Piwik Webtracking Image

Kuba : Überleben statt Utopie

Hannes Bahrmann zieht eine kritische Bilanz über die Revolution von 1959 und ihre Folgen

19.12.2016
2023-08-30T12:30:12.7200Z
3 Min

Kuba polarisiert - bis heute: Für die einen ist das Land "letzter Hort" der "sozialistischen Utopie", für die anderen bedeutet es bitteren Mangel und Menschenrechtsverletzungen.

Und Kuba boomt: Im vergangenen Jahr reisten 3,5 Millionen Touristen auf die Karibikinsel, ein Besucherrekord. Zu den Pauschaltouristen, die auf der Halbinsel Varadero in Resorts mit All-Inclusive-Armbändern den Urlaub verbringen, kommen auch immer mehr diejenigen, die Kuba "noch einmal ohne McDonalds- und Starbucks-Filialen" erleben wollen. Auch der Journalist Hannes Bahrmann ist im November 2015 wieder dorthin gereist. Inmitten des "Dufts von Veränderung" überkommt ihn vor allem Schwermut, alles sehe immer noch so aus wie beim letzten Besuch, schreibt er in seinem Buch "Abschied vom Mythos". Bahrmann, 1952 in Ost-Berlin geboren und studierter Lateinamerikawissenschaftler, kennt Kuba gut. Er hat das Land in den 1980er Jahren oft bereist. In den 1990er Jahren habe er den Zusammenbruch des Sozialismus auf der Insel erlebt - "und ich war im Sozialismus nicht auf Urlaub, sondern habe zuvor 37 Jahre in der DDR gelebt und erkenne Details und Strukturen wieder", fügt er hinzu. Diese Erfahrung prägt seine Perspektive auf die kubanische Geschichte, die er auf 250 Seiten erzählt. Er zeigt keinerlei Verständnis für wirtschaftliche Fehlentscheidungen und Repression der kubanischen Führung.

Die Darstellung beginnt im vorrevolutionären Kuba: Als "reich, modern und ungerecht" charakterisiert Bahrmann die Insel in der Ära des korrupten Diktators Fulgencio Batista. Kuba sei damals eines der wohlhabendsten und technisch entwickelsten Länder Lateinamerikas, aber auch "Jackpot" der Wettmafia und "Bordell der USA" gewesen. 1952 setzte Batista einen brutalen Repressionsapparat ein, Wahlen fanden nun nicht mehr statt. Fidel Castro, junger Anwalt und Kandidat der "Bürgerlichen Partei des Kubanischen Volkes", dachte damals noch nicht an die Revolution, stattdessen wendete er sich 1953 wegen Verfassungsbruchs an das Oberste Gericht. Erst als das die Klage nicht annahm, kündigte er aktiven Widerstand an, weiß Bahrmann über die Anfänge der Revolution zu berichten. Die folgenden Kapitel rekonstruieren, wie Fidel Castro in Mexiko durch Ernesto "Che" Guevara radikalisiert wurde, wie die Revolutionäre 1959 siegten und fortan an das Land sozialistisch umbauten. Der "Máximo líder" und seine Mitstreiter erscheinen in Bahrmanns Ausführungen in keinem guten Licht: Ihr mangelnder ökonomischer Sachverstand habe das Land an den Rand der ökonomischen Pleite gebracht. Die Frage, welche Rolle das US-Embargo bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes spielte, behandelt Bahrmann allerdings nur am Rande.

Tauwetter Hochaktuell beschreibt Bahrmann das Tauwetter zwischen Washington und Havanna. Auch den Stand der Diskussion über eine komplette Aufhebung des Embargos und Entschädigungszahlungen an enteignete US-Unternehmen und Exilkubaner fasst er prägnant zusammen.

Das Buch bietet einen kompakten Überblick der postrevolutionären kubanischen Geschichte, ansprechend geschrieben und mit unterhaltsamen Anekdoten angereichert. So erfährt man etwa, dass "Che" Guevara aufgrund eines Missverständnisses zum Chef der Zentralbank geworden sei: Castro habe im Revolutionsrat gefragt, ob unter den Anwesenden ein "economista" (Ökonom) sei. Der unaufmerksame "Che" habe "comunista" (Kommunist") verstanden und sich gemeldet.

Obgleich der Autor betont, dass er keinen wissenschaftlichen Beitrag leisten möchte, wäre eine genauere Kennzeichnung der Quellen wünschenswert gewesen. Seltsam wirkt, dass Bahrmann Fidel Castro aus der "Autobiografie" zitiert, die der regimekritische Schriftsteller Norberto Fuentes im Exil verfasst hat - und die fiktiv ist.

Vor allem für Leser, die sich bislang nicht intensiv mit der Geschichte Kubas befasst haben, ist das Buch empfehlenswert. Wer allerdings eine originelle Einordnung oder eine tiefgründige Analyse erwartet, wird nach der Lektüre enttäuscht sein. Der Autor vermeidet eine klare Position. Die Leitfrage "Hat sich das große Gesellschaftsexperiment gelohnt?", mag er nicht direkt beantworten; die Antwort müsse jeder selbst finden. Schon im Folgeabsatz nimmt er die Schlussfolgerung aber eigentlich vorweg: Die Utopie einer neuen Gesellschaft hat nur wenige Jahre gehalten, die Zeit des Überlebens dauert hingegen schon Jahrzehnte. Auch im Abschlusskapitel "Ist Kuba eine Diktatur?" soll der Leser sich eine eigene Meinung bilden. Bahrmann gibt dazu einen Katalog politikwissenschaftlicher Kriterien an die Hand. Wer bei der Lektüre aufmerksamer war, als einst "Che", dürfte die Antwort kennen.