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ZERSTÖRUNG : Ein roter Faden

Kulturvandalismus gab es seit jeher, doch schmerzt er heute nicht weniger. Er trifft unser aller Erbe

08.05.2017
2023-08-30T12:32:21.7200Z
5 Min

Januar 2017. "Die Terrormilz ,Islamischer Staat' hat in Syriens Oasenstadt Palmyra erneut einzigartige archäologische Bauten zerstört. Satellitenbilder der UN zeigten, dass Teile der Bühne und prächtigen Bühnenwand des römischen Amphitheaters zerstört wurden", berichtet tagesschau.de: "Palmyra gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Generaldirektorin Irina Bokova bezeichnete die jüngsten Zerstörungen durch die Dschihadisten als ,Kriegsverbrechen'. Die Zerstörung sei ,ein immenser Verlust für das syrische Volk und die Menschheit'".

Die Grausamkeiten des IS, die Verschleppungen, Ermordungen, sie lassen auch dem fernen Fernsehzuschauer das Blut in den Adern gefrieren. Doch neben solchen Unmenschlichkeiten, die uns meist nur als kurze Nachrichtensequenzen erreichen, wirkt auch die Zerstörung kultureller Zeugnisse immer wieder schockierend. Wer sie vernichtet, vergreift sich auch an unseren Wurzeln, unseren Lebensadern.

"Jede Schädigung von Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört", heißt es in der ,,Haager Konvention" zum "Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten" vom 1954, bedeute ,,eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit", weil "jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet". Welch völkerübergreifendes Wurzelgeflecht diese Beiträge bilden, verdeutlicht auch das Theater in Palmyra: Wer ähnliche Baudenkmäler in Europa besucht, etwa das antike Theater im südfranzösischen Orange, steht augenscheinlich ebenso auf einst römisch geprägtem Boden wie in der heute syrischen Wüstenstadt.

Gelöschte Erinnerung 128 Staaten sind der völkerrechtlich verbindlichen "Haager Konvention" beigetreten, doch ist Kulturvandalismus, also die absichtliche Vernichtung oder Beschädigung von Kulturgütern, mitnichten schon Vergangenheit. Dabei schrecken uns heute islamistische Exzesse wie die des IS oder die Zerstörung der einzigartigen Buddha-Figuren von Bamiyan in Afghanistan durch die Taliban im Jahr 2001, doch zieht sich die Spur des Kulturvandalismus von der Antike bis in die Gegenwart wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte. Mal religiös oder ideologisch begründet, mal politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Interessen folgend, erscheint die Verwüstung kultureller Spuren gegnerischer Kräfte oder Ordnungen geradezu wie ein konstitutiver Bestandteil menschlichen Kulturlebens.

So fielen keineswegs nur ägyptische Pharaonen oder römische Caesaren der "damnatio memoriae" anheim, der "Verdammung des Andenkens": Abbildungen von ihnen wurden getilgt, ihre Namen aus Inschriften und Annalen gelöscht und sie so dem Vergessen der Nachwelt preisgegeben oder zumindest als des Andenkens unwürdig ,,verdammt". Bekannt sind auch die sowjetischen Fotografien, auf denen Mitstreiter und spätere Opfer Stalins wie Trotzki oder Bucharin wegretuschiert wurden; aus jüngster Zeit stammen Berichte über Nordkoreas Diktator Kim Jong-Un und die Tilgung des Namens seines 2013 exekutierten Onkels aus dortigen Medien.

Die Christenheit hat der Geschichte des Kulturvandalismus ihre eigenen Kapitel hinzugefügt. Die Erhebung des Christentums zur römischen Staatsreligion 391 brachte nicht nur für Theater wie in Orange Schließung, Plünderung und Verfall; Tempel wurden zerstört und ihre Steine - wie die anderer Bauwerke in allen Zeiten - für neue Bauten verwendet. Die berühmte Reiterstatue des Kaisers Marc Aurel in Rom soll als einzige der vielen solcher römischen Standbilder nur deshalb so vollständig erhalten geblieben sein, weil die Christen des frühen Mittelalters glaubten, sie stelle seinen späteren Nachfolger Konstantin dar, der 313 die Wende zum Anerkennung des Christentums einleitete.

Exemplarisch ist auch die Geschichte des großen Gotteshauses von Cordoba, dessen Boden von der Abfolge der herrschenden Religionen erzählt: Auf einen römischen Tempel folgte eine westgotische Kirche, nach deren Zerstörung 784 mit dem Bau einer der weltweit größten Moscheen begonnen und deren Säulenwald, noch heute eine der größten Sehenswürdigkeiten Spaniens, 1523 für den Einbau einer christlichen Kirche teilweise vernichtet wurde - mit Billigung Kaiser Karl V., der bei späterem Augenschein beklagt haben soll, etwas in der Welt Einmaliges sei zerstört worden.

