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gesundheit : Viele Solo-Selbstständige von Krankenversicherungsbeiträgen…

Experten fordern eine systematische Entlastung der Betroffenen. Deutliche Absenkung der Bemessungsgrundlagen im Gespräch

27.03.2017
2023-08-30T12:32:18.7200Z
3 Min

Die Beitragsbemessung für die Krankenversicherung von Selbstständigen sollte nach Ansicht von Gesundheitsexperten angepasst werden, um eine finanzielle Überforderung der Versicherten zu verhindern und mehr Gerechtigkeit in das System zu bringen. In einer Anhörung des Gesundheitsausschusses über Anträge der Fraktion Die Linke zu dem Thema (18/9711; 18/9712) vergangene Woche erklärten Sachverständige, die jetzigen Regelungen führten insbesondere bei Solo-Selbstständigen mit geringem Einkommen zu unverhältnismäßigen Härten.

Selbstständige können sich entweder privat versichern oder freiwillig in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), wobei die Private Krankenversicherung (PKV) einen Antrag wegen bestimmter Vorerkrankungen ablehnen kann. Oberhalb einer Höchstgrenze wirkt sich das Einkommen nicht mehr auf den GKV-Beitrag aus. Für hauptberuflich Selbstständige gilt zugleich eine Mindestbemessungsgrundlage von monatlich rund 2.231 Euro, ab der sich der Beitragssatz nicht weiter verringert. Für Existenzgründer und Härtefälle kann die Grenze auf rund 1.487 Euro reduziert werden. Für sonstige freiwillige Mitglieder in der GKV liegt die Einkommensuntergrenze bei rund 991 Euro. Nach Ansicht der Linksfraktion sollte die Mindestbeitragsbemessung für freiwillig Versicherte und freiwillig versicherte Selbstständige auf die Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro abgesenkt werden.

Der GKV-Spitzenverband räumte einen "Diskussionsbedarf" ein. Es müsse kritisch hinterfragt werden, ob die Rahmenbedingungen noch zeitgemäß und sachgerecht seien. Der Verband schlug vor, die Mindestbemessungsgrenze von 2.231 Euro abzuschaffen und für hauptberuflich Selbstständige eine einheitliche Grundlage bei 1.487 Euro festzulegen. Der Ersatzkassenverband (vdek) befürwortete auch wegen der wachsenden Beitragsschulden von derzeit rund sechs Milliarden Euro eine nachhaltige Entlastung der Versicherten und plädierte dafür, die Mindestbemessungsgrenze bei 991 Euro festzuschreiben und künftig nicht mehr zwischen Selbstständigen und anderen freiwillig Versicherten zu unterscheiden. Die damit einhergehenden Beitragsausfälle sollten aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Wie sich die Beitragsrückstände in der GKV auf die Versichertengruppen verteilen, ist allerdings unklar. Hier mangelt es nach Aussage der Experten an geeigneten Daten.

Der AOK-Bundesverband bestätigte, dass eine wachsende Zahl von Selbstständigen mit ihren Einnahmen unter der Mindestbemessungsgrundlage bleibe. Vor allem die Einkommensverhältnisse der Solo-Selbstständigen seien nicht zu vergleichen mit jenen der klassischen Selbstständigen. Aufgrund der komplexen Problematik sei jedoch die alleinige Absenkung der Bemessungsgrundlage unzureichend.

Mehrere Fachleute wiesen in der Anhörung aber darauf hin, dass Solo-Selbstständige häufig nebenberuflich arbeiteten und in Haushalten mit einem höheren Einkommen lebten.

Der Sachverständige Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld erklärte, die Selbstständigen seien wegen ihrer schwankenden Einkommen nur schwer in das Beitragssystem der GKV einzupassen. Möglich wäre, "eine einkommensbezogene Bemessung der Beiträge möglichst zu vermeiden" und die Beiträge risikobezogen außerhalb der GKV zu erheben. Für solche Versicherte, die dann mit der PKV-Prämie überfordert sind, wäre ein steuerfinanzierter Zuschuss eine Option. Eine alleinige Absenkung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze greife jedoch zu kurz.

Auch der Einzelsachverständige Stefan Etgeton plädierte für eine Kombinationslösung. Denkbar wäre neben einer Absenkung des Mindestbeitrags eine Ausweitung der Krankenversicherungspflicht für Selbstständige in der GKV. Derzeit seien 43 Prozent der Selbstständigen privat und 57 Prozent gesetzlich versichert. Die Zahl der gesetzlich Versicherten könnte bei einer erweiterten Versicherungspflicht für Selbstständige auf 88 Prozent steigen, was die Einnahmen in dem Segment deutlich vergrößern würde. Etgeton betonte in der Anhörung, wenn Selbstständige nicht mehr in der Lage seien, ihre Beiträge zu zahlen, sei dies auch ein "Sozialstaatsversagen".

Nach Ansicht des Sozialverbandes VdK zeigen die Regelungen zur Beitragsbemessung bei freiwillig Versicherten, dass die Finanzierung zu komplex ist. Die vielen Ausnahmen verhinderten Beitragsgerechtigkeit. Sinnvoll wäre es deswegen, alle Bürger in die GKV einzubeziehen.

Der DGB erklärte, Solo-Selbstständige seien "unter den bestehenden Rahmenbedingungen mit freiwilligen Sozialversicherungen im gesetzlichen System überfordert". Ein Gewerkschaftsvertreter gab in der Anhörung zu bedenken, dass im Zuge der Arbeitsmarktreformen viele ehemals Arbeitslose "in eine prekäre Selbstständigkeit geflohen" seien.