien mussten 200.000 Unterschriften sammeln, um auf den Stimmzetteln zu erscheinen. Damit ein Kandidat in einem Wahlkreis direkt aufgestellt werden konnte, mussten dies mindestens drei Prozent der Wahlberechtigten des Wahlkreises mit ihrer Unterschrift unterstützen. Außer den 14 registrierten Parteien konnte keine andere die gesetzlichen Voraussetzungen für die Teilnahme an der Duma-Wahl erfüllen.

Nahezu 92 Prozent der unabhängigen Kandidaten sei die Nominierung verweigert worden, wie das "Komitee der Bürgerinitiativen" ermittelte. Hauptgrund für die Ablehnung der Kandidaten sei die Behauptung gewesen, es handele sich um gefälschte Unterschriften. Das Komittee weist in seinem Bericht zudem nach, dass vor allem denjenigen Kandidaten die Registrierung verweigert wurde, "die besonders bekannt sind und gute Chancen haben, gewählt zu werden".

Angesichts dessen überrasche es nicht weiter, dass nur jene Kandidaten auf die Stimmzettel gelangten, die über die Unterstützung der Machtorgane verfügten, schreiben die Experten des Komitees. Als bekanntestes Opfer dieser Staatswillkür gilt die in Russland weit bekannte frühere Bürgermeisterin von Petrosawodsk und "Jabloko"-Politikerin, Galina Schirschina.

Der Ausschluss der einflussreichen Konkurrenten gehöre zum bewährten Repertoire der Machthaber, unterstreicht der Publizist Andrej Perzow in "Kommersant": Die Oppositionspolitiker dürfen zwar in einige Regional- und Kommunalparlamente einziehen. "Aber sie sollen ihren Platz im System kennen und nicht wirklich um die Macht kämpfen dürfen."

Angesichts dieser Manipulationen erwarten Beobachter am kommenden Wochenende eine niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent. Dies wird vor allem der Partei "Einiges Russland" (EP) nützen - dank ihrer flächendeckenden Präsenz in den Wahlkreisen wird sie wohl bis zu 60 Prozent der Direktmandate gewinnen können. Laut Prognosen kann sie über die Parteienliste zudem bis zu 50 Prozent der Stimmen bekommen, wenn es auch in einigen Regionen mit bis zu 35 Prozent deutlich weniger sein werden.

Das zweitbeste Ergebnis könnte entsprechend den Umfragen die Kommunistische Partei mit bis zu 15 Prozent erreichen, gefolgt von den populistischen "Liberal-Demokraten" unter Führung von Wladimir Schirinowski (bis 14 Prozent). Als vierte Partei wird wohl die ebenfalls Kreml treue Partei "Gerechtes Russland" mit bis zu neun Prozent in die Duma einziehen. Die oppositionelle PARNAS ("Partei der Volksfreiheit") und die liberale "Jabloko" von Grigorij Jawlinski haben dagegen kaum Chancen, ins Parlament zu gelangen. "Jabloko" wäre schon zufrieden, wenn sie wieder mehr als drei Prozent der Stimmen erhielte. In diesem Fall würde der Partei die staatliche Parteienfinanzierung - 100 Rubel pro Wählerstimme - zugutekommen.

Präsident Wladimir Putin unterstützt zwar den Wahlkampf von "Einiges Russland", indem er am Parteitag teilnimmt und deren Duma-Kandidaten im Kreml empfängt, fester Bestandteil der Wahl-Kampagne ist er jedoch nicht. Schließlich ist er der "Voschd", der Anführer der Nation. Das hat die Wähler aber nicht davon abgehalten, seine Partei bei der letzten Duma-Wahl abzustrafen: von 64,3 Prozent (2007) war sie 2011 auf 49,3 Prozent abgerutscht.

Das Kalkül von "Einiges Russland", sich die Popularität des Präsidenten zunutze zu machen, sieht der russische Politologe Leonid Davydow kritisch. "Die Partei erwartet zu viel, wenn sie glaubt, von Putins Zustimmungswerten zu profitieren". Die Parteiliste führt Ministerpräsident Dmitrij Medwedew an, dessen Werte zuletzt von 55 auf 49 Prozent gefallen sind. Dies zeigt, dass es selbst der massiven Kreml-Propaganda nicht gelungen ist, die Krise allein auf die äußeren Feinde zu schieben. Medwedew wehrt sich mit Wahlgeschenken, die aber erst im Januar 2017 verteilt werden: So sollen die 43 Millionen Rentner eine Einmalzahlung von 5.000 Rubel (etwa 70 Euro) als Inflationsausgleich erhalten.

Putin verfolgt eine andere Strategie: Vor der Duma-Wahl feuerte oder inhaftierte er Amtsleiter und Gouverneure, die er einst selbst ernannt hatte. So entließ er seinen Freund Sergej Iwanow als Leiter des Präsidialamtes, um ihn auf den unbedeutenden Posten eines Umweltbeauftragten abzuschieben. Gleichzeitig kletterten jüngere, unverbrauchte Geheimdienstleute die Karriereleiter hinauf und bilden nunmehr die neue Machtelite. Moskauer Beobachter interpretieren dies als gezielte Aktionen Putins zur Vorbereitung seiner Wiederwahl im Jahr 2018. Der Präsident verheimlicht nicht, dass seine Mannschaft an einer Wirtschaftsstrategie für die Zeit nach 2018 arbeitet, "egal wie sich die innenpolitischen Prozesse entwickeln", wie er am 1. September erklärte.

Damit ist die Parlamentswahl 2016 für ihn nur ein Testlauf für die Präsidentschaftswahl 2018, vermutet Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie Center. "Der aktuelle Wahlkampf soll nicht zu aktiv geführt werden und die Beteiligung gering bleiben". Deshalb findet die Parlamentswahl auch nicht im Dezember statt, wie die vorherigen sechs Duma-Wahlen, sondern wurde auf den 18. September vorgezogen.

Feindbild Opposition Von den nicht in der Duma vertretenen Oppositionsparteien wird nur die liberale "Jabloko" des Öfteren in den Medien erwähnt. Sie verzichtete dieses Mal bewusst auf Kritik an Putins Politik - die Oppositionspartei soll nicht als "Verräter-Partei" abgestempelt werden können in einer Zeit, in der die Zustimmung zu Präsident Putin stolze 80 Prozent beträgt.

Für den Publizisten Velimir Rasuwaew von der "Nezavisimaja gazeta" führt das Präsidialamt seit 2011 den "längsten Wahlkampf der Geschichte". Der Kreml habe seine Lektionen gelernt "und wird sich für das Wahlergebnis 2011 revanchieren". Eine repressive Gesetzgebung habe jegliche Opposition unterdrückt, Kundgebungen seien verboten und Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten" diskreditiert worden. "Jedes Niesen der Oppositionspolitiker wird als erbärmlicher Versuch einer Revolution auf Initiative des Westens dargestellt, was in Post-Krim-Zeiten leicht fällt." Hinzu komme, dass die schärfsten Kritiker "medial und gerichtlich" ausgeschaltet seien, sagt Rasuwaew. Der bekannteste Oppositionelle - Boris Nemzow - wurde im Februar 2015 in Moskau ermordet.

Angesichts der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der Konfrontation mit dem Westen versuche der Kreml, die innenpolitische Lage durch Wahlen zu stabilisieren, meint der Politikwissenschaftler Nikolaj Petrow. Für ihnsteht fest: "Die Duma-Wahl soll die regionalen Eliten unterstützen und damit das Machtsystem stabilisieren".

Der Autor ist freier Journalist.