Vernichtete Schriftkultur Im vermeintlichen Besitz allein gültiger Wahrheit gilt die Zerstörung oft den Zeugnissen von "Götzendienst" und "Irrglauben". "Wir fanden eine große Menge von Büchern, und da sie nichts als Aberglauben und teuflische Lügen enthielten, verbrannten wir sie alle", berichtete beispielsweise 1566 ein späterer Bischof über die Vernichtung der Schriftkultur der Mayas in Mittelamerika.

Religiös motivierter Kulturvandalismus ist keineswegs auf Christen oder Moslems beschränkt; Täter wie Leidtragende finden sich bei ihnen wie bei anderen Religionen. Auch innerreligiöse Glaubenskämpfe haben kulturelle Verheerungen mit sich gebracht, etwa durch den "Bildersturm" im Gefolge der Reformation vor 500 Jahren, bei dem vor allem in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und England zahllose Kunstwerke aus Kirchen entfernt und oft vernichtet wurden.

Für das ungezügelte Wüten der Französischen Revolution gegen Kulturgut der alten Ordnung kam Ende des 18. Jahrhunderts der Begriff ,,Vandalismus" auf, der auf die Plünderung Roms durch die germanischen Vandalen im Jahr 455 nach Christus Bezug nimmt. Ohnedies waren Zeiten des Umbruchs stets ein Nährboden kultureller Zerstörungswut. Auch die Verheerung tausender russischer Gotteshäuser - Moscheen nicht zu vergessen - nach der bolschewistischen Oktoberrevolution von 1917 reiht sich hier ein, wie auch die "Kulturrevolution" in China unter Mao Tse-Tung ab 1966.

Ideologisch verbrämt kamen auch die nationalsozialistischen Kulturvandalen in Deutschland daher, die schon mit ihren Bücherverbrennungen 1933 kurz nach ihrer Machtergreifung ihr Verständnis von Geistes- und Kulturleben demonstrierten. Verbrennen ließen sie auch Werke als "entartet" diffamierter Kunst, andere suchten sie ans Ausland zu verscherbeln (ökonomisch eine Marginalie, während etwa im Fall des IS das Verhökern antiker Beutestücken als eine wesentliche Einnahmequelle der Terrormiliz gilt).

Der von Nazi-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg, der Stadt um Stadt in Schutt und Asche sinken ließ, dürfte - neben den Abermillionen Toten - die größte Vernichtung von Kulturgütern aller Zeiten mit sich gebracht haben: als "Kollateralschäden" oder vorsätzliche Verwüstungen, oft ohne militärischen Nutzen, verursacht von allen Seiten. "Baedecker-Angriffe" wurden bezeichnenderweise Bombardements militärisch unwichtiger englischer Städte mit bedeutenden Kulturdenkmälern genannt.

Dass im Krieg der Verwüstung auch kultureller Güter keine Grenzen gesetzt sind, ist eine Binsenweisheit. ,,Wir sind jetzt in der Notwehr, und Not kennt kein Gebot", verteidigte etwa der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg am 4. August 1914 im Reichstag in Berlin den Überfall auf das neutrale Belgien zu Beginn des Ersten Weltkrieges: "Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut", fügte der Kanzler hinzu - wenige Wochen vor der Zerstörung der Bibliothek von Löwen und der Beschießung von Frankreichs Krönungskathedrale in Reims kurz darauf.

Stets subjektiv Die Aufrechnung solcher Verwüstungen ist so sinnlos wie ihre vollständige, gar objektive Auflistung unmöglich; selbst als Mahnung taugt ihr Schrecken nur bedingt. Schon das jeweilige Verständnis von "Kultur" und "Vandalismus" hängt ab von Machtverhältnissen, Wertevorstellungen und Interessenslagen. Der Historiker Alexander Demandt definiert Kulturvandalismus als "Beschädigung oder Beseitigung von Kunstwerken und Denkmälern in einem größeren politischen, ideologischen oder ökonomischen Kontext, in der Absicht oder mit der Folge einer Bewusstseinsänderung". In seinem 1997 erschienenen Buch "Vandalismus. Gewalt gegen Kultur" spricht er von der "Zerstörung von Gestaltetem, das Kunde geben soll oder geben kann".

Im September 2016 wurde vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erstmals die Vernichtung von Weltkulturerbe als Kriegsverbrechen geahndet, ein Islamist wegen der Zerstörung mittelalterlicher Bauten im afrikanischen Mali zu neun Jahren Haft verurteilt. Reuig über den "der Menschheit" zugefügten Schaden äußerte er Medienberichten zufolge die Hoffnung, die Jahre im Gefängnis mögen ihm "erlauben, die Teufel auszutreiben, die mich ergriffen hatten".