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RUSSLAND : Geschichten vom Zarenhof

Simon Sebag Montefiores schillernde Darstellung der Romanows

19.12.2016
2023-08-30T12:30:12.7200Z
2 Min

Demokratischer ging es damals nicht: 1613 wählte die Landesversammlung Moskowiens den Begründer der Romanow-Dynastie, Michail I., zu ihrem Zaren. Dabei wollte der 16-Jährige gar nicht auf den Zarenthron. Erst nachdem die Bojaren den jungen Mann lange "demütig" angefleht hatten, nahm er die dargebotene Krone an. Rund 300 Jahre später fand die russische Monarchie als Folge der Februar-Revolution von 1917 ihr blutiges Ende. Die bolschewistische Diktatur sorgte für klare Verhältnisse, indem sie 18 Mitglieder der engeren Zarenfamilie ermordete. Zu ihren Vorfahren gehörten schillernde Gestalten wie Iwan der Schreckliche oder der charismatische Reformer Peter der Großen. Unter den 20 Romanow-Zaren war Russland jährlich um rund 52.000 Quadratkilometer expandiert und beherrschte 1917 ein Sechstel der Erdoberfläche.

Bereits mit seiner ausgezeichneten Stalin- Biografie hatte der britische Historiker Simon Sebag Montefiore größere Bekanntheit erlangt. Daran schloss sich eine unterhaltsame und quellensichere Monografie über die Regierungszeit Katharinas II. an. Auch intime Details aus dem Privatleben der Zarin kamen darin nicht zu kurz, wie die Beziehung zu ihrem heimlichen Ehemann Fürst Potemkin. Nunmehr liegt Montefiores jüngsten Werk zur Geschichte der Romanows vor.

Auf der Grundlage russischer Originalquellen hat der Historiker ein Sachbuch vorgelegt, das erneut in einer allgemeinverständlichen Sprache daherkommt und sich an ein breites Publikum richtet. Diesem Ziel mag es auch geschuldet sein, dass Montefiore die politisch-historischen Hintergründe und die wirtschaftliche Entwicklung des russischen Imperiums ausblendet. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf die Familiengeschichte. Zuweilen erinnert sein Buch jedoch an einen der unzähligen Mittelalter-Romane, gespickt mit edlen Burgfräuleins und ränkeschmiedenden Gestalten am Hofe.

Entsprechend unvermittelt findet sich der Leser denn auch in der Russischen Revolution von 1917 wieder. Nahezu alle politischen Kräfte des Landes, darunter Mitglieder der Romanow-Familie, wollten Zar Nikolaus II. zur Abdankung bewegen: "Sie sagten mir, ich müsse das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen. Ist es nicht vielmehr so, dass mein Volk mein Vertrauen zurückgewinnen muss?" Als der Zar schließlich auch von der Armee unter Druck gesetzt wurde, verzichtete er am 2. März 1917 auf den Thron und bestimmte seinen Sohn Alexei zu seinem Nachfolger. Kurz darauf entschied er jedoch, "gleichzeitig in meinem und auch seinem Namen abzudanken, da ich nicht von ihm getrennt sein will". Dadurch avancierte Nikolaus' Bruder, Großfürst Michael, für einen Tag zum letzten russischen Zaren. Die Minister der Provisorischen Regierung überzeugten ihn, auf den Thron zu verzichten.

In der letzten Phase der Romanows verliert Montefiore die kritische Distanz und folgt zu sehr den Tagebuch-Eintragungen und Briefen der Zaren. Die Meinungen Außenstehender kommen deutlich zu kurz. So war Zar Nikolaus davon überzeugt, alle hätten ihn "verraten". Die russische Gesellschaft hingegen glaubte, der Thron habe sie "verraten", betont der bekannte russische Historiker Wladimir Buldakow.

Simon Sebag Montefiore untersucht auch die Wirkung der absoluten Macht auf die Persönlichkeiten in Russland bis zu Präsident Wladimir Putin. Und dieser, so vermutet der Historiker, werde nicht freiwillig abdanken.