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TÜRKEI : Dann eben nicht

Der Abzug der Bundeswehr aus Incirlik markiert einen weiteren Tiefpunkt in den Beziehungen zum Nato-Partner

26.06.2017
2023-08-30T12:32:23.7200Z
6 Min

Anfang Juni konnte die Konrad-Adenauer-Stiftung mit einer überraschenden Umfrage aufwarten: Das Deutschlandbild junger Türkinnen und Türken ist bei weitem nicht so negativ, wie man das angesichts einiger Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan annehmen könnte: Dieser hatte wie auch sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu deutsche Behörden und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezichtigt, "Nazi-Methoden" anzuwenden, weil nicht alle AKP-Mitstreiter, die das wollten, Wahlkampfauftritte in Deutschland für das türkische Verfassungsreferendum absolvieren konnten.

Offenbar verfängt diese Rhetorik nicht zwangsläufig - jedenfalls nicht bei den befragten jungen Menschen in der Türkei: Für sie rangiert Deutschland in Sachen Vertrauen vor den USA, vor Russland, vor China und vor den Nachbarstaaten der Türkei. Befragt, wo sie gerne leben würden, gaben 22 Prozent der Befragten die USA an und dann folgt, mit elf Prozent, Deutschland auf Platz zwei. Junge Türken blicken also durchaus mit Sympathie auf Deutschland, sei es, weil sie es eigener Anschauung kennen, sei es, weil sie Verwandte haben, die hier leben, oder sei es schlicht auch nur, weil sie sich ein differenzierteres Bild gestatten als es der türkische Präsident in den vergangenen Monaten oft gezeichnet hat. Angesichts der Verwicklungen im deutsch-türkischen Verhältnis, die Außenminister Siegmar Gabriel (SPD) "in ganz schwerem Fahrwasser" sieht, ist das eine nicht ganz unbedeutende, weil zuversichtlich stimmende Botschaft.

Sucht man einen der Ausgangspunkte für die Verfinsterung der offiziellen türkisch-deutschen Beziehungen, muss man in den Juni 2016 gehen: Als eine Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag im Juni 2016 den Massenmord von bis zu 1,5 Millionen Armeniern und anderen christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich ab 1915 als Völkermord wertete - nicht ohne auf die Mitwisserschaft und damit der Mitverantwortung des damaligen deutschen Reichsregierung zu verweisen - zog die Türkei kurzerhand ihren Botschafter aus Berlin ab, Präsident Erdogan drohte mit Konsequenzen. Eine davon war, dass Ankara nunmehr begann, Abgeordneten aus Deutschland den Besuch bei den Bundeswehrsoldaten im türkischen Incirlik zu verweigern, die dort als Teil der internationalen Anti-IS-Koalition im Rahmen der "Operation Inherent Resolve" stationiert waren.

Putschversuch Noch mehr trübte sich das Verhältnis, nachdem ein Teil des türkischen Militärs im Juli 2016 gegen die AKP-Regierung putschte und damit schnell scheiterte, auch deshalb, weil sich die türkische Bevölkerung hinter die Regierung stellte: Damals beklagte die türkische Seite, dass man in den europäischen Hauptstädten und eben auch in Berlin nicht sofort und entschieden gegen die Putschisten Position bezogen hätte. Und womöglich unterstellte manch einer im AKP-Lager, in EU-Europa herrsche gar klammheimliche Schadenfreude darüber, dass der allmächtige auftretende Präsident Erdogan nun vom Militär in die Schranken gewiesen würde. Von deutscher Seite wiederum gab es bald die Kritik, dass Erdogan den Ausnahmezustand dazu nutzen könnte, den Parlamentarismus abzuschaffen und die AKP-Vorherrschaft langfristig zu sichern. Zehntausende Staatsbedienstete - Richter, Offizieren, Lehrer, Professoren - entließ die türkische Regierung in mehreren Wellen, zehntausende wurden inhaftiert - wahlweise unter dem Vorwurf, sie sympathisierten mit der kurdischen PKK, die in der Türkei aber auch in Europa als terroristische Untergrundbewegung eingestuft wird. Oder sie steckten mit der Gülen-Bewegung unter einer Decke, die von der AKP-Regierung bezichtigt wird, hinter dem Putsch zu stehen. Und die Säuberungswellen reichten noch weiter, bis in die politische Landschaft und ins türkische Parlament: Die Führung der prokurdischen HDP-Partei wurde inhaftiert, ein Urteil gegen einen Abgeordneten der sozialdemokratischen CHP-Partei wegen Geheimnisverrats sorgt für Empörung. Jüngst drohte Erdogan dem Vorsitzenden der Partei, er solle sich nicht wundern, wenn sich die Justiz bald bei ihm melden würde.

