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FRANKREICH : Unter neuen Vorzeichen

Der konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon fordert seine Gegner heraus

05.12.2016
2023-08-30T12:30:11.7200Z
4 Min

Das Ende" lautete die schlichte Schlagzeile der Zeitung "Le Figaro". Gemeint war die Ankündigung des unbeliebten Präsidenten François Hollande, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Die historische Entscheidung des Sozialisten war nicht die erste Überraschung, die Frankreich in diesen Wochen erlebte. Denn auch den Sieg von Ex-Premierminister François Fillon bei den Vorwahlen der Konservativen hatten die Meinungsforscher zunächst nicht vorhergesehen.

Mit den beiden Ereignissen sind die Karten für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr neu gemischt. Nicht mehr im Spiel sind die beiden Persönlichkeiten, mit denen eigentlich jeder gerechnet hatte: Hollande und Nicolas Sarkozy.

Ex-Präsident Sarkozy hatte Fillon bei den Vorwahlen ebenso aus dem Rennen geworfen wie den eigentlich als Favoriten gehandelten früheren Regierungschef Alain Juppé. Nach seinem überwältigenden Sieg sagen Umfragen Fillon voraus, 2017 in den Élysée-Palast einzuziehen. Schon in der ersten Wahlrunde werde der 62-Jährige die Kandidatin des rechtspopulistischen Front National (FN), Marine Le Pen, hinter sich lassen, prognostizieren übereinstimmend die Institute Harris Interactive und Kantar-Sofres.

Fillon ist wertkonservativ und wirbt mit wirtschaftsliberalen Reformen wie der Kürzung von 500.000 Stellen im öffentlichen Dienst, dem Ende der 35-Stunden-Woche und einer Erhöhung des Rentenalters. Besonders groß ist die Verunsicherung beim FN über den Kandidaten, der einen harten Kurs gegen den "islamischen Totalitarismus" ankündigt und vor allem die katholisch-ländliche Wählerschaft anspricht - genau jene Franzosen also, auf die auch Le Pen zielt. Die FN-Chefin wetterte deshalb noch am Wahlabend gegen den "sozialen Kahlschlag", den Fillons Programm bedeute. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Sieg Fillons die Dynamik zugunsten des Front National abbremst und sogar einen Teil der radikalisierten rechten Wählerschaft zu den Konservativen zurückbringt", sagt der Meinungsforscher Jérôme Fourquet dem "Figaro". Der Sieg Fillons sei daher "eine schlechte Nachricht für den FN".

Eine gute Nachricht ist der als "Thatcher Frankreichs" kritisierte Kandidat dagegen für die regierende sozialistische Partei, die mit dem gemäßigten Juppé deutlich mehr Mühe gehabt hätte. Fillons Angriff auf die den Sozialisten heilige 35-Stunden-Woche, die Beamten und die Sozialkassen weckt die alten Reflexe. "Das könnte ein klassischer Lagerwahlkampf werden", vermutet der Leiter des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, Frank Baasner. Voraussetzung sei allerdings, dass sich die Linke auf einen Konsenskandidaten einige. Die Chancen dafür sind auch nach dem Rückzug Hollandes gering. Denn in den Reihen der Regierung macht Premierminister Manuel Valls sich für eine Kandidatur bereit. Der 54-Jährige, der die magere Bilanz von Hollande vertreten muss, hat es sich in den vergangenen Jahren mit der Parteilinken verscherzt. Der frühere Innenminister ist allerdings beliebter als der Präsident, dessen Ruf durch ein Buch mit peinlichen Bekenntnissen noch mehr gelitten hat.

Valls müsste sich bei den Vorwahlen im Januar gleich gegen mehrere Bewerber vom linken Parteiflügel durchsetzen, darunter der frühere Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg. Als unabhängige Kandidaten treten außerdem der Chef der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, und der beliebte Ex-Minister Emmanuel Macron an, der seit 2009 kein sozialistisches Parteibuch mehr hat und mit seiner Bewegung En Marche über die Parteigrenzen hinweg um Unterstützung wirbt. Der smarte 38-Jährige ist in Umfragen auch derjenige, der von allen links angesiedelten Kandidaten noch die besten Chancen hat. Mit rund 15 Prozent dürfte Macron 2017 allerdings in der ersten Runde scheitern.

Die Sozialisten beschwören deshalb bereits das Szenario des 21. April 2002 herauf, als ihr Kandidat Lionel Jospin in der ersten Runde ausschied und stattdessen der damalige FN-Chef Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl einzog.

"Jeder macht seine kleinkarierte Rechnung, kocht seine Suppe, verfolgt seinen Ehrgeiz mit einer einzigen Gemeinsamkeit: Der Verinnerlichung einer unausweichlichen Niederlage", kommentierte die linksgerichtete Zeitung "Libération" bitter. Auf ihrer Titelseite zeigte sie eine "Titanic-Linke", die geradewegs auf den Untergang zusteuert.

Die konservativen Republikaner stehen dagegen nach den Vorwahlen geschlossen da. Die Abstimmung, an der sich in beiden Wahlgängen jeweils mehr als vier Millionen Menschen beteiligten, war vier Jahre nach dem Streit um die Parteiführung ein voller Erfolg. Sowohl Sarkozy als auch Juppé erkannten ihre Niederlage sofort an und stellten sich hinter den deutlichen Gewinner Fillon.

Der frühere Regierungschef muss nach seiner konservativ-bürgerlichen Wählerschaft nun auch die Franzosen insgesamt überzeugen. Die sind gespalten, was sein Reformprogramm angeht: Fast 80 Prozent unterstützen zwar laut einer Odoxa-Umfrage die angekündigten staatlichen Einsparungen von hundert Milliarden Euro. Den massiven Stellenabbau im öffentlichen Dienst und das höhere Rentenalter lehnen aber jeweils rund 60 Prozent ab.

Breitere Wählerbasis notwendig "Die Herausforderung für François Fillon besteht nun darin, seine Wählerbasis auf Arbeiter und Angestellte auszuweiten. Sonst werden noch mehr von ihnen zum FN überlaufen, gar nicht zur Wahl gehen oder zur Linken zurückkommen", sagt der Meinungsforscher Brice Teinturier in der Zeitung "Le Monde" voraus.

Schon in seinem ersten Fernsehinterview nach seinem Wahlsieg bemühte sich Fillon, die Kritik an der "Brutalität" seines Programms zu entkräften. Seine Reform der Sozialversicherung solle gerade die Ärmeren und Älteren besser stellen, sagte er. Zu einem Zeitungscover, das ihn als Margaret Thatcher, Großbritanniens eiserne Lady, zeigt, antwortete Fillon: "Man hätte mich auch als Schröder oder Renzi abbilden können. Ich will das Land wieder aufrichten."

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Paris.