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präsident : Der Unverzichtbare

Den Spitzenposten soll der erfahrene Wolfgang Schäuble antreten

16.10.2017
2023-08-30T12:32:28.7200Z
5 Min

Dominierend sei der deutsche Finanzminister in der Runde stets gewesen, befand Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem in der vergangenen Woche bei der Verabschiedung Wolfgang Schäubles (CDU) aus dem Kreis der Ressortchefs der Euro-Länder. Und fügte hinzu: Manche hätten ja gemeint, Schäubles großer Einfluss sei dem wirtschaftlichen Gewicht Deutschlands in der Eurozone geschuldet, damit werde jedoch die "Quelle der Autorität" verkannt, für die Schäuble persönlich stehe. Der deutsche Minister habe in seiner Amtszeit öfter Ratschläge erteilt, "mal gefragt, mal ungefragt", merkte der luxemburgische Finanzchef vieldeutig an, dabei aber immer die langfristige Stabilität der Eurozone im Blick gehabt und trotz unterschiedlicher Ansätze in der Finanz- und Euro-Krise, etwa beim Thema Griechenland, Respekt von allen Seiten erfahren.

Notfalls unbeliebt Kompetenz, Dominanz, Respekt, Autorität, Stabilität: Das sind wuchtige Begriffe, die verwendet werden, wenn vom "sturen Schwarzwälder" die Rede ist, der im Laufe seines Lebens noch mehr Höhen und Tiefen durchgestanden hat als sein heimischer SC Freiburg. Nun steht Schäuble nach acht Jahren im Finanzministerium vor einer neuen Herausforderung. Er soll nach 45 Jahren Zugehörigkeit zum Bundestag an die Spitze des Parlaments aufrücken und mit all seiner Erfahrung auch hier für Stabilität sorgen.

Denn es wird befürchtet, der Einzug der AfD in das Parlament könnte die Debatten nicht nur inhaltlich befeuern, sondern den Politikstil insgesamt ungut abdriften lassen. Der resolute Schäuble, so die Überlegung, könnte dies womöglich verhindern, wenn er am 24. Oktober wie vorgesehen bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments als Vertreter der stärksten Fraktion in das neue Amt gewählt wird.

An der nötigen Lebenserfahrung und der Bereitschaft, sich notfalls unbeliebt zu machen, wird die Strategie nicht scheitern. Schäuble ist vielleicht kein brillanter Debattenredner, dafür aber ein Freund der klaren Worte, der mitunter auch salopp seine Grenzen der Geduld aufzeigt, wie einst im Fall Griechenland, als er der neu gewählten Regierung in Athen in einer legendären Mischung aus Badisch und Englisch klar machte, dass ohne eigene Sparleistungen das Rettungspaket in Gefahr geriete: "Dann isch over."

Frühstarter Mit 75 Jahren ist Schäuble derzeit aus dem politischen Betrieb so wenig wegzudenken wie der Bundesadler aus dem Plenarsaal. Seit fast einem halben Jahrhundert steht der Jurist in wechselnden Funktionen in politischer Verantwortung. Als Schäuble 1965 in die CDU eintrat, war er 23. Nach einem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften samt Promotion heuerte er in der Steuerverwaltung seines Heimatlandes Baden-Württemberg an, was ihm später öfter mal zugutekam, wenn er mit detaillierten Steuerberechnungen glänzen konnte. 1972 wurde Schäuble für seinen Wahlkreis Offenburg erstmals in den Bundestag gewählt. Sein Direktmandat hat er seither verteidigt, zuletzt mit 48,1 Prozent der Stimmen.

Mit Akribie, Härte, Kompromissbereitschaft, Loyalität und bemerkenswerter Anpassungsfähigkeit hat Schäuble stets den Eindruck vermittelt, es gäbe eigentlich nichts, was er nicht könnte, einschließlich Sport. Hier war er in frühen Jahren (1976-1984) mal Vorsitzender der Bundesfachausschusses. Die großen Auftritte kamen dann: Kanzleramtsminister (1984-1989), Bundesinnenminister (1989-1991), Unionsfraktionsvorsitzender (1991-2000), CDU-Chef (1998-2000), nach dem Karriereknick infolge der CDU-Spendenaffäre erneut Innenminister (2005-2009) und sodann Finanzminister.

