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DRESDEn : Hauptstadt der Galle

Peter Richters Hommage an seine Heimat

19.12.2016
2023-08-30T12:30:12.7200Z
2 Min

Peter Richter arbeitet in einer der spannendsten Städte der Welt: als Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in New York. Und dennoch lässt ihn seine Heimat nicht los - Dresden, die "im Moment unbeliebteste Stadt Deutschlands". Hier wurde er 1973 geboren und auf sie schaut der Journalist und Schriftsteller mit einiger Fassungslosigkeit. Seit hier jeden Montag "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" demonstrieren und ihren Hass gegen Fremde und die eigene Regierung artikulieren, findet sich die sächsische Landeshauptstadt sogar in der US-Berichterstattung wieder. Dresden, so Richter, sei gerade eine umstrittene Stadt und sicher die zerstrittenste des Landes: "Und darin ist sie vielleicht dann wiederum tatsächlich repräsentativer, als viele außerhalb von Dresden meinen. Vielleicht nicht unbedingt eine Hauptstadt der Herzen, eher eine der Galle."

Auf 160 Seiten mischt Richter mit leichter Hand Reflexionen zu seiner Kindheit und Beobachtungen aus den vergangenen Jahren, gespickt mit vielen Anspielungen und Anekdoten auf Historie, Kultur und gesellschaftliche Debatten über eine Heimat, "die einen nicht fortlässt". Es ist auch eine Liebeserklärung an seine Stadt, aus der zu stammen im Rest der Bundesrepublik eher "ein Grund für besorgte Nachfragen, für Mitleid, Hohn, auch Abscheu" sei. Dennoch ist Richters Diagnose klar: Fast alle Deutschen seien "gegenwärtig in gewisser Weise Dresdner", ob sie wollen oder nicht. "Und die, die nicht wollen, ganz besonders." Richter schlägt auch den Bogen zu seiner neuen Heimat und beschreibt die Parallelen zwischen den Deutschen, die bei Pegida mitlaufen, und den Amerikanern, die sich begeistert zeigen von Donald Trump - der in der Zeit, als Richter seinen Essay verfasste, noch eine skurrile Episode zu sein schien und inzwischen gewählter Präsident ist.

Dies- und jenseits des großen Teichs hätten sich Ventile geöffnet, habe sich ein "erlösendes Gegengift zur Political Correctness" ergossen. Hier wie dort funktioniere die Taktik, sich für Fremde so unattraktiv wie möglich zu machen. "Aber sie hat eben oft auch den Effekt, dass dann nicht nur die Fremden deswegen manchmal schnellstens wegwollen." Und doch endet Richter versöhnlich: Mit dem Wunsch, dass die "frustrierten jungen Männer aus Nordafrika künftig gemeinsam mit den frustrierten älteren Männern aus Ostsachsen montags eine Runde spazieren gehen" - und sich das Bild seiner Heimatstadt "noch einmal umdrehen ließe". Er wird aus New York verfolgen, ob es gelingt.