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Vorurteile : »Licht und Schatten«

Der Bundestag debattiert über den Antisemitismus-Bericht. Immer mehr jüdische Bürger haben demnach Angst vor Übergriffen

26.06.2017
2023-08-30T12:32:23.7200Z
4 Min

Diese Debatte sei "eine von vielen, aber nicht irgendeine", sagte Norbert Lammert (CDU) am vergangenen Mittwoch. Damit griff der Bundestagspräsident dem vor, was die Redner aller Fraktionen in der Aussprache über den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus (18/11970) betonten: dass der Kampf gegen Antisemitismus künftig noch entschlossener geführt werden müsse.

Tatsächlich kommt der Bericht, in dem erstmals die Perspektive von Betroffenen in den Mittelpunkt gerückt wurde, zu beunruhigenden Befunden. So heißt es, Juden in Deutschland sorgten sich aufgrund alltäglicher antisemitischer Erfahrungen zunehmend um ihre Sicherheit. Vor allem den Antisemitismus unter Muslimen würden sie als problematisch wahrnehmen. Der Expertenkreis fordert deshalb eine verbesserte Erfassung und Ahndung antisemitischer Straftaten. Außerdem sprechen sich die Wissenschaftler für einen Antisemitismus-Beauftragten aus, der die Handlungsempfehlung der Kommission umsetzen solle.

Günter Krings (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Inneren, sagte, der Kampf gegen den Antisemitismus sei eine "Selbstverständlichkeit" und gehöre zur "Staatsräson der Bundesrepublik". Weil der Antisemitismus nicht nur zu den Merkmalen des Rechtsextremismus gehöre, sondern sich in allen Gesellschaftsschichten finde, brauche es mehr Präventions- und Interventionsmaßnahmen. Hier sei die politische Bildung gefragt, denn sie müsse helfen, dem "unreflektierten Übernehmen" von Vorurteilen entgegen zu wirken. Die von den Sachverständigen geforderte konsequente Erfassung und Ahndung von antisemitischen Straftaten sei eine "Verpflichtung des Rechtsstaats aus eigenem Anspruch", betonte er.

Für die Linke sagte Petra Pau, es brauche einen "Beauftragten des Bundestags für Demokratie und Bürgerrechte". Nötig sei zudem eine verlässliche finanzielle Förderung für die Erforschung des Antisemitismus, die nicht nur jahresweise genehmigt werden dürfe. Verbale und tägliche Angriffe gehörten für viele jüdische Bürger in Deutschland zu ihrem Leben, dies sei nicht hinnehmbar, so Pau.

Nicht länger warten Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck sagte, er sei eigentlich immer gegen einen weiteren Beauftragten gewesen, halte ein solches Amt aber inzwischen für nötig. Es brauche "jemanden, der sich zuständig fühlt". Es gebe innerhalb der deutschen Bevölkerung eine hohe Zustimmung zu antisemitischen Vorurteilen. Zu oft sei vermeintliche Israelkritik aber der Deckmantel für Judenfeindschaft: "Der Antizionismus ist der Antisemitismus 2.0." Unter den Flüchtlingen gebe es ein hohes Maß an Antisemitismus; hier brauche es Forschung und politische Bildung, um eine klare Haltung einnehmen zu können.

Beck sagte, die Forderungen der Kommission sollten "unverzüglich" angepackt werden. Seine Fraktion legte einen entsprechenden Antrag (18/12784) vor. Nach dem Willen der Grünen sollen antisemitische Straftaten konsequent erfasst, geahndet und veröffentlicht werden. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, die ,,zentralen Forderungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus" bis zum Jahresende umzusetzen beziehungsweise mit der Umsetzung zu beginnen. Dazu zählt laut Antrag auch eine dauerhafte Förderung von Trägern der Antisemitismusprävention. Der Bundestag soll sich demnach verpflichten, ,,jeder Form des Judenhasses und des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten." Die Fraktion hatte verlangt, über ihren Antrag sofort abzustimmen. Dieser wurde jedoch mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen.

Auch die SPD will mehr Kontinuität in der Antisemitismusforschung: Diese sei eine "Daueraufgabe", der die aktuellen Förderstrukturen nicht Rechnung trügen, sagte Edelgard Bulmahn in ihrer Rede. Es müsse "endlich" eine dauerhafte Förderung geben, denkbar sei ein Demokratie-Förderungsgesetz. Auch wenn "die breite Mehrheit" der Deutschen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus ablehne und Deutschland wieder von einem Erblühen jüdischen Lebens profitiere, sei "im Land der Täter" der Antisemitismus noch weit verbreitet. Beispiel dafür sei die AfD und die "unerträglichen" Bemerkungen "der Höckes, Gideons und Weidels" zu einer Wende in der Erinnerungskultur oder einer vermeintlich überholten politischen Korrektheit, ergänzte sie.

Sorgen ernst nehmen Stephan Mayer (CDU) betonte, der Bericht enthalte "Licht und Schatten". Der klassische Antisemitismus sei von neun Prozent im Jahr 2002 auf aktuell sechs Prozent gesunken, auch im Bereich des sekundären Antisemitismus sehe man eine "rückläufige Tendenz". Dennoch fürchteten mehr als 50 Prozent der befragten jüdischen Bürger, sie könnten in den nächsten Monaten Opfer von Beleidigungen werden, 27 Prozent hätten Angst vor Angriffen. Diese Sorgen müssen ernst genommen werden, forderte Mayer.

Der Antisemitismus-Bericht ist bereits der zweite seiner Art. Schon im November 2008 hatten die Abgeordneten zum 70. Jahrestag der Progromnacht gefordert, entschiedener gegen den Antisemitismus zu kämpfen. Daraufhin hatte die damalige Bundesregierung ein Expertenteam mit der Erstellung eines Berichts beauftragt, der im Januar 2012 vorgestellt wurde. Kritiker wie Volker Beck bemängeln, dass dieser erste Bericht nahezu folgenlos geblieben und schnell in den Schubladen verschwunden sei.