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AUSSENPOLITIK : Führungsfragen

Krisengipfel und Pendeldiplomatie seit 2014

24.07.2017
2023-08-30T12:32:24.7200Z
5 Min

Die Bundeskanzlerin soll es also richten. Als nach "Brexit"-Referendum und der Wahl Donald Trumps manchem Leitartikler auf der Insel und jenseits des Atlantiks der Schreck in die Glieder fuhr, richteten sich die Hoffnungen schnell auf die deutsche Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Als "Anführerin der freien Welt" (The Guardian) halte sie Werte wie Pluralismus, Demokratie, die offene Gesellschaft und den Multilateralismus hoch in Zeiten, in denen der US-Präsident sich demonstrativ von diesen Maximen abwende.

Merkel dürfte gute Gründe gehabt haben, als sie diese Erwartung schnell zurückwies. Für Führungsaufgaben im globalen Maßstab ist Deutschland schon deshalb nicht geeignet, weil es dazu wohl eine militärische Stärke, Reichweite und Machtprojektion in der Größenordnung der USA, Chinas oder Russlands bräuchte. Deutsche Regierungen haben im UN-Sicherheitsrat kein Vetorecht. Sie dirigieren auch keine Flugzeugträger auf den Weltmeeren oder verfügten über eigene Atomwaffenarsenale - und die meisten Deutschen finden, dass das so bleiben sollte. Anders als die Präsidenten Frankreichs und der USA wären deutsche Bundeskanzler außerdem nur im äußersten Verteidigungsfall "chef des armées" oder "Commander-in-Chief". Im Übrigen wird über Waffengänge im Bundestag entschieden, in dessen Reihen man weiß, wie zurückhaltend bis skeptisch die deutsche Öffentlichkeit Auslandseinsätzen der Bundeswehr gegenübersteht.

Selbst im etwas kleineren Rahmen der EU bleiben Zuschreibungen einer Führungsrolle doppelbödig. Denn es zeigt sich eben auch im EU-Gefüge, dass Deutschland auch eigensinnig Wege geht, gar nicht nur multilateral sondern manchmal eben eher unilateral entscheidet und damit Partnern vor den Kopf stoßen kann, sei es beim unvermittelten Atomausstieg 2011, bei der Politik der vorübergehend offenen Türen in der Flüchtlingskrise 2015 oder aktuell bei den Plänen für die Ostseepipeline Nordstream II zwischen Russland und Deutschland, die die Osteuropäer beunruhigt.

Verantwortung Außenpolitisch ist die Bundesrepublik in den vergangenen vier Jahren in einem Maße gefordert gewesen wie wohl selten zuvor. Als Vertreter der Bundesregierung im Gleichklang mit dem damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck Anfang 2014 von einer gewachsenen außenpolitische Verantwortung sprachen, hätte wohl niemand damit gerechnet, wie schnell die Probe aufs Exempel folgen würde. 2014 war das Jahr, in dem der Krieg in der Ostukraine aufflammte, Russland die Krim annektierte und die Bundesregierung diplomatisch alle Hände voll zu tun hatte, diesen Konflikt halbwegs mit einzuhegen. Der "Islamische Staat" (IS) war auf dem Weg, Teile des Iraks und Syrien einzunehmen. Hinzu trat seither eine wachsende Zahl der Flüchtlinge, die sich von den Krisenherden von Nahost bis Afghanistan auf den Weg machen und deren Aufnahme die Solidarität innerhalb der EU auf eine harte Probe stellten und stellen.