Nach der Wende in der DDR 1989 war er federführend an der Ausgestaltung der Staatsverträge zur Wiedervereinigung beteiligt.

Das Jahr 1990 markierte für Schäuble mit der Einheit den sicher bedeutendsten Höhepunkt seiner Laufbahn, mit dem Angriff eines geistig verwirrten Mannes kurz nach dem Tag der Einheit aber auch den größten Tiefschlag. Ein Schuss des Attentäters traf Schäubles Rückenmark. Seit rund 27 Jahren führt er Amtsgeschäfte nun vom Rollstuhl aus, was seinen Tatendrang nicht stoppen konnte. Beobachter sagen, es habe allenfalls Disziplin und Planungseifer nochmals verstärkt. Wenn immer mal wieder die Frage auftaucht, wer "Kanzler kann" oder Bundespräsident, fällt auch sein Name.

Vermittler Als Bundestagspräsident soll er nun ein Amt antreten, das mehr als nur repräsentativ ist. Piloten, Rennfahrer und Parlamentspräsidenten haben eines gemeinsam: Es sieht von außen leichter aus, als es ist. Wer Pech hat, kriegt die Kurve nicht.

Zur Sitzungsleitung, der Hauptaufgabe des Präsidenten, gehören viel Fingerspitzengefühl, Konzentration, und, wie Norbert Lammert (CDU) gezeigt hat, Humor. In der Geschäftsordnung des Bundestages, die zu Beginn jeder Wahlperiode neu beschlossen wird und in §7 die Aufgaben des Präsidenten beinhaltet, liest sich das so: "Der Präsident leitet die Verhandlungen gerecht und unparteiisch und wahrt die Ordnung im Hause".

Ordnung Ähnlich wie ein Klassenlehrer kann der Präsident zur Ordnung rufen, wenn es ihm zu bunt wird. Nach drei Rufen zur Ordnung oder zur Sache kann der jeweils amtierende Präsident einem Redner das Wort entziehen, ein Ordnungsgeld verhängen und sogar für bis zu 30 Sitzungstage den Ausschluss verfügen. Solche Sanktionen sind selten, zuletzt traf es die Grünen, die im Plenarsaal mit T-Shirts auf das Schicksal von in der Türkei inhaftierten Journalisten aufmerksam machten. Einige Abgeordnete mussten die Sitzung verlassen, denn die Hausordnung des Bundestages verbietet generell, "Spruchbänder oder Transparente zu entfalten".

Der Präsident repräsentiert zugleich das Haus nach außen und ist Chef der Bundestagsverwaltung mit rund 3.000 Mitarbeitern. Ihm steht das Hausrecht und die Polizeigewalt in allen Gebäuden des Bundestages zu. Der Präsident leitet Gesetzgebungsbeschlüsse an den Bundesrat weiter, vertritt das Parlament in Streitfällen vor dem Bundesverfassungsgericht und nimmt die Rechenschaftsberichte der Parteien entgegen. Er wird als Inhaber des protokollarisch zweihöchsten Staatsamtes zu Staatsempfängen geladen und hält Reden zu wichtigen gesellschaftlichen Anlässen. Der Präsident nimmt außerdem dem Kanzler oder der Kanzlerin den Amtseid ab.

Rechtlich umstritten ist, ob ein Parlamentspräsident abgewählt werden kann. Dies ist weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehen und hat auch erst einmal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Rolle gespielt. So wurde im 1. Deutschen Bundestag 1949 gegen den Parlamentspräsidenten Erich Köhler (CDU) ein Misstrauensantrag an den Geschäftsordnungsausschuss überwiesen, nachdem Köhler in turbulenten Sitzungen überfordert wirkte. Der Ausschuss stellte jedoch fest, dass Misstrauens- und Missbilligungsanträge gegen Mitglieder des Präsidiums unzulässig seien. Denkbar wäre aber eine entsprechende Ergänzung der Geschäftsordnung.

Aus unterschiedlichen Gründen sind bis heute vier von zwölf Präsidenten zurückgetreten (siehe Randspalten), darunter Köhler, der 1950 auch krankheitsbedingt kapitulierte und vorzeitig aus dem Amt ausschied. Eugen Gerstenmaier, Rainer Barzel und Philipp Jenninger (alle CDU) traten ebenfalls zurück. Hermann Ehlers (SPD) starb überraschend mit nur 50 Jahren während seiner Amtszeit.