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Nuklearabfall : Atomarer Schlussakt

Der Staat übernimmt die Entsorgungsrückstellungen der Konzerne und sucht ein Endlager

19.12.2016
2023-08-30T12:30:12.7200Z
4 Min

Keine Auseinandersetzung hat die Bundesrepublik so gepalten wie die Nutzung der Kernenergie. Das ist seit Fukushima Geschichte. Seitdem herrscht Konsens über den Ausstieg. Am Donnerstag hat der Bundestag weitere Folgen des Ausstiegs geregelt. Für den Rückbau der Atomkraftwerke, von denen 2022 das letzte vom Netz gehen soll, bleiben die Atomkonzerne zuständig. Für die Zwischen- und Endlagerung überweisen sie über 23 Milliarden Euro an den Staat, der ihnen dafür diese Aufgabe abnimmt. "Das ist der eigentliche Schlussakt des Atomaustiegskonsenses, den für ein Endlager werden wir noch herbeiführen müssen", beschrieb Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die große Bedeutung des Beschlusses.

Koalitionsfraktionen und auch die Grünen zeigten große Einigkeit, der Verantwortung gemeinsam gerecht zu werden. Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) stellte fest, die Grünen seien die Anti-AKW-Partei, "aber Leitlinie von uns war nie Widerstand, Leitlinie von uns war immer Verantwortung." Aus Verantwortung seien die Grünen gegen Atomkraft, und "aus Verantwortung suchen wir jetzt nach Lösungen für die langfristigen Aufgaben, die uns nach Abschalten der Atomkraftwerke bleiben." Bei Atomthemen gebe es selten die Superlösung, sondern meistens nur das "Bestmögliche in einer schlechten Gemengelage. Das leistet dieser Gesetzentwurf."

»Ungewohntes Gefühl« "Das war für mich ein ungewohntes Gefühl. Aber es hat geklappt, und es war auch sinnvoll", freute sich Michael Fuchs (CDU) über den gemeinsam von der Koalition und den Grünen eingebrachten und beschlossenen Gesetzentwurf. Gutachter hätten bestätigt, dass die Zahlung der Konzerne "in der Höhe gerechtfertigt und ausreichend ist". Die Mittel für die Endlagerung lägen jetzt beim Staat und seien damit sicher, wenn die Konzerne zum Beispiel verkauft würden. Fuchs verlangte eine Intensivierung der Suche nach einem Endlager Einen Bohrlochtourismus in den Bundesländern dürfe es nicht geben. "Je schneller wir eine Lösung für ein Endlager, finden, desto sicherer ist, dass die Gelder, die in dem Fonds sind, auch ausreichen", sagte Fuchs.

"Am Ende der Debatte hatten wir einen Konsens, dass die weitere Nutzung der Atomkraft nicht verantwortbar ist", erinnerte Hubertus Heil (SPD). Jetzt sei es auch gelungen, einen "finanziellen Entsorgungskonsens" zu erreichen. Das Gesetz sorge für Klarheit über die Finanzierung der Altlasten des atomaren Zeitalters. "Wir wollen dem Staat diese Mittel sichern", sagte Heil mit Blick auf die schlechte Lage der Energiekonzerne, bei denen "nicht für alle Zeit gesichert ist, ob dieses Geld wirklich da ist". Daher sei es richtig, das Geld in einen staatlichen Fonds zu leiten, "damit wir ein für allemal das Geld sicher haben. Das nenne ich verantwortliche Politik." Zum gesellschaftlichen Konsens gehöre aber auch Rechtsfrieden. Daher müssten die Konzerne auch die letzten beiden Klagen zurückziehen, nachdem dies für 29 Klagen schon angekündigt worden sei: "Es ist Zeit, diesen Konflikt zu beenden." Auch Kotting-Uhl verlangte die Rücknahme aller Klagen: "Konsens braucht Rechtsfrieden." Zuvor hatte Fuchs eine Rücknahme der Klagen angeregt.

Gabriel erinnerte an die Hoffnungen vor über einem halben Jahrhundert, mit Atomkraft die Energiefrage lösen zu können. "Wir alle wissen, es ist völlig anders gekommen." Der Bau von Atomkraftwerken sei die teuerste Form der Energieerzeugung. In Großbritannien sei zu sehen, dass neue Kernkraftwerke nur mittels öffentlicher Subventionen zu finanzieren seien, weil man sich nicht rechtzeitig um erneuerbare Energien gekümmert habe. In Finnland werde ein neues Atomkraftwerk mit immensen Kostensteigerungen gebaut. "Das Argument, es würde in der Welt eine Renaissance der Kernenergie geben, war immer falsch", stellte Gabriel erfreut fest.

Massiver Widerstand gegen den gefundenen Kompromiss der "supergroßen Koalition" kam nur von der Linksfraktion. Deren Redner Hubertus Zdebel erklärte: "Wenn Atomkonzerne nichts mehr verdienen können oder hohe Kosten drohen, muss der Staat ran." Nach diesem Prinzip werde jetzt die Verstaatlichung der gesamten Atommüllentsorgung besiegelt und dem Steuerzahler die Risiken aufgebürdet: "Das macht die Linke nicht mit." Die Verursacher müssten weiterhin in atomarer Haftung bleiben und für den atomaren Dreck geradestehen. Stattdessen würden sie für den "Schnäppchenpreis" von rund 23 Milliarden Euro aus der Haftung entlassen: "Das ist skandalös", zumal die Konzerne laut Zdebel im nächsten Jahr um sechs Milliarden Euro wegen der ausgelaufenen Brennelementesteuer entlastet werden. Notwendig wäre dagegen eine weitere Nachschusspflicht der Konzerne, wenn die eingezahlten Beträge nicht ausreichen würden.

In einem angenommenen Entschließungsantrag der drei Fraktionen CDU/CSU, SPD und Grüne wird die Bundesregierung aufgefordert, sich im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern dafür einzusetzen, dass alle im Atombereich anhängigen Klagen und Rechtsbehelfe zurückgenommen werden. Abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke. Sie hatte verlangt, dass die Konzerne als Verursacher dauerhaft auch in der finanziellen Verantwortung für die Stilllegung der Atomanlagen und die langfristige Atommülllagerung bleiben.