Piwik Webtracking Image

föderalismus : Das ewige Tauziehen

Die Bildungspolitik ist Sache der Bundesländer. Der Bund darf nur partiell mitbestimmten. Das führt zu einigen Verwerfungen im Schulalltag

04.12.2017
2023-08-30T12:32:30.7200Z
5 Min

Michael Heitz hält vom Bildungsföderalismus wenig: "Ineffizient und ungerecht" sei die Kleinstaaterei im deutschen Schulwesen, höchste Zeit für "konstruktive Änderungsvorschläge". Der Baden-Württemberger weiß, wovon er spricht. Heitz ist Lehrer an der Sinsheimer Albert-Schweitzer-Schule und wurde 2011 mit dem deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet. Der Pädagoge ärgert sich darüber, dass die Bundesländer in der Schulpolitik agieren können, wie sie wollen. Immer wieder habe er es mit Schülern zu tun, die sich nach dem Umzug von einem Bundesland in ein anderes in völlig neuen Lehrplänen zurechtfinden müssten. "Und weil ich selbst schon in der Rolle war, Prüfungsfragen zu erarbeiten, habe ich eine Vorstellung davon, was es bedeutet, dass in 16 Bundesländern in jedem Fach eigene Anforderungen erarbeitet werden."

Auch sei das System ungerecht, weil die Anforderungen etwa an das Abitur in den Bundesländern unterschiedlich hoch seien. "Und wenn der Abschluss irgendwo leichter ist, dann bevorzugt das die Schulabgänger, wenn sie sich auf zugangsbeschränkte Studienfächer bewerben. Wer aus einem Bundesland kommt, in dem das Abitur wirklich schwer ist und dem dann ein paar Zehntelpunkte fehlen, hat das Nachsehen. Das ist doch nicht fair." Auch dass die Bezahlung von Lehrern davon abhängig sei, in welchem Bundesland sie unterrichteten, sei nicht gerecht.

Kulturhoheit Was Heitz in seiner täglichen Arbeit immer wieder umtreibt, ist eine Besonderheit, die in Artikel 30 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Darin heißt es, dass die Ausübung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist - und mit der sogenannten Kulturhoheit liegt die Verantwortung für die Kultur- und Bildungspolitik in deren Händen.

Dabei sind die Zuständigkeiten nochmals abgestuft: Während die Länder zuständig sind für die Lehrinhalte an Schulen sowie für die Hochschulen, obliegen Bau und Betrieb der Schulgebäude und Kindertageseinrichtungen den Kommunen. Einheitlich geregelt ist an deutschen Schulen trotz bundesweiter Schulpflicht damit nicht viel mehr als die Dauer der Ferien und die Aufteilung des Schuljahres. Die Entscheidung über Lehrinhalte, Lehrpläne, Schularten und Prüfungsanforderungen obliegt den jeweiligen Ländern. Sie entsenden ihre Kultusminister in ein Gremium, die Kultusministerkonferenz (KMK). Das Arbeiten in diesem Rahmen ist zäh: Die Beschlüsse der KMK müssen einstimmig gefällt und später in den Landesparlamenten gebilligt werden. Große Reformen sind damit schon strukturell erschwert. Auch die Diskussion über bundesweite Standards bei der Betreuung in den Kitas, speziell der sensiblen Gruppe der Unter-Dreijährigen, steht unter der Maßgabe, dass darüber der Bund nicht befinden kann.

Tradition Das Prinzip des Bildungsföderalismus ist alt: Es geht auf die Vielzahl der deutschen Kleinstaaten zurück, die traditionell ihre eigene Bildungspolitik betrieben. Auch die Gründung des Deutschen Reiches 1871 änderte daran nichts. Nach der Zentralisierung der Bildungspolitik unter den Nazis, die auch das Schulsystem gleichschalteten, kehrte die Bundesrepublik wieder zu den föderalen Strukturen in der Bildung zurück. Sie wurden mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 weiter zementiert: Als Ausgleich für verschiedene Mitwirkungsrechte des Bundes ließen sich die Länder damals die klare und alleinige Zuständigkeit in der Bildungspolitik zusichern. Seither darf der Bund Kitas, Schulen und Universitäten nicht dauerhaft fördern und in deren Angelegenheiten nicht mitreden.

