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KULTUR : Mehr als Staub

Bundestag novelliert das Bundesarchivgesetz. Linke und Grüne kritisieren Ausnahmen für Nachrichtendienste

23.01.2017
2023-08-30T12:32:14.7200Z
4 Min

Das Bundesarchiv gilt als das "kollektive Gedächtnis der Nation". An seinem Hauptsitz in Koblenz und weiteren acht Standorten werden die staatlichen Akten aus Jahrhunderten für die Nachwelt erhalten. Akten aus der Zeit des Heiligen Römischen Reichs und des Deutschen Bundes, des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus, der DDR und der Bundesrepublik. Die ältesten Akten reichen bis in das frühe 15. Jahrhundert zurück. Neben dem staatlichen Archivgut finden sich die Unterlagen von Parteien, Verbänden und Vereinen und zeitgeschichtliche Sammlungen. Filme, Fotos, Karten, Plakate oder elektronische Datenträger sind dort ebenso zu finden wie klassische Akten. Seit 1952 wird im Bundesarchiv alles gesammelt, ausgewertet und erhalten, was für das Verständnis der deutschen Geschichte und staatlichen Handelns wertvoll ist. Seit 1988 ist im Bundesarchivgesetz geregelt, wie mit der Sicherung und Nutzung des Archivgutes des Bundes, sprich aller staatlicher Einrichtungen zu verfahren ist.

Am vergangenen Donnerstag novellierte der Bundestag das in die Jahre gekommene Bundesarchivgesetz erstmals grundlegend. Für den entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/9633) in der durch den Kulturausschuss geänderten Fassung (18/10813) stimmten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD. Während sich die Linksfraktion der Stimme enthielt, votierten Bündnis 90/Die Grünen gegen die Gesetzesvorlage. Die beiden Oppositionsfraktionen stören sich vor allem an den Regelungen, nach denen die Nachrichtendienste ihre Aktenbestände an das Bundesarchiv übergeben sollen oder eben auch nicht.

Schutzfristen Im Kern regelt die Gesetznovelle drei Bereiche: Zum einen werden die sogenannten Schutzfristen für staatliche Akten deutlich verkürzt, das heißt sie können beispielsweise von Wissenschaftlern zu Forschungszwecken früher als bisher benutzt werden. Zudem formuliert das Gesetz Regeln für alle staatlichen Stellen zur Übergabe ihrer Aktenbestände an das Bundesarchiv und die Übernahme von elektronischen Unterlagen durch das Bundesarchiv werden an die Bedürfnisse der digitalen Informationsgesellschaft angepasst. Insgesamt werde die "Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit" des Bundesarchivs durch die Novelle deutlich verbessert, sagte der CDU-Kulturpolitiker Ansgar Heveling.

Die Schutzfristen für personenbezogene Akten werden von 30 auf zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person verkürzt. Bei Amtsträgern und Personen der Zeitgeschichte entfallen die Schutzfristen komplett, wenn keine schutzwürdigen Privatangelegenheiten betroffen sind. Zudem können die Schutzfristen für Akten, die den Geheimhaltungsvorschriften des Bundes unterliegen, von 60 auf 30 Jahre verkürzt werden, wenn dadurch die nationale Sicherheit nicht gefährdet wird.

Prinzipiell gilt, dass alle staatlichen Einrichtungen ihre Akten nach 30 Jahren dem Bundesarchiv zur Archivierung anbieten sollen - aber nicht zwangsläufig müssen. Die Anbietungspflicht greife beispielsweise nicht, wenn die Akten für die aktuelle Bearbeitung noch benötigt werden, erläuterte Heveling.

Sonderregel Eine generelle Sonderregelung gilt bei der Anbietungspflicht allerdings für die Nachrichtendienste. Sie können letztlich selbst entscheiden, ob ihre Aktenbestände in das Bundesarchiv überführt werden oder nicht. "Unterlagen der Nachrichtendienste sind anzubieten, wenn sie deren Verfügungsberechtigung unterliegen und zwingende Gründe des nachrichtendienstlichen Quellen- und Methodenschutzes sowie der Schutz der Identität der bei ihnen beschäftigten Personen einer Abgabe nicht entgegen stehen", heißt es im Gesetzestextes. Im ursprünglichen Gesetzesentwurf der Bundesregierung war die Einschränkung gar nur an "überwiegende Gründen" gekoppelt gewesen. Auf Drängen der SPD-Fraktion verschärfte die Koalition den Passus jedoch noch einmal während der Beratungen im Ausschuss.

Der Opposition geht diese Ausnahme trotzdem immer noch zu weit. Der NSU-Skandal habe gezeigt, dass gerade die Nachrichtendienste ihre Akten "völlig unzureichend" geführt hätten, monierte die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sigrid Hupach. "Diese Inkompetenz werde mit dem neuen Gesetz noch hofiert, dem Vertuschen wird Tür und Tor geöffnet, und das ist völlig inakzeptabel." Niemand könne überprüfen, ob berechtigte Gründe gegen eine Überführung der Akten ins Bundesarchiv sprechen oder ob diese nur konstruiert seien, argumentierte Hupach.

Löschungssurrogat Die medienpolitische Sprecherin der Grünen, Tabea Rößner, bezeichnete die Regelung als "skandalös". Die Koalition habe zwar am entsprechenden Gesetzespassus "noch einmal herumgedoktert", aber letztlich sei dies ein Gummiparagraf. Union und Sozialdemokraten warf Rößner vor, während der Debatte über die Gesetzesnovelle eine "beeindruckende Beratungsresistenz" zu beweisen. Die übereinstimmende Kritik der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung des Kulturausschusses sei ignoriert worden. Die Novellierung des Bundesarchivgesetzes falle hinter den Paradigmenwechsel des Informationsfreiheitsgesetzes und hinter die Archivgesetze der Bundesländer zurück, sagte Rößner. Diese würden beispielsweise sogenannte Löschungssurrogate vorsehen, das heißt die gesetzlich vorgeschriebene Vernichtung von Akten und Daten wird durch eine datenschutzkonforme Archivierung ersetzt. Den entsprechenden Entschließungsantrag der Grünen (18/10890) lehnte der Bundestag mit den Stimmen der Koalition ab.

Die SPD-Kulturpolitikerin Hiltrud Lotze verteidigte die Gesetzesnovelle. Mit der Regelung zu den Nachrichtendiensten habe ihre Fraktion einen "guten Kompromiss" ausgehandelt. Sie bedauerte zugleich, dass das Löschungssurrogat nicht aufgenommen wurde. An dieser Stelle sei das Bundesarchivgesetz "unter seinen Möglichkeiten geblieben".