Als besonders heikel galten und gelten im Verhältnis zwischen Berlin und Ankara die Fälle jener türkischen Soldaten und Beamte, die im Frühjahr 2017 für sich und ihre Familien in Deutschland einen positiven Bescheid auf ihr Asylgesuchen erhalten haben: Ankara wertet das als Beweis, dass deutsche Behörden ihre schützende Hand über Putschisten und "Terroristen" halten würden. Nachdem die türkische Seite im Oktober 2016 den Besuch einer Bundestagsdelegation in Incirlik zugelassen hatte, machte sie nun die Schotten wieder dicht - was nun letztlich zu dem Beschluss des Bundestags führte, die dort stationierten Soldaten abzuziehen und nach Jordanien zu verlegen.

Den Oppositionsparteien im Bundestag fiel es in den vergangenen Monaten oft recht leicht, die Bundesregierung in Sachen Türkei auf Trab zu halten: Bundeskanzlerin Merkel lasse sich von Erdogan "am Nasenring" durch die internationale Arena ziehen, um nur ja nicht den Flüchtlingspakt mit der Türkei zu gefährden. Immer wieder kritisierten Abgeordnete von Linken und Grünen zudem, dass die Bundesregierung einerseits die kurdischen Peschmerga im Nordirak im Kampf gegen den IS unterstütze, auf der anderen Seite auch mit dem Einsatz in Incirlik Lagebilder aus der Luft erstelle, die der Nato-Partner Türkei für Luftschläge gegen kurdische Kräfte in Syrien nutzen könnte. Für Empörung sorgte und sorgt zudem der Fall des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der aus deutscher Sicht unter fadenscheinigen Gründen - dem Vorwurf der Terrorpropaganda - in der Türkei seit Februar in Untersuchungshaft sitzt.

Die Bundesregierung wiederum versuchte über Monate einen schwierigen Spagat: Einerseits galt es, die Beziehungen zu dem geopolitisch unverzichtbaren Partner im Nato-Bündnis nicht irreversibel zu beschädigen, andererseits konnten es Merkel und ihre Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD, bis Januar 2017) und danach Sigmar Gabriel nicht zulassen, diplomatisch vorgeführt zu werden. Sie standen zudem auch gegenüber dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit in der Pflicht: Wer es ernst meint mit dem Begriff der Parlamentsarmee, der kann nicht einfach darüber hinwegsehen, wenn die Türkei Bundestagsabgeordneten den Besuch von Bundeswehrsoldaten verweigert.

Im Mai drängten die Fraktionen von Linken und Grünen auf sofortigen Abzug, in den Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD wiegelte man zunächst noch ab: Aus der Union hieß es, das Risiko, dass die Türkei, "die Südostflanke der Nato", sich Russland und dem Iran zuwenden könnte, sei nicht zu unterschätzen, zudem müsse eine mögliche Verlegung der Bundeswehr nach Jordanien sorgfältig geprüft und vorbereitet werden. Die SPD-Fraktion wiederum wollte "ihrem" Außenminister nochmals eine letzte Chance auf Verhandlungen mit Ankara geben, bevor sie sich dann Ende Mai per Fraktionsbeschluss auf die Forderung eines Abzugs festlegte. Anfang Juni schließlich entschied sich auch das Bundeskabinett dafür.

Vorgesehen ist nun, die Luftbetankung, die Tornado-Aufklärungsflugzeuge sowie die Auswertungstechnik in Al Azraq in Jordanien zu stationieren. Die Air Base liegt etwa 100 Kilometer östlich von Amman und 50 Kilometer südlich der syrisch-jordanischen Grenze. Nach Plänen des Verteidigungsministeriums sollen die Tornados von dort spätestens ab Oktober wieder regulär starten.

Mandat In den Reihen der Opposition gibt es die Forderung, dass mit dem Umzug auch eine neues Mandat formuliert und dem Bundestag vorgelegt werden müsse. Regierung und Koalitionsfraktionen hingegen argumentieren, dass das bestehende Mandat nicht den Stationierungsort vorgebe, sondern das Einsatzgebiet. Mit den Stimmen der Regierungskoalition wurde vergangene Woche jedoch einen Entschließungsantrag angenommen, in dem die Verlegungsentscheidung der Bundesregierung positiv zur Kenntnis genommen wird.

Auf einem anderen Blatt steht, inwieweit die Risiken des Einsatzes größer werden: Vergangene Woche setzte Australien den Einsatz seiner Luftwaffe im Syrien-Krieg vorübergehend aus. Es war eine Reaktion auf Drohungen Russlands, alle Flugobjekte im russischen Einsatzgebiet als Gefahr einzustufen, nachdem das US-Militär zuvor einen Kampfjet der mit Russland verbündeten syrischen Regierungstruppen abgeschossen hatte. Der Vorfall zeigt nicht nur, wie schnell sich bedrohliche Konfrontationen im syrischen Luftraum entwickeln können. Er wirft auch ein grelles Schlaglicht darauf, wie disparat die Interessen innerhalb der internationalen Anti-IS-Koalition sind.