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Flucht und Vertreibung : Glückliches Ende in Sicht

Das Berliner Dokumentationszentrum wird deutlich teurer und soll spätestens 2020 eröffnet werden. Der Wissenschaftliche Beraterkreis ist neu formiert

08.05.2017
2023-08-30T12:32:21.7200Z
4 Min

Es ist ein unendliches Kapitel. Trotzdem könnte ein lange umstrittenes Projekt, das Berlins Museums- und Gedenkstättenlandschaft anreichern soll, nun bald ein glückliches Ende finden: Gibt es keine unvorhersehbaren Ereignisse mehr, dürfte das Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mit seiner Dauerausstellung im ehemaligen Deutschlandhaus in Kreuzberg im Sommer 2018 der Stiftung übergeben und ein gutes Jahr später eröffnet werden. Das jedenfalls erhofft sich Gundula Bavendamm, neue Direktorin des Museums. Die Historikerin und Kulturmanagerin, die zuletzt das Berliner AlliiertenMuseum leitete, ist im Februar 2016 nach vielen Querelen und Stillstand zur Leiterin des politisch lange umkämpften Gedenkstättenprojekts gewählt worden. Sie wurde von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) auf den Schild gehoben und gilt wegen ihrer Erfahrung als Museums-Kuratorin und politischen Unbelastetheit als gute Wahl.

"Meine Hauptaufgabe ist es, das Haus in verantwortbarer Zeit zu eröffnen", sagt Bavendamm. Diesem Ziel ordnet die 52-Jährige mit ihrem kleinen Team alles unter. So sind die früher regen Stiftungs-Aktivitäten von Kolloquien bis Ausstellungen stark heruntergefahren worden. Die tausenden Objekte, die vor allem vom Schicksal der 14 Millionen deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen am Ende des Zweiten Weltkriegs zeugen und auf Präsentationen gezeigt werden sollen, sind einstweilen sorgsam in einem Depot verwahrt.

Die Einrichtung mit ihren 3.000 Quadratmetern auf drei Etagen samt Räumen für Dauerausstellung, Wechselausstellungen, Veranstaltungen, Bibliothek und einem "Raum der Stille" soll mit der Präsentation des Vertreibungsthemas für ein "breites Publikum" eine Leerstelle in der Berliner Gedenklandschaft füllen - auf "Augenhöhe mit dem Mahnmal der ermordeten Juden Europas und der Topografie des Terrors" (Bavendamm).

Allerdings ist das ehrgeizige Vorhaben schon mehrfach verschoben worden. Zuletzt war die Eröffnung für das erste Halbjahr 2017 vorgesehen, nun kommt sie frühestens 2019, wenn nicht 2020. Lagen die Verzögerungen anfangs in der Findungsphase begründet, kam später beim Umbau im bundeseigenen Deutschlandhaus unvorhergesehene Bausubstanz zum Vorschein. Längst werden die ursprünglichen Umbaukosten des denkmalgeschützten Altbaus an der Stresemannstraße samt Anbau in Kubusform von 36 Millionen auf mehr als 53 Millionen Euro taxiert. Immerhin konnte das Zentrum, das knapp die Hälfte der Räume im Deutschlandhaus belegen wird, im Oktober 2016 Richtfest feiern.

Die Idee des Dokumentationszentrums, dessen Eröffnung nur noch wenige Menschen der Erlebnisgeneration der Vertriebenen miterleben werden, geht vor allem auf den Einsatz der CDU-Bundestagsabgeordneten und Ex-Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, zurück. Zusammen mit dem Sudetendeutschen Peter Glotz (SPD) initiierte sie 2000 das "Zentrum gegen Vertreibungen", allerdings mit anderen Ideen. Letztlich ist aus der "Zentrums"-Debatte die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung erwachsen. Ende 2005 beschloss die Koalition aus Union und SPD, ein "sichtbares Zeichen" in Berlin zu setzen. Es soll an "das Unrecht von Vertreibungen erinnern und Vertreibung für immer ächten".Die Ende 2008 errichtete Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung unter dem Dach des "Hauses der Geschichte" bestimmte gesetzlich, die Berliner Einrichtung solle "im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihren Folgen wachhalten".