Über Monate stand die Außenpolitik der Großen Koalition im Zeichen einer Krisen- und Pendeldiplomatie: Das war etwa bei den Abkommen von Minsk so, bei denen Merkel zusammen mit dem damaligen französischen Präsidenten François Hollande die Ukraine und Russland an einen Tisch brachte, um den Weg für eine Waffenruhe zu ebnen. Oft genug standen die Kanzlerin und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zwischen Baum und Borke, sie versuchten einerseits für Geschlossenheit in den eigenen Reihen und in der EU in Sachen Sanktionen gegen Russland zu sorgen, andererseits den berühmten "Gesprächsfaden" nach Moskau nicht abreißen zu lassen. Berlin stellte sich vehement gegen eine Bewaffnung der Ukraine durch die USA - und musste auf der anderen Seite dafür sorgen, die großen Hoffnungen, die die ukrainische Führung und die Majdan-Bewegung auf die EU richteten, nicht zu enttäuschen. Die Ukraine-Krise war und bleibt aber auch in anderer Hinsicht eine Herausforderung, kündete sie doch für viele von einem Ende der "Friedensdividende" nach der Epochenwende 1989 - und der Gefährdung einer europäische Ordnung, die sich als doch nicht so haltbar erwies, wie man das lange glauben wollte. Die Bundesregierung setzte einiges daran, um etwas von der Idee eines europäischen Hauses zu retten - etwa durch Initiativen zur gegenseitigen Rüstungskontrolle innerhalb der OSZE, durch Impulse für Verhandlungen bei "eingefrorenen" Konflikten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Für Irritationen sorgte Außenminister Steinmeier 2016 mit seiner Warnung "durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen". Mancher bezog dies auf Nato-Manöver an der russischen Westgrenze und die Stationierung von vier Nato-Bataillonen in Polen und den baltischen Staaten, auf die sich das Militärbündnis im Sinne der Rückversicherung seiner osteuropäischen Mitglieder geeinigt hatte. Steinmeier hingegen verwies auf das Nato-Konzept der zwei Säulen von Abschreckung und Dialog. Im Augenblick scheine es so zu sein, "als würden wir diese zweite Säule völlig vergessen".

Hilfen Die Eskalation in Syrien und das Vorrücken des IS war die zweite zentrale Herausforderung der letzten Jahre - die Koalition reagierte mit Rüstungsausstattung und Ausbildung kurdischer Kräfte und der irakischen Armee, die sich gegen den IS stellen. Auch am Einsatz einer internationalen Koalition gegen den IS beteiligt sich die Bundeswehr mit Aufklärungs- und Luftbetankungskapazitäten. Unter dem Motto "Fluchtursachen bekämpfen" wurden andererseits die deutschen Beiträge für humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit deutlich angehoben (siehe Beitrag oben auf Seite 10). Und das mit deutscher Beteiligung 2015 vereinbarte Atomabkommen mit dem Iran gilt innerhalb der Koalition als Beispiel dafür, wie man auf der diplomatischen Langstrecke einen weiteren potentiellen Großkonflikt im Nahen Osten entschärfen konnte.

Auch die Afrikapolitik rückte angesichts steigender Flüchtlingszahlen erneut in den Vordergrund: Die Bundesregierung setzt unter anderem darauf, dass Partnerländer in Afrika aus eigener Kraft für Sicherheit und Stabilität sorgen können und dabei mit einer Mischung aus Militär- und Polizeiausbildung, humanitärer Hilfen, Entwicklungszusammenarbeit und Beratung beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen unterstützt werden. Doch gerade Einsätze wie in Mali oder in Somalia sind regelmäßig Gegenstand heftiger Debatten im Parlament gewesen, so kritisierte insbesondere Die Linke eine aus ihrer Sicht wachsende Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Angriffspotential boten Regierung und Koalition auch auf anderen Feldern: Grüne und Linke kritisierten immer wieder die deutschen Waffenexporte nach Saudi-Arabien oder warfen der Bundesregierung vor, eine Appeasement-Politik gegenüber der Türkei zu betreiben (siehe Beitrag unten rechts).

Wer auch immer das Steuer in Kanzler- und im Auswärtigen Amt nach der Bundestagswahl halten wird, die Beziehungen zu Russland, zur Türkei, aber auch zur USA unter Donald Trump und innerhalb der EU bleiben ganz oben auf der Tagesordnung. Einen Vorgeschmack auf künftigen Streit bietet die Forderung des US-Präsidenten, Deutschland müsse mehr für die Verteidigung ausgeben. Deutschland hatte 2014 und 2016 den Nato-Beschluss mitgetragen, wonach die Mitgliedsstaaten bis 2024 mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Militärausgeben sollen, heute sind es 1,2 Prozent. Die Haltung der Bundesregierung lässt sich in dieser Frage als ein klares "Jein" bezeichnen: Einerseits stehe man zu dem Beschluss, anderseits dürfe man Rüstungsausgaben auch nicht isoliert betrachten. Auch Entwicklungszusammenarbeit, Flüchtlingshilfe und Konfliktprävention würden zur internationalen Sicherheit beitragen.