Investitionsstau Für viele Experten ist das rückblickend ein schlechter Deal. Sie verweisen auf die immer weiter gestiegenen Anforderungen an die Schulen. So kommen zur "normalen Bildung" der Schüler die Erfordernisse der Inklusion, Ausländerintegration und digitalen Bildung sowie der Ausbau eines verlässlichen Ganztagsschulsystems und der U3-Betreuung. Angesichts leerer Kassen in vielen Ländern und Kommunen wünschen sich die Experten, der Bund könnte in der Bildungsförderung stärker mitmischen.

Möglich ist das immer nur partiell: Als der Bund 2007 den Ausbau der U3-Betreuung beschloss, wurde auch ein Investitionsprogramm für Krippen und Kindergärten aufgelegt, weil die Kosten die unteren Ebenen überfordert hätten.

Bildungsfachleute wünschen sich das auch für die Schulen. Weil es überall im Land einen großen Investitionsstau gibt und zahlreiche Schulen in einem schlechten baulichen Zustand sind, haben Bund und Länder nach zähem Ringen erst im Sommer das Grundgesetz so geändert, dass der Bund sich an der Sanierung der Gebäude finanziell beteiligen darf.

Zu den ökonomischen Erwägungen kommt die Erkenntnis, dass es in Zeiten, in denen auch für Familien Mobilität immer wichtiger wird, kontraproduktiv ist, wenn Umzüge mit schulpflichtigen Kindern zu Problemen werden. Ungezählt sind die Checklisten in Schulberatungsstellen und Informationsmöglichkeiten in Internetforen, die verdeutlichen, dass der unkomplizierte Schulwechsel zwischen Rostock und Regensburg oder Dortmund und Dresden nahezu unmöglich ist.

Zentralabitur Zwar gibt es ein "Hamburger Abkommen" zur "Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens", das 1964 von den Regierungschefs der Länder unterzeichnet wurde. Aber dann gibt es da noch die Praxis und die macht es möglich, dass Kinder in Berlin schon mit fünf Jahren eingeschult werden und dann sechs Jahre lang zur Grundschule gehen, während Schulanfänger in Hessen auch schon sieben Jahre alt sein können und dann vier Jahre lang die sogenannte Sekundarstufe I besuchen. Noch komplizierter wird es mit zunehmendem Alter der Schüler: Gymnasien gibt es zwar in allen Bundesländern, nicht aber Hauptschulen, Realschulen, Gesamt- oder Oberschulen. Und wer Abitur macht, der kann das in den ostdeutschen Ländern ausschließlich innerhalb von acht Jahren tun (G8), braucht in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bayern neun Jahre (G9) und kann im Rest Deutschlands aus Mischformen wählen.

Das verkompliziert auch die Vergleichbarkeit der Abschlüsse. Seit Jahren bemüht sich die Politik deshalb um nationale Bildungsstandards - allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Seit diesem Jahr gibt es in ausgewählten Fächern, nämlich in Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch, ein sogenanntes bundesweites Zentralabitur mit Aufgaben, die vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen entwickelt wurden.

Doch dagegen laufen nun nicht zuletzt viele Lehrer Sturm. Der Schulstoff sei mit der Zentralisierung so ausgedünnt worden, dass beispielsweise das mathematische Vorwissen der Abiturienten für ein Studium nicht mehr ausreiche, schrieben gerade erst 130 Professoren und Mathematiklehrer in einem offenen Brief. Der Frankfurter Bildungsforscher Hans-Peter Klein nannte das bundesweite Zentralabitur denn auch "so eine Art Realsatire", die zu einem "Notendumping" in Deutschland und einer "Abwärtsspirale" im Bildungsniveau geführt habe.

Die Autorin ist freie Journalistin in Dresden.