In der 2012 beschlossenen Grob-Konzeption heißt es, das Dokumentationszentrum solle ein "Lern- und Erinnerungsort der Geschichte der Zwangsmigration im 20. Jahrhundert" sein. Dabei sollten Flucht und Vertreibung der Deutschen bei der Dauerausstellung "den Schwerpunkt bilden". Dabei werde es bleiben, sagt Direktorin Bavendamm gegen Besorgnisse aus Vertriebenenkreisen vor Änderungen. Sie will dem Stiftungsrat am 29. Mai das heiß ersehnte, von einem engen Mitarbeiterkreis erarbeitete "integrierte Konzept" präsentieren. In ihm sollen Inhalt, Didaktik und Architektur des Vorhabens genau festgelegt werden. "Ich wünsche mir ein starkes Votum für das Konzept", sagt Gundula Bavendamm. Danach soll zusammen mit einem Stuttgarter Atelier ein "Drehbuch" entwickelt werden.

Fragt man den BdV-Präsidenten und CSU-Bundestagsabgeordneten Bernd Fabritius, so ist für ihn Bavendamm "die richtige Person zur richtigen Zeit", um das Stiftungsprojekt "mit größtem Nachdruck und nötigem Finderspitzengefühl" zu realisieren. Er spricht von einer "glaubhaften Kontextualisierung" des Konzepts der Stiftung, die in der Berliner Gedenklandschaft als "kommunizierendes Gefäß zwischen Deutschlandhaus und benachbarter Topografie des Terrors" ansässig sein werde. Er sieht beim Projekt "nicht Ruhe, sondern positive Geschäftigkeit eingekehrt". Zur derzeit vergleichsweisen Stille gehört, dass im Dezember 2016 unter der Leitung von Professor Frank-Lothar Kroll (Chemnitz) ein neuer Wissenschaftlicher Beraterkreis mit zwölf Mitgliedern konstituiert wurde.

Damit wurde ein langes Gezerre zwischen dem früheren Beraterkreis unter Professor Stefan Troebst (Leipzig) und Bavendamms Vorgänger Professor Manfred Kittel beendet, an dessen Ende die Abberufung des als zu vertriebenennah verschrienen Kittel stand. Mit Tolerierung des Kanzleramts sah sich der alte Beraterkreis lange als "operatives Gremium", das meinte, auf Inhalte einwirken zu dürfen. In BdV-Kreisen wurde geargwöhnt, die Arbeit des Zentrums mit der Schwerpunkt der Vertreibung der Deutschen, der größten Zwangsmigration der Geschichte, solle in Richtung Internationalisierung und Aktualisierung verschoben werden. Das Stiftungsgesetz schreibt dem Gremium indes eine nur beratende Funktion vor.

Bavendamm sagt heute: "Der Wissenschaftliche Beirat ist ein beratendes Gremium und hat keinen Rechtsanspruch, dass seine Inhalte umgesetzt werden." Obwohl auch der neue Beraterkreis mit Vertretern aus England, den USA, der Schweiz, aus Österreich und Tschechien international bestückt ist, fehlt ein Vertreter aus Polen. Nach dem Abgang der beiden polnischen Vertreter 2015 im Streit gestaltet sich die Suche nach einem Nachfolger aus dem östlichen Nachbarland schwierig. Dort ist unter dem Druck der national-konservativen Regierung ("Vaterlandverräter") und wegen der Querelen der Vergangenheit um Steinbach bislang kein aktiver Wissenschaftler bereit, neu in den Beraterkreis einzutreten.

Derweil wirft die Bundestagswahl im September auch bei der Stiftung schon Schatten. Vertreter der Vertriebenen und der Union im Stiftungsrat drängen darauf, mit dem Konzeptbeschluss vor der Wahl unumstößliche Fakten zu setzen. Rot-Rot-Grün und mögliche "ganz andere Akzente" in der Stiftungsarbeit wären für Klaus Brähmig (CDU), Vorsitzender der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten in der Unionsfraktion, ein Alptraum. Stiftungsratsmitglied Klaus Nietan (SPD) dagegen sieht das ganz anders: "Die Sorge, dass etwas ganz anderes kommt, ist für mich nicht nachvollziehbar."