Piwik Webtracking Image

Landwirtschaft : Gegen die Landflucht

Opposition schaut auf die Menschen, die sich abgehängt fühlen. Die Koalition will derweil für eine Revitalisierung der Fläche sorgen

12.09.2016
2023-08-30T12:30:07.7200Z
4 Min

Die Schere zwischen Stadt und Land klafft immer weiter auseinander. Die Menschen zieht es in die Metropolen. In letzter Konsequenz schwinden auf den Dörfern die Bevölkerung, Perspektiven und Zuversicht. Die Bundesregierung will mithilfe des Agraretats gegensteuern und hat in der ersten Beratung des Einzelplans 10 (18/9200) am vergangenen Donnerstag nach den Worten von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) auf die Förderung "vitaler ländlicher Räume" gesetzt. Fast 5.9 Milliarden Euro sollen nach den Plänen der Haushälter dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Jahr 2017 zur Verfügung gestellt werden. Das sind 300 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr.

Unfallversicherung Doch besonders unter den Bauern weicht die Zuversicht angesichts schlechter wirtschaftlicher Aussichten. Viele Betriebe erwirtschaften nicht mehr genug, um ihre Kosten zu decken. Insofern wollte Schmidt die Etataufstockung als ein gutes Zeichen verstanden wissen. "Wir müssen einen angemessenen Beitrag zur Entlastung beisteuern", sagte der Minister, der die Fortführung des "hohen Zuschusses bei der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung" hervorhob. Erhalten bleibt der bereits im Haushalt 2016 eingestellte Zuschuss zur Unfallversicherung in einer Höhe von 78 Millionen Euro, der mit insgesamt 178 Millionen die Agrarbetriebe ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand kostenseitig entlasten helfen soll. Der Zuschuss war gewährt worden, nachdem durch die Krim-Krise der Absatzmarkt in Russland weggefallen war und der Rohstoffpreis für Milch sich stetig verschlechtert hatte. Darüber hinaus stellte der Minister in Aussicht, dass mithilfe eines nationalen Bürgschaftsprogramms im Laufe der Beratungen weitere Unterstützung gewährt wird. Doch die Ursachen der Milchkrise könne der Staat nicht alleine regeln, meinte Schmidt, denn die Erzeuger würden gegenwärtig faktisch allein das Risiko tragen. "Da muss eine bessere Balance gefunden werden." Die Genossenschaften müssen ihrer Verantwortung gegenüber ihren Genossen gerecht werden, forderte der Agrarminister, der zwischen allen Marktbeteiligten vermitteln will.

Die Grünen sahen die Verantwortung jedoch nicht bei der Wirtschaft, sondern bei der Bundesregierung und dem Bauernverband. "Seit 1975 sind über 600.000 Bauernhöfe verschwunden", zählte Friedrich Ostendorff (Grüne) auf. "Seit Ende 2016 haben jeden Tag zehn bis 15 Milchviehbetriebe aufgegeben", rechnete der Abgeordnete weiter vor. Die Milchüberproduktion werde im Handel verramscht. Das sei die Folge der Liberalisierung der Landwirtschaft, die im Wesentlichen auf die Politik der Union und großer Interessenverbände zurückgehe. Das sei kein Strukturwandel, sondern ein "Gemetzel im ländlichen Raum", spitzte Ostendorff zu. "Nichts wird unternommen, um die bäuerlichen Betriebe zu erhalten", kritisierte er. Alle Vorschläge zur Bekämpfung der Krise seien abgelehnt worden, ohne Lösungen anzubieten. Dass in vielen Dörfern nur noch ein Schulbus fahre und sich die Menschen zurecht abgehängt fühlen würden, meinte auch Kirsten Tackmann (Linke). Derzeit seien die Auswirkungen einer katastrophalen Agrarinfrastrukturpolitik auf dem Land zu beobachten. Landwirtschaftsfremde Investoren würden die Preise für Ackerland hochtreiben, obwohl diese nicht mit der Landwirtschaft zu refinanzieren seien. "Da dürfen wir nicht zugucken", sagte Tackmann. Im Speziellen würden die Milchviehbetriebe zu Bittstellern gemacht, im Allgemeinen werde aktuell kein landwirtschaftliches Produkt zu einem angemessenen Preis bezahlt. Selbst Roggen für Brot bringe mehr bei der energetischen Verwertung, statt als Lebensmittel: "Das ist pervers." Liquiditätshilfen würden deshalb den Betrieben nicht reichen, um Löhne zu zahlen. Mit Steuergeldern finanzierte Zugaben bei der Unfallversicherung seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Ganz so düster wollte Johann Saathoff (SPD) die Zukunft auf dem Land nicht sehen. Der Sozialdemokrat hob das Bundesprogramm für ländliche Entwicklung (BULE) mit einem Budget von 20 Millionen Euro hervor, das für die Entwicklung ländlicher Räume diene. Gefragt seien Konzepte, die über Investitionen in reine Infrastruktur hinausgehen sollten und einen Ansatz zur sozialen Dorferneuerung ermöglichen. Außerdem müsse mehr Wertschöpfung durch Veredelung in die ländlichen Räume zurückgeholt werden. Nach Ansicht des Vorsitzenden des Ausschusses für Landwirtschaft, Alois Gerig (CDU), muss dafür Sorge getragen werden, dass die Landwirte mehr Wertschätzung erhalten und Wertschöpfung gewinnen. "Die Landwirte dürfen nicht mit der Last alleine gelassen werden." In Deutschland werde weltweit die höchste Qualität an Lebensmitteln produziert. "Insbesondere der Handel muss seinen Beitrag dazu leisten, dass Lebensmittel ihren Preis haben und nicht verramscht werden."

Hochwasserschutz Für das Hauptinstrument der nationalen ländlichen Förderpolitik, die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" - kurz GAK -, sind insgesamt 15 Millionen Euro mehr eingeplant worden. Dazu kommen 100 Millionen Euro für Maßnahmen des präventiven Hochwasserschutzes, die im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms (bisher im Einzelplan 60) dem Landwirtschaftsetat künftig zugeschlagen werden sollen. Damit stehen dem Bund insgesamt 765 Millionen Euro für die GAK zur Verfügung, um Investitionen auf dem Land zu